AZ-Serie Von der Straße: Thalkirchner Straße: Immer mehr Kiez

Links Sozialwohnungen, rechts ein nobles Villenviertel. Auf der Wendl-Dietrich- Straße in München-Neuhausen treffen sich die Bewohner.
München - Es gab Zeiten, da zogen große Namen wie Roeckl oder Rodenstock in den Münchner Süden. Neben den Stadtbächen und der guten Anbindung an die Eisenbahn, waren auch der Großmarkt mit dem Vieh- und Schlachthof gute Standortfaktoren für aufstrebende Gewerbe.
Inzwischen hat sich an der Grenze zwischen Isarvorstadt und Sendling einiges verändert. Was heute brach liegt, soll bald Kulturlandschaft werden. Die AZ-Serie "Von der Straße" zeigt Ihnen heute, was sich wandelt, was bleibt und was gerade neu ist in der Thalkirchner Straße.
Thalkirchner Strasse 96 bis 102: Tröpferlbad

Das Tröpferlbad. Foto: lkr
Im Viertel an der oberen Thalkirchner Straße ging’s schon immer dreckig zu. Zuerst rußten die Bahnen vom Südbahnhof alles voll, dann staubten die Fabriken. Später roch es zumindest nur noch derb.
Der Schlacht- und Viehhof löste die Hinterhofmetzgereien ab, um Abfälle besser entsorgen zu können. Mit ihnen kam der Gestank. Wer als Metzger richtig sauber sein wollte, ging ins Brausebad in der Schweineschlachthalle. Heute ist das Tröpferlbad Treffpunkt für links-alternativer Gruppen, Feministinnen, Queere und Flüchtlinge.
Die Vorträge, Konzerte und Treffs im Bürgerhaus sind immer wieder im Fokus Konservativer. Weitaus dramatischer als die vermeintlich linksradikale Gesinnung im Tröpferlbad ist dessen baulicher Zustand. Vor fast zehn Jahren sind in dem denkmalgeschützten neoklassizistischen Klinkerbau aus dem Jahr 1913 statische Mängel festgestellt worden.
Daraufhin wurde der Betrieb im Jugendtreff massiv eingeschränkt. In einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2015 wird der Stadt eine Generalsanierung empfohlen. Dazu soll es entkernt werden. Im Sommer letztes Jahr stimmte der Stadtrat dem Umbau zu, ein zeitlicher Rahmen wurde nicht festgelegt.
Thalkirchner Strasse 29: Kultveganer im Süden

Gerade ist in der Südstadt alles dunkel, ist ja noch früh. F.: lkr
Es mag seltsam erscheinen, in einer gedruckten Zeitung zu fragen, ob denn noch jemand liest. Liest heute noch jemand Musikzeitschriften? Offenbar gibt es genügend Nostalgiker, denn als würden der "Südstadt" die Gäste wegsterben, wirkt es nicht.
Trotz neuer Pächter im Sommer letztes Jahr lässt sich ausreichend Publikum in den durchgesessenen Sofas an den mit Musikmemorabilia tapezierten Wänden nieder. Dort bekommen Musikliebhaber Punk, Indie und Rock um die Ohren. Als Musik-Kneipe existiert die Südstadt an selber Stelle bereits seit 1994, zuerst unter Gerd Pantner, dann betrieben von Suza Schreiber.
Jetzt verantworten Markus Kufner und Olaf Böttcher das Programm. Sie haben sich entschieden, die etablierten Fleisch-Gerichte auf der Karte zu lassen. Schnabuliert wird in der Südstadt: fleischig, vegetarisch oder vegan – und das am Wochenende sogar bis vier Uhr in der Früh.
Thalkirchner Strasse 106: Seuchenschutz verdeckt
Eine Plane verdeckt das Haus. Foto:lkr
An der Ecke zur Zenettistraße sieht es aus, als würde es mit dem Viehhof-Umbau bald losgehen. Das Veterinäramt ist voll eingerüstet. Offenbar geht’s aber dann doch nicht so schnell. Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) dämpft die Stimmung. In dem gesamten Gebäude würden momentan die Fenster ausgetauscht.
Der Sitz des Veterinäramts direkt neben dem Viehhof ist nicht zufällig. Bereits im Jahr 1862 erließ die Stadt eine Reihe Verordnungen, die die Hygiene beim Verkauf von Lebensmitteln verbessern sollten. Aus diesem Grund wurde auch ein Bezirkstierarzt eingestellt. Schon früh kümmerte sich das Amt auch um den Tierschutz.
So heißt es in einer Anweisung an die Tieraufseher um die Jahrhundertwende: "Entdeckt sich bei den jährlichen Visitationen, dass Hunde-Eigenthümer ihre Hunde in der Aufbewahrung oder in Bezug auf Nahrung vernachläßigen, so ist denselben das Sicherheitszeichen zu verweigern."
Thalkirchner Strasse 61 bis 63: Im Weißwurstparadies

Magnus Bauch. Foto: Sigi Müller
Der erste Wiesn-Samstag wird traditionell mit einem Weißwurst-Frühstück begonnen, bevor es zum Fassanstich geht. Dafür muss der Brühfleisch-Gourmet das Frühaufstehen lernen. Ansonsten steht er für die prämierten Weißwürste der "Metzgerei Bauch" schon mal vergeblich eine Runde um den Block. Und das bereits ab 5.15 Uhr.
Seit 56 Jahren gehen in dem Laden des Familienunternehmens in der Thalkirchner Straße Fleischwaren über die Theke. Metzger sind die Bauchs schon wesentlich länger, richtige Unternehmer allerdings erst seit dem Umzug ins Schlachthofviertel. Inzwischen verlassen 14 Tonnen Fleisch täglich die Firma von Inhaber Magnus Bauch. Aus schmalen 29 wurden bis heute 1.800 Quadratmeter Produktions- und Verkaufsfläche. Bauch beliefert vor allem Großkunden in der Hotellerie und Gastronomie – sogar im Ausland.
Die perfekte Münchner Weißwurst bekommen aber auch Geringabnehmer in seinem Ladengeschäft. Mit der Perfektion ist das allerdings so eine Sache. "Mein Vater und ich haben für die Entwicklung unserer Rezeptur zwölf Jahre lang gebraucht", sagt er. Denn die Weißwurst sei hochsensibel. Ein Grund mehr, zum Frühaufsteher zu werden.
Thalkirchner strasse 110: Baustelle mit Humor

Hier hängt klein und in blau das Hinweisschild. Foto: lkr
Werbung für das "Haus des Humors" ist an der Thalkirchner Straße 110 angeschlagen. Dabei soll das neue Ausstellungshaus eigentlich ums Eck einziehen. Wenn es im sogenannten Hypohaus genehmigt wird, der alten Viehhofbank an der Zenettistraße 17.
Sie steht seit Jahren leer und soll nach dem Willen von Stadtteilpolitikern sowie Bewohnern der Isarvorstadt am liebsten kultur- und kreativwirtschaftlich wiederbelebt werden. Das rote Backsteingebäude ist denkmalgeschützt. Eine Sanierung könnte aufwendig werden, zumal das Gebäude an allen Ecken und Enden bröckelt. Seit 20 Jahren wurde hier nahezu nichts gemacht, die Statik spielt nicht mehr mit. Eine Sanierung würde an die 16 Millionen Euro kosten.
Wer soll das zahlen? Der Verein "Forum für Humor und Komische Kunst" hat innerhalb weniger Monate mithilfe prominenter Unterstützer wie dem Kabarettisten Gerhard Polt, Regisseur Marcus Rosenmüller und dem Musiker Willy Astor eine Million Euro aufgetrieben – für ein Museum, das die Kulturgeschichte des Humors abbildet.
Lagerhausstrasse 15: Auf dem Sonnendeck

Ein Schiff ist gekommen. Foto: min
Gegenüber der Gruam gibt’s seit kurzer Zeit ein weiteres dieser neuen Münchner Nicht-Lokale. Seit Ende Juli hat das alte auf der Eisenbahnbrücke in Sendling abgestellte Dampfschiff nach anderthalb Jahren Bauzeit offiziell geöffnet.
In alten Zeiten verkehrte es als „MS Utting“ über den Ammersee, jetzt serviert die "Alte Utting" bis zu 600 Gästen asiatische und bayerische Speisen – mit und ohne Fleisch. Den Rundumblick übers Viertel sowie den fantastischen Sonnuntergang auf dem Sonnendeck gibt’s freilich gratis dazu.
Thalkirchner Strasse 114: Kleine Techno-Boazn

Klein, aber beliebt: Die Gruam. Foto: ho
Hamburg hat seine Hafenkneipen, München seine Gruam. Draußen ist die Boazn vollgesprüht mit Graffiti, drinnen gibt’s harte Technomusik zu hören. Während sich die einen wundern, dass es derart verrauchte Orte in München überhaupt gibt, granteln, die anderen, dass die Gentrifizierung nicht mal vor diesem Absturz-Kleinod Halt gemacht hat.
Die Schattengestalten aus dem Schlachthof, die sich seit Eröffnung Mitte der 30er Jahre hier herumtrieben, wird man heuer nicht mehr finden. Dafür trinken unter der Woche Stammgäste zu DJ-Musik ihr Bierchen, während am Wochenende ein Türsteher Elektrofans Einhalt in dem Mini-Club gebieten muss.
AZ-Serie "Von der Straße"
Die Humboldtstraße: Der erste Teil der Serie
Die Schützenstraße: Der zweite Teil der Serie
Die Dachauer Straße: Der dritte Teil der Serie
Die Ubostraße: Der vierte Teil der Serie
Die Georgenstraße: Der fünfte Teil der Serie
Die Wendel-Dietrich-Straße: Der sechste Teil der Serie