Chef-Stadtplaner Michael Hardi: "München braucht mehr Freiheit"
München - Vom neunten Stock des Planungsreferats an der Blumenstraße kann man über die Stadt Richtung Süden sehen. Der Schornstein des Heizkraftwerks ist wieder geschrumpft, Hochhäuser sind vor den Alpen gar nicht zu sehen. Dafür hört man die Stadt hupend, rauschend, quietschend durchs offene Fenster. Michael Hardi ist der städtische Chefplaner. Wie sich die Stadt da unten verändern soll, da soll er die großen Linien ziehen. Und das macht der Mann offenbar mit großer Lust. Michael Hardi lacht gerne und viel hier oben, hoch über der großen, kleinen Stadt.
AZ: Herr Hardi, mögen Sie die Frankfurter Skyline?
MICHAEL HARDI: Ja, das tue ich. Das passt zu Frankfurt. Hier in München identifizieren wir uns aber ganz anders.
Chef-Stadtplaner: "München könnte sich mehr trauen"
Nie genervt, wie wenig man sich in München traut?
München könnte sich schon auch mehr trauen an der ein oder anderen Stelle. Da könnte manches anders ausschauen. In Mailand oder Turin zum Beispiel haben sie viele spannende Dachaufbauten. In München verhindert die Vorsicht oft, dass Innovatives entsteht.
Aktuell werden wieder Hochhäuser geplant, etwa an der Paketposthalle. Sind die dann auch wieder nur ein fauler Kompromiss?
Man sieht sie vom Schlossrondell aus und das finden die Kritiker ganz furchtbar. Das sei doch der Blick des Königs zur Stadt gewesen! Da sage ich: Der König hat nie Stadt gesehen. Das wäre doch wahnsinnig demokratisch, wenn man jetzt vom Rondell aus die Stadt sehen würde. Aber die Debatten sind in München eben nicht so einfach. Wie der langjährige CSU-Stadtrat Walter Zöller mal gesagt hat: In München darf man Hochhäuser nicht sehen...
Sind Sie dafür, die 100-Meter-Grenze für neue Hochhäuser wieder hinter sich zu lassen?
Diese Grenze halte ich für fiktiv. Je nach Blickwinkel sieht das Haus auch höher aus als die Frauenkirche, obwohl es niedriger ist.
So fiktiv ist die Grenze nicht. Das SZ-Hochhaus durfte ganz real nicht höher werden.
Ja, das hat man abgeschnitten. Und: Ist es schöner geworden?
Nein.
Natürlich nicht. In der Proportion macht es jedes Hochhaus besser, wenn es ein, zwei, drei Stockwerke mehr hat.
Bürgerstadt Frankfurt gegen Residenzstadt München
Also ist die Frankfurter Skyline immer schöner als Münchner Hochhäuser - einfach schon durch die Höhe?
Ja, die Proportionen sind in Frankfurt die besseren. Aber Frankfurt war schon immer anders geprägt: nämlich als Bürgerstadt. München war eine Residenzstadt. Es ist schon eine logische Konsequenz, dass man sich hier schwerer tut mit Hochhäusern.
Aber?
Bewusst gesetzt halte ich Hochhäuser auch in München für gut. Aber sie müssen für etwas stehen und einen Mehrwert für die Stadt und die Stadtgesellschaft bieten.
Sie haben mal gesagt, man müsse in München einige Regeln über Bord werfen. Welche?
Ein Plus an Freiheit kann auch ein Plus an Qualität bieten - wir schauen immer neidisch nach Wien mit zum Beispiel auch einmal wilderen oder gar bunten Dachaufstockungen. Wir müssen ein bisschen das Vertrauen haben, dass nicht sofort alles schrecklich wird, nur weil wir Stadtplaner es nicht geregelt haben.
Denkmalschutz in der Stadt München
Auf wen nimmt man in München zu viel Rücksicht?
Wir diskutieren viel in München - mit allen. Aber jede Diskussion muss mal zu Ende sein. Und dann müssen im Sinne des Allgemeinwohls Entscheidungen getroffen werden, obwohl Einzelinteressen dagegen stehen. In der Diskussion können wir sehr gut die Unterstützung der Politik gebrauchen.
Wie sehr nervt der Denkmalschutz?
Wenn Denkmalschutz ausschließlich bewahren will, dann hätte sich München nie aus dem Mittelalter rausentwickelt.
Also finden Sie zum Beispiel den Abriss der Tierklinik am Englischen Garten okay?
Man sollte so etwas nicht leichtfertig wegreißen. Insofern finde ich gut, dass man da jetzt zumindest den Torbogen erhält. Meines Erachtens ist es wichtig, genau zu schauen, ob man einen Baustein erhalten kann, vielleicht aber Neues näher rücken darf. Ich setze mich dafür ein, dass an der Bayernkaserne das Wachhäuschen erhalten bleibt. Und das hat jetzt erst einmal nichts mit Denkmalschutz zu tun. Vielleicht könnte da mal ein Kiosk rein. Es geht ja auch darum, die Erinnerung zu behalten, dass München immer eine wichtige Kasernenstadt war.
Lassen Sie uns über Münchens Neubaugebiete sprechen.
Unbedingt!

Europas größtes Neubaugebiet in Freiham
Viele Münchner schimpfen über die öde Schuhschachtelarchitektur. Sie sind nun an Europas größtem Neubaugebiet in Freiham beteiligt. Ganz ehrlich: Das ist nicht so gut gelungen, oder?
Freiham ist doch noch am Entstehen!
Was es schon gibt, sind zum Beispiel Baumärkte und Riesen-Parkplätze,
Das war so geplant.
Und eine gute Idee?
Na ja, große Baumärkte brauchen wir auch, schaffen aber auch mehr Verkehr. Zur Belebung eines heimeligen Platzes taugen sie natürlich nicht, aber Gewerbe gehört auch in unsere Stadt.
Sie schwärmen immer von Ihren Besuchen in Mailand und Turin. Von dort dürfte keiner nach Freiham kommen, um Münchner Architektur zu bestaunen. Oder?
Doch, doch. Wir sind in München immer sehr kritisch zu unseren Planungen. Aber es kommen viele, auch Hamburger oder Kölner, und sagen: Toll, was ihr hier geplant habt.
Der Hamburger sagt: Wahnsinn, ein Baumarkt-Parkplatz in Freiham?
Der größte Teil, das neue, lebendige Wohnquartier entsteht ja erst noch! Geben Sie solchen Gebieten doch eine gewisse Zeit! Das neue Zentrum von Freiham wird kein Einkaufszentrum, das introvertiert wird. Freihams Mitte wird an eine Stadt erinnern, mit Läden, die zur Straße ausgerichtet sind. Wir planen Cafés mit, bei denen man draußen sitzen kann, sowas belebt.
Hardi: "Große Plätze wie in Riem waren ein Fehler"
Was hat man aus den Fehlern der Messestadt Riem gelernt?
Wir planen heute viel kleinteiliger. Wir schaffen zum Beispiel viele kleinere Plätze, keine solchen Dimensionen mehr wie am Willy-Brandt-Platz.
Im Prinz-Eugen-Park planen Sie relativ wenige Geschäfte. Sind die nicht entscheidend für ein städtisch-lebendiges Viertel?
Wir denken immer, dass es so schön ist, wenn in jedem Erdgeschoss Gewerbe ist. Aber das geht gar nicht, das sind viel zu viele Flächen. Diese Dichte haben wir nicht. Ich finde auch gar nicht schlimm, wenn im Hof einfach die Kinder spielen in einer Wohngegend - und das Gewerbe dann in den vorderen Bereichen der Blockstruktur ist.
Klingt theoretisch charmant. In der Realität Münchner Neubaugebiete gibt es nur einen Rewe, einen DM und ein Restaurant - das nur mittags für die Büro-Menschen aufhat.
Das ist oft so, ja, aber das liegt eben auch daran, dass es in diesen neuen nicht so dichten Wohnvierteln oft nicht mehr Potenzial gibt. Und im Prinz-Eugen-Park haben wir versucht, die Angebote am Quartiersplatz zu bündeln - und dort etwa die Genossenschaften anzusiedeln, die sich ja oft einbringen und selbst Angebote machen. Übrigens auch solche, die in Richtung Gastronomie gehen.
Sprechen wir über die Bewohnerschaft von Neubaugebieten. Die Stadt verplant 60 Prozent ihrer Wohnungsflächen bewusst etwa für Genossenschaften und geförderte Wohnungen. Wären aus Ihrer Sicht nicht 80, 90, 100 Prozent erstrebenswert?
Gebiete mit 100 Prozent geförderten Wohnungen sind zum Scheitern verurteilt.
Neubaugebiete brauchen gesunde soziale Mischung
Heute heißen die 60 Prozent ja nicht 60 Prozent Sozialwohnungsbau - da sind auch Wohnungen für Genossenschaften oder künftig gezielt für Senioren dabei.
Das stimmt. Auf den städtischen Flächen gehen aber auch nicht 40 Prozent an private Investoren. Der normale Bauträger kommt eigentlich gar nicht mehr zum Zug. Wir brauchen aber eine gesunde soziale Mischung. Der ein oder andere, der gut verdient, sollte in den Vierteln auch wohnen. Bei mir in der Nordhaide waren anfangs 70 Prozent geförderte Wohnungen. Da hat man schon gemerkt: Das ist hart an der Grenze.
Wie äußert sich das im Alltag?
Zum Beispiel darin, dass Einkaufszentren nicht funktionieren, einfach, weil die Kaufkraft fehlt. Oder in der Kinderbetreuung, wo der Anteil von Familien mit Migrationshintergrund hoch ist, die einfach nur ums nackte Überleben kämpfen, weil sie so wenig Geld haben.
Ist die Münchner Mischung, auf die die Stadt so stolz ist, denn in den alten Vierteln noch gegeben - oder werden die nicht wiederum zum Gutverdiener-Ghetto: An der Fraunhoferstraße sehen wir morgens keine Männer im Blaumann an der U-Bahn.
Vielleicht sehen Sie die einfach nicht, weil die längst arbeiten, wenn Sie unterwegs sind (lacht). Ich glaube, gerade im Glockenbachviertel gibt es schon noch eine Mischung. Da haben unsere Erhaltungssatzungsgebiete Wirkung. Und ich finde auch richtig, dass wir in Neubaugebieten immer geförderte Wohnungen mitgeplant haben im Gegensatz zu anderen Städten.
Oft sind die geförderten Wohnungen doch nur der Lärmschutzriegel zur Straße - hinten residieren die Reichen.
Aber nicht immer. Manchmal sind frei finanzierte Wohnungen und München-Modell-Wohnungen auch bunt gemischt. Und am Georg-Kronawitter-Platz, ruhig und mitten in der Stadt, entstehen auch geförderte Wohnungen - wie in allen neuen Wohnquartieren.
"Wenn alle Parkplätze belegt sind, nehmen die Leute eher die U-Bahn"
Die Münchner kaufen jedes Jahr mehr Autos. Sie planen unterdessen autoarme Stadtviertel. Und damit an den Bedürfnissen der Leute vorbei?
Ich bin keiner, der sagt: Wir müssen ganz autofrei planen. Es wird auch in dieser Stadt mit der wahnsinnig guten ÖPNV-Anbindung immer Menschen geben, die aufs Auto angewiesen sind. Wer mobilitätseingeschränkt ist und kein Fahrrad fahren und sich keine Wohnung direkt an der U-Bahn leisten kann, braucht vielleicht einfach ein Auto - und das darf dann auch nicht 500 Meter weg am Rande des Viertels in einer Garage stehen. Aber natürlich können wir trotzdem nicht weitermachen wie bisher.
Was heißt das?
Dass das Verteufeln von Autos uns nicht weiterbringt. Das schließt Bevölkerungsgruppen aus. Vielmehr müssen wir den ÖPNV deutlich ausbauen und noch attraktiver und erreichbarer machen. Elektromobilität übrigens halte ich nicht für die Lösung.
Warum nicht?
Weil das ein Schmarrn ist. Die Elektroautos brauchen genauso den Platz. Da ändern wir in der Stadt ja gar nichts.
Müssen Parkplätze wegfallen?
Ja, wir müssen sagen: Wenn oft alle Parkplätze besetzt sind, dann ist das eben so. Dann nehmen vielleicht manche doch öfter die U-Bahn. Ich sage meinen Gästen auf der Nordhaide auch immer: Kommt einfach mit der U-Bahn! Dann könnt Ihr Euch die Parkplatzsuche sparen.
Umkehr zu kleineren Wohnungen in Aussicht
Heute leben die Münchner auf mehr Quadratmetern Wohnungsfläche als je zuvor. In dieser dichten, teuren Stadt: Brauchen wir eine Umkehr - hin zu kleineren Wohnungen?
Ja! In München stagniert die Fläche pro Bewohner.
Was wird man in Zukunft bauen? Für Familien ganz kleine 4-Zimmer-Wohnungen auf 70 Quadratmetern?
Vielleicht eher 80. Aber ja, es werden kleinere.
Diesen Sommer wurden Straßen für Autos gesperrt. Zum Beispiel am Nymphenburger Kanal hatte aber morgens, mittags, abends, kein Mensch Lust, sich da hinzusetzen. Ist das Konzept gescheitert?
Ich glaube, dass manche Sommerstraßen sehr gut funktioniert haben. Meine These ist, dass es daran liegt, wie eng die Bebauung, wie klein die Wohnungen und die privaten Freiräume sind. In Nymphenburg gibt es eben viele große Wohnungen, eigene Gärten. Da muss man nicht raus, um sein Bedürfnis nach frischer Luft und Sonne zu befriedigen.
Also keine Sommerstraßen mehr in Villenvierteln?
Das würde ich gar nicht sagen. Wir brauchen in dieser Stadt auch Freiräume, die nicht immer so übervoll sind wie am Gärtnerplatz oder im Englischen Garten. Menschen müssen sich begegnen können. Und das ist in Corona-Zeiten - mit Abstand! - wichtiger denn je.
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