Biken durch Italiens Bauernstube
Panicale - Blitzsaubere Rennräder lehnen an Tischen und Wänden der kleinen Bar. Die Trainingsgruppe ist zu Bier und Rotwein übergegangen, weil draußen der Regen auf Dächer und Straßen prasselt. Da kann man mit den dünnen Reifen nicht mehr fahren. Ganz zu schweigen von den weißen Trikots und Hosen, die sauber bleiben müssen. An unseren Leibchen hingegen klebt der Dreck der umbrischen Felder und Wege. Mühsam haben wir uns mit den Mountainbikes durch die Äcker gepflügt. Die Bar ist nur eine Zwischenstation, um die Wasserflaschen aufzufüllen und ein Panino zu essen.
Mountainbiker lassen sich von schlechtem Wetter schließlich nicht stoppen. Schon gar nicht am Lago Trasimeno, wo man ideale Bedingungen vorfindet. Die Region in Mittelitalien ist ein perfektes Terrain für das Radfahren im Gelände. Niemand muss sein Rad in eine Gondel hieven oder sich erst lange Anstiege emporquälen, um anspruchsvolle Trails zu erreichen, wie es in Österreich oder der Schweiz nötig ist.
Dafür ist man oft stundenlang unterwegs, ohne eine Menschenseele zu treffen. Die Einheimischen sind lieber mit dem Rennrad auf Tour, Bike-Touristen haben die Region 100 Kilometer südlich von Florenz noch nicht entdeckt. Umbrien ist ein bisschen wie die angrenzende Toskana: Die Städte thronen auf den unzähligen Hügeln, kein Dorf kommt ohne Castello daher, verstreut in der grünen Landschaft liegen Herrenhäuser und Bauernhöfe, deren Zufahrten von Zypressen bewacht werden. Hier ist es allerdings eine Spur ländlicher. Kaum Industrie, viel Agrarland, Schweinezucht. Umbrien ist die Kornkammer und Bauernstube Italiens.
„Manchmal findet man neue Trails und freut sich“
Weil es meist keine Wegweiser gibt oder die Beschilderung einer Logik folgt, die nur Italiener verstehen, hat man als Bike-Neuling in Umbrien allerdings nur zwei Möglichkeiten, sich durch den wilden Wald zu schlagen: Entweder nutzt man ein GPS-Gerät, das wie ein Tacho auf den Lenker gesteckt wird, oder man schließt sich einem Guide an.
Unserer heißt Michael, stammt aus Südtirol und ist manchmal ein bisschen experimentierfreudig. Wir stehen schon irgendwo im Nirgendwo, als er vorschlägt, „mal etwas Neues auszuprobieren“. Wir nehmen einen Trampelpfad ins Dickicht, nach 20 Metern müssen selbst die Cracks absteigen. Nach zehn Minuten Mountainbikeschieben und -tragen sind wir wieder auf dem Weg. „Manchmal findet man neue Trails und freut sich“, erklärt Michael, der uns unfreiwillig Einblick in die Pionierarbeit gegeben hat, die sein Chef Jürgen hier am Lago Trasimeno geleistet hat.
Vor sechs Jahren ist Jürgen mit seiner schweizer-deutschen Frau Silvia nach Umbrien gekommen, um sich einen Traum zu erfüllen: ein „Rustico“ herrichten und zur Bikestation ausbauen. Aus dem Bauernhäuschen ist die stattliche „Villa Rey“ geworden, mit fantastischem Blick auf die umbrischen Hügel, die ein sanftes Gesicht, aber einen rauen Charakter haben. Jürgen ist zu Recht stolz auf die über 1000 Kilometer Mountainbike-Routen, die er ins GPS eingespeist hat. Jeden Meter hat er erarbeitet. Er war der Verzweiflung nahe, als er mit den teuren Militärkarten „im Gelände“ war. „Ich stand plötzlich vor einem See, der gar nicht eingezeichnet war.“ Das italienische Heer hat das Material zuletzt 1930 aktualisiert. Also ist Jürgen losgefahren und hat jede Abzweigung ausprobiert.
In der Regel haben die Gäste mindestens einmal die Alpen überquert
Für uns bleibt es zum Glück bei einem Ausflug in die Wildnis. Wobei wir uns bei den Touren regelmäßig fragen, ob wir noch auf dem richtigen Pfad sind. Wir hoppeln über frisch gefurchte Äcker, abgemähte Felder, nichtabgemähte Felder, folgen Wildschweinpfaden. Der Weg ist das Ziel - nirgendwo trifft diese Philosophie besser zu als in Umbrien. „Mountainbiken ist für mich das, was gerade noch zu fahren geht“, erklärt Michael. Auch wenn wir den nächsten Ort schon vor Augen haben, findet er immer noch eine Extra-Schleife mitten durch den Wald, hinab zum Fluss, hinauf auf den Hügel - und dann erst ins Dorf.
Egal ob Panicale, Tavernelle oder Montegabbione - eine Bar hat immer offen. Einmal landen wir bei der 83-jährigen Eva, die sich flugs vom Kartenspiel erhebt und die richtige Espresso-Zubereitung erklärt. Überm Tresen hängt ein Porträt von ihr auf himmelblauem Grund, zum Abschied schenkt sie Bonbons. „Damit ihr wieder Kraft bekommt.“ Die nächste Mittagspause führt uns zu Maria Pia, die ein Restaurant in Magione betreibt. Hier kommen Trucker, Arbeiter und Familien vorbei, um die berühmte „torta“ zu essen. Keine Süßspeise, sondern ein feuerig-frisches Fladenbrot, das mit allem gefüllt wird, was gerade in der Küche rumsteht.
Abends wird das Menü in gemeinsamer Runde in der Villa Rey eingenommen. Meist haben sich die Paare tagsüber getrennt: Während die Männer mit Michael Höhenmeter sammeln, sind die Damen beim Technikkurs oder begnügen sich mit einer kürzeren Tour. In der Regel sind die Gäste deutschsprachig, zwischen 35 und 55 Jahre alt, haben mindestens einmal die Alpen per Bike überquert und sind auf der Suche nach neuem Terrain in Umbrien gelandet.
Hauptsache bei der Weinprobe den längeren Atem
Wir stoßen bei unserer nächsten Tour auf die einzige Spezies Einheimischer, die sich auf zwei Rädern in die Wälder wagt. Motorradfahrer brettern mit ihren Enduros über die Pisten: In Italien gehört das zu den beliebtesten Outdoor-Sportarten. Mitleidig blicken sie auf uns Biker, nur Jürgens Rad wird genau unter die Lupe genommen. Er ist heute mit einem Elektro-Mountainbike unterwegs. „Ich will neue Routen suchen, damit ist es nicht ganz so mühsam.“ Am Ende des Tages hat er aber nur unsere Gruppe begleitet und muss sich allerlei Witze anhören, ob er nicht genügend Kondition habe. Dafür beweist er bei der abschließenden Weinprobe den längeren Atem. Schließlich gibt es regelmäßig Kulturprogramm im Rahmen der Biketouren. Die Teilnehmer entscheiden selbst, ob sie im verschwitzten Radtrikot beim Winzer einkehren oder frisch geduscht mit dem Auto zur Stadtführung ins mittelalterliche Panicale fahren. Dort kommen wir wieder an der Bar vorbei, in der wir neulich am Schlechtwettertag waren. Diesmal scheint die Sonne. Drinnen prosten sich die Rennradfahrer zu.
Anreise
Mit dem City Night Line der Deutschen Bahn in zehn Stunden ab München nach Chiusi. Hin und zurück ab 250 Euro, www.citynightline.de. Mit dem Auto über den Brenner auf die italienische A 1, vorbei an Bologna Richtung Umbrien. Flugverbindungen am besten nach Rom oder Florenz. Günstig ist z. B. die Ryanair-Verbindung von diversen deutschen Flughäfen (Frankfurt-Hahn, Karlsruhe, Memmingen) nach Rom-Ciampino, www.ryanair.com. Dann weiter mit Mietwagen oder Zug.
Unterkunft
Als gute Basis nahe dem Lago Trasimeno eignet sich die Villa Rey. Das Hotel ist mit Bikewerkstatt, Leihrädern, E-Bikes etc. auf die Bedürfnisse von Radlern eingestellt. Für Gäste gibt es ein täglich wechselndes Tourenprogramm in kleinen Gruppen. Spezielle Angebote für Biker mit verstärktem Frühstück, Nachmittagssnack, abends gehobenes Menü. Ab 605 Euro/Person/Woche im DZ, www.villarey.eu
Country House Monteluce: Landhaus mit Eichenallee, DZ ohne Frühstück ab 60 Euro, www.countryhousemonteluce.com.
Dolce Agogia: liebevoll eingerichtetes Apartment in umbrischem Bauernhaus. DZ ab 43 Euro , www.alberghieturismo.it
Ausflüge
Perugia: Die Universitätsstadt ist sehenswert, beherbergt eine „Stadt unter der Stadt“, www.perugiaonline.com.
Assisi: nach dem Petersdom in Rom die zweitwichtigste Pilgerstätte in Italien. Panicale: Das Städtchen steckt noch tief im Mittelalterschlaf, beherbergt außerdem ein sehr gut erhaltenes Fresko von Raffael. Beim Tourismusbüro nach dem Schlüssel für die Kirche San Sebastiano fragen, www.panicaleturismo.it
Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall den Lago Trasimeno auf einer Vespa umrunden. Das ist eine willkommene Abwechslung für Zweiradfans am bikefreien Tag. Der Verleih befindet sich in San Savino, www.umbriainvespa.com.
Auf keinen Fall zur nächstbesten Olivenmühle gehen. Denn die Familie Mancianti in San Feliciano am Lago Trasimeno produziert das angeblich beste Olivenöl Umbriens, www.frantoiomancianti.com