Analyse: Deutschland guckt in leere Gas-Röhre

Berlin (dpa) - Ausgerechnet am kältesten Tag seit mehr als 20 Jahren bleibt das Gas weg. Während Millionen Bürger bei Temperaturen von bis zu minus 26 Grad ihre Heizungen voll aufdrehen müssen, schickte Deutschlands Gas-Riese E.ON Ruhrgas eine beunruhigende Nachricht in die Lande.
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Ein Mitarbeiter überwacht in der Leitzentrale des Erdgasspeicher Reitbrook des Netzbetreibers e-on Hanse bei Hamburg den Gasdruck.
dpa Ein Mitarbeiter überwacht in der Leitzentrale des Erdgasspeicher Reitbrook des Netzbetreibers e-on Hanse bei Hamburg den Gasdruck.

Berlin (dpa) - Ausgerechnet am kältesten Tag seit mehr als 20 Jahren bleibt das Gas weg. Während Millionen Bürger bei Temperaturen von bis zu minus 26 Grad ihre Heizungen voll aufdrehen müssen, schickte Deutschlands Gas-Riese E.ON Ruhrgas eine beunruhigende Nachricht in die Lande.

Im Laufe des Dienstags kam immer weniger Gas mehr aus Russland über die ukrainischen Pipelines bei Ruhrgas an. Die Haushalte leiden seit langem unter drastisch gestiegenen Gas- und Strompreisen, jetzt kommt die Sorge hinzu, dass Herd und Dusche kalt bleiben könnten, wenn in Osteuropa die Röhren dauerhaft dicht sind.

Die Energiebranche beschwichtigt. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) könnten vor allem die Niederlande und Norwegen schnell mehr Gas liefern. Außerdem sind die 46 unterirdischen Gasspeicher gut gefüllt. Sie können bis zu 20 Milliarden Kubikmeter aufnehmen, das ist fast ein Viertel des 2007 verbrauchten Erdgases. «Die deutsche Gasbranche verfügt damit über das größte Speichervolumen in Europa», sagte BDEW-Geschäftsführer Martin Weyand.

Sollte aber die arktische Kälte länger anhalten und der Zoff zwischen Gazprom und der Ukraine nicht bald gelöst werden, müsste die Lage wohl neu bewertet werden. Der Berliner Anbieter Gasag rechnete für die Hauptstadt vor, dass bei 0 Grad Celsius Außentemperatur etwa 90 Millionen Kilowattstunden Gas täglich verbraucht werden. Bei minus 5 Grad steigt der Bedarf um 25 Prozent, bei minus 10 Grad sogar um 50 Prozent.

Die Bundesregierung kann nicht viel mehr tun, als an die Vernunft von Gazprom und die Ukraine zu appellieren. Auch haben deutsche Konzerne langlaufende Lieferverträge und zahlen dafür mit hartem Euro. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) beruhigte nach einem Treffen mit Gazprom-Vize Alexander Medwedew die Verbraucher. Eine akute Versorgungskrise gebe es nicht. Den schwarzen Peter schob Glos aber nicht allein den Russen zu. Auch die Ukraine müsse sich bewegen und an den Verhandlungstisch setzen.

Wer Medwedew am Dienstagabend nach dem Treffen mit Glos zuhörte, hatte nicht den Eindruck, dass eine schnelle Lösung mit der Ukraine in der Luft liegt. «Gazprom tritt knallhart auf», berichteten Gesprächsteilnehmer. Der mächtige Manager beschimpfte Kiew als «Gas- Räuber». Klar ist längst, dass es wohl nicht nur um Preise, sondern um einen politischen Machtkampf zwischen Moskau und der Ukraine geht.

In Regierungskreisen ist man über das Gebaren von Gazprom verschnupft. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass Deutschland und Westeuropa von dem Monopolisten mit besten Kreml-Kontakten quasi in Geiselhaft genommen werden. Anfang 2007 kam aus der Pipeline «Freundschaft» im brandenburgischen Schwedt kein Tropfen Öl mehr, weil Russland sich mit Weißrussland einen heftigen Preispoker lieferte. Damals hatte Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharfe Töne angeschlagen. Solches Säbelrasseln zerstöre das gegenseitige Vertrauen.

So paradox es klingt, die wiederholten russischen Lieferstopps haben auch ihr Gutes: Der Druck auf die Politiker in Berlin und Brüssel wächst, die Abhängigkeit von Energie-Importen zu verringern. Große Fortschritte sind in den Vorjahren nicht erzielt worden. Der Transport verflüssigten Erdgases (LNG) in Tankschiffen boomt, um nicht auf Pipelines durch Krisengebiete angewiesen zu sein. Zugleich buhlen aber auch Russland, die USA oder China um die LNG- Reserven im Kaspischen Meer, im Nahen Osten oder in Afrika.

Der neue Gas-Streit könnte jetzt aber einem in Europa besonders umstrittenen Milliardenprojekt Auftrieb geben: der Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland. Zuletzt legten Schweden, das Baltikum und Polen aus Angst vor zu viel Einfluss der Russen immer wieder Steine in den Weg. Sollte die Pipeline in ein paar Jahren fertig sein, könnte Europa Preiskämpfe zwischen Russland und seinen Anrainern aus alten Sowjet-Zeiten deutlich gelassener sehen. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Pipeline-Aufsichtsratschef, Gazprom-Intimus und Putin-Freund, wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

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