"Ich kenn' welche, die zwölf Maß tranken“: Hofbräuzelt-Wirtin Silja Steinberg über die Wiesn

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AZ: Sie sind im Festzelt aufgewachsen. Das muss ja eine schöne Kindheit gewesen sein, oder nicht?
SILJA STEINBERG: Ja, absolut – ich hatte eine großartige Kindheit im Festzelt! Für viele ist die Wiesn ein besonderes Erlebnis für ein paar Stunden im Jahr. Ich durfte dagegen hinter die Kulissen schauen, den Zauber erleben und schon als Kind spüren, wie viel Herzblut und Gemeinschaft in diesem Ort steckt. Ich habe dadurch viel mehr gesehen und mitbekommen, als es ein Wiesnbesucher je könnte. Das hat mich geprägt und mir ein tiefes Verständnis für Tradition, Gastfreundschaft und Zusammenhalt gegeben. Früher hatten mein Opa und später mein Vater das kleine Wienerwald-Zelt. Als wir später das Hofbräuzelt bekommen haben, war ich ungefähr zehn. Mein Bruder und ich sind dann oft hinten ins Stüberl zum Hausaufgabenmachen gegangen. Aber abends sind wir abgeholt worden und mussten heim. Aber Wiesn ist Heimat für mich. Ich fand es eine sehr schöne Zeit.
Als Schulkind habe ich schon viel mitgeholfen, hab‘ Würstl gezählt oder die Hendl zum Mitnehmen in Tüten gepackt. 1990 habe ich zum ersten Mal richtig mitgearbeitet, war am Krugstand, im Büro, und so weiter. Ich habe alle Stationen mal durchgemacht.
Sie waren also jedes Jahr jeden Tag auf der Wiesn?
Einmal musste ich aussetzen. Im Jahr 2001 ist mein Sohn am zweiten Wiesntag auf die Welt gekommen. Aber als er zehn Tage alt war, bin ich mit dem Maxicosi hinten ins Stüberl gegangen und hab mein Hendl gegessen.
Gibt es auch negative Seiten?
Überhaupt nicht. Klar hat man seine Eltern wenig gesehen. Aber das sind ja nur zwei Wochen. Das Positive überwiegt tausendfach!
Silja Steinberg schon als Kind: "Ich will Wiesnwirtin werden!"
Und der Plan war immer, Wiesnwirtin zu werden?
Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich das schon als Kind gesagt habe. Eine Woche vor der Wiesn kriegen wir immer den Hopfen fürs Zelt geliefert. Da stand ich dann mittendrin und hab gerufen: Ich will Wiesnwirtin werden!
Sie haben einmal gesagt, Sie könnten sich gar nicht vorstellen, wie ein normaler Besucher die Wiesn erlebt. Ich kann mir das Leben als Wiesnwirtin nicht vorstellen.
Das kann ich gut verstehen. Für mich ist die Wiesn kein Event, das ich einmal im Jahr besuche – sie ist ein Stück Zuhause. Ich kenne die Abläufe, die vielen Gesichter hinter den Kulissen und die Stimmung, die schon entsteht, bevor das erste Bier ausgeschenkt wird. Ein normaler Besucher taucht für ein paar Stunden in diese Welt ein – für mich ist es ein Lebensgefühl, das weit darüber hinausgeht. Vielleicht liegt genau darin der Unterschied: Die einen erleben die Wiesn, ich darf sie leben.
Aber Sie trinken dann auch mal eine Maß und essen ein Hendl, oder?
Ein Hendl ess‘ ich fast jeden Tag, muss ich zugeben. Ich liebe Hendl. Die auf der Wiesn sind ja auch ganz besonders. Und ein Schluckerl trinke ich auch mal mit.
Und wie war das als Kind? Hatten Sie viele Wiesnwirtekinder als Freunde? Ihre "normalen" Freunde haben Sie sicher beneidet, oder?
Die Wiesnwirtekinder kennt man natürlich. Aber meine Schulfreunde waren andere. Beneidet haben sie mich nicht. Als Kind war das natürlich etwas ganz Besonderes. Während der Wiesnzeit hatten wir immer viele Freunde um uns – die waren plötzlich alle sehr gerne bei mir (lacht). Klar, das Festzelt war für sie ein riesiger Abenteuerspielplatz, den andere so nicht erleben konnten. Und ich habe es geliebt, meine Freunde an diesem Stück Kindheitswelt teilhaben zu lassen.
Wie gut kennen Sie die Zelte der anderen Wiesnwirte? Schaut man sich da nicht mal was ab?
Wir verstehen uns alle sehr gut. Wenn jemand seine Küche umbaut, dann zeigt er das stolz her und man schaut sich das an. Das ist ein reger Austausch und viel Unterstützung.

Auch abseits der Wiesn sind Sie mit Gastronomie aufgewachsen: Ihre Eltern betrieben auch den Wiener Wald und den Hofbräukeller am Wiener Platz. Hatten Sie nie mal Lust, etwas völlig anderes zu machen?
Nein. Das kam mir überhaupt nicht in den Sinn.
"Männer und Frauen sind immer unterschiedlich"
Auch wenn Sie Unterstützung von Ihren Eltern bekommen, sind Sie eine der wenigen Wiesnwirtinnen. Machen Sie es anders als Ihre männlichen Kollegen?
Männer und Frauen sind immer unterschiedlich. Aber wenn du in so eine Rolle reinwächst, kannst du nicht sagen, dass du etwas besser oder schlechter machst. Du machst es auf deine Art und Weise. Charaktere sind unterschiedlich, aber das Männer-Frauen-Thema sehe ich als Wiesnwirtin nicht.
Tauschen Sie sich mit Ihren Kolleginnen aus?
Mit Steffi Spendler und Antje Haberl bin ich sehr eng verbunden. Wir sehen uns oft. Es gibt auch viele Parallelen. Frauen reden ja auch ein bisserl offener miteinander. Schön ist, dass unsere Kinder auch sehr gut befreundet sind und sich austauschen.
Will ihr Sohn Niclas auch Wiesnwirt werden?
Ja. Er studiert jetzt gerade, muss da erst mal fertig werden, sich die Hörner abstoßen. Und so einfach wird man nicht Wiesnwirt. Aber er ist dieses Jahr das dritte Mal in der Geschäftsführung mit dabei. Er macht das ganz toll und ich bin froh, wenn ich die Familie um mich habe.
Wie viele Dirndl besitzt eigentlich eine Wiesnwirtin?
Viele (lacht). Es sammelt sich immer was an. Ich gebe auch viele wieder her. Meine Tochter freut sich darüber zum Beispiel immer sehr. Wenn die Wiesn 25 Tage dauern würde, könnte ich schon immer was anderes anziehen. Am ersten Tag ziehe ich immer ein bisserl was Besonderes an.
Gibt es Dinge, die Sie von Anfang an anders gemacht haben als Ihre Eltern?
Wir haben inzwischen sehr viel digitalisiert. Zum Beispiel mussten die Bedienungen anfangs mit Bargeld ihre Münzen kaufen, um sich an der Schänke ihr Bier zu holen. Das geht inzwischen über Kassen mit einer Art Schlüssel, der mit Geld geladen wird. Das war eine Riesenumstellung. Inzwischen haben das fast alle Zelte.
Hat sich das Publikum im Lauf der Jahre verändert?
Es sind nach wie vor viele Leute aus dem Ausland da. Und das "krasse" Italiener-Wochenende ist gar nicht mehr so krass inzwischen. Früher waren weniger Amerikaner hier. Aber im Moment steht der Kurs günstig, deshalb sind es mehr. In den letzten Jahren sind außerdem immer mehr Inder gekommen. Was ich sehr schön finde: Dass sich auch die Touristen sehr gerne mit einer Tracht kleiden. Ob das jetzt was Teures ist oder was Günstiges, ich finde das toll, wenn die ganze Stadt voller Trachten ist.
"Unsere Kapelle spult kein Tagesprogramm ab"
Apropos: Hofbräu wird das Touri-Zelt genannt. Stört sie das?
Nein, absolut nicht. Das Hofbräu-Festzelt ist ein bayerisches Zelt mit internationalem Flair. Es ist einfach so, dass die Marke Hofbräu im Ausland viel bekannter ist als Augustiner oder Paulaner. Die Touristen gehen ins Hofbräuhaus und dann gehen sie ins Hofbräuzelt, das ist ganz klar. Wir haben aber auch sehr viele einheimische Stammgäste, so entsteht eine ganz besondere Mischung. Ich glaube, dass es sich schon verteilt.
Und ich finde das so positiv. Wir haben ja als einziges Zelt einen Stehbereich vor der Musik. Das haben wir damals gemacht, weil die Touristen immer vor den Tischen standen und geredet haben. Die waren das aus ihren Pubs gewohnt, zu stehen, Leute anzusprechen, zu fragen, wo sie herkommen. Alle sind da zum Glücklichsein und das funktioniert ganz toll.

Die Musik ist im Hofbräu auf jeden Fall sehr international. Seit wann ist das eigentlich so?
Unser Kapellmeister Alois Altmann ist schon sehr lange bei uns. Seine Isarspatzen spulen kein Tagesprogramm ab, sondern spielen das, was im Moment ankommt. Vor der Wiesn kommen wir immer auf die lustigsten Ideen und dann wird auch mal etwas einstudiert, das Wiesnhit werden könnte. Vor zwei Jahren war das "Sará perche ti amo". In diesem Jahr ist es Oimaras "Wackelkontakt".
Wie sieht es mit dem Konsum aus? Wird anders gegessen?
Bei uns wurden früher sehr viel nur Hendl und Spareribs gegessen. Jetzt verkaufen wir wesentlich mehr von der kompletten Speisekarte. Ich bin auch extrem stolz auf unseren Küchenchef, der immer wieder Kreationen für jeden Geschmack entwickelt, damit sich alle Gäste wohlfühlen. Der macht das ganz toll. Wir würden auch gerne eine größere Karte anbieten, aber das schafft unsere Küche von der Größe her nicht. Ein Hendl ist einfacher zu handlen. Das kommt vom Spieß auf den Teller. Ein Hauptgericht mit Beilagen ist aufwendiger. Aber wir optimieren immer wieder und nehmen was Neues auf die Karte. Dieses Jahr ist das ein Ochsen-Burger. Außerdem gibt es bei uns auch vegetarische und vegane Gerichte. Und besonders stolz sind wir auf die Auszeichnung mit dem Qualitätssiegel "Ausgezeichnetes Bayerisches Festzelt", die wir für unsere traditionellen Gerichte mit regionalen Zutaten zum wiederholten Mal bekommen haben.
Stimmt es, dass weniger Alkohol getrunken wird?
Ja. Es wird mehr alkoholfreies Bier getrunken. Viele trinken eine Maß, dann eine Alkoholfreie und dann vielleicht noch mal ein richtiges Bier. Ansonsten ist das auch wetterabhängig. Als es vor zwei Jahren so heiß war, haben die Gäste viel mehr Wasser getrunken.

Wie viele Maß schafft denn ein gestandenes Mannsbild heute? Und eine trinkfeste Frau?
Ich kenne welche, die haben zwölf getrunken. Aber die waren dann nicht mehr gut drauf (lacht). Aber das hängt ja auch von der Konstitution ab. Manche trinken eine Maß und spüren gar nix. Ich trinke eine Maß und merke das total. Frauen schaffen vielleicht zwei bis drei Maß.
"Eine schöne Erinnerung ist die Zeit als Münchner Kindl"
Bieten Sie Kartenzahlung an?
Das ist leider ganz schwer handlebar. Wir haben 270 Bedienungen. Wenn du jeder ein EC-Kartengerät in die Hand gibst, würde das von unseren WLAN-Verbindungen her gar nicht gehen. Mit Karte kann man nur im Büro bezahlen. Wir haben im Zelt zwei Geldautomaten. Firmen kommen ins Büro und bezahlen ihre Rechnung dort.
Welche Tageszeit ist Ihre liebste im Zelt?
Da gibts viele. Ich mag's in der Früh, bevor die Gäste da sind. Da ratscht man mit den Bedienungen, frühstückt. Was ich auch ganz toll finde, ist der Reservierungswechsel zwischen 17 und 18 Uhr, die Zeit, bevor der große Abend-Run losgeht. Wir schnaufen dann alle noch mal durch und die Bedienungen erzählen ein bisserl. Aber abends, wenn Remmidemmi ist, ist auch toll!

Können Sie sich an eine bestimmte Wiesn noch besonders gut erinnern?
Eine schöne Erinnerung ist die Zeit, als ich Münchner Kindl war von 1995 bis 1998. Da war ich extrem stolz, den Einzug der Wiesnwirte und den Trachtenumzug anzuführen.
Lustig ist es auch immer wieder, im Büro zu stehen. Wer da alles reinkommt und was die alles wollen, ist schon skurril. Von Menschen, die sagen "Ich finde mein Hotel nicht mehr" bis hin zum nächsten, der sich schon die Hose aufknöpft und uns mit der Toilette verwechselt. Wenn Sie mal Kino brauchen, dann kommen Sie mal eine Stunde zu uns ins Büro!