Altes Denken
Was fällt den Parteien zu ihrem Desaster ein? Ein „Weiter-so“: AZ-Aktuell-Ressortchef Frank Müller über die Folgen des Wahlsonntags
Die einen wollten im Schlafwagen zur Macht, die anderen hofften besinnungslos auf eine Wende in letzter Minute: Doch seit diesem Wahlsonntag sind alle Blütenträume unserer ehemaligen Volksparteien ausgeträumt. Die Union weiß nun, dass es keine Garantie auf Schwarz-Gelb gibt. Und der SPD bleibt die schwer zu verkraftende Erkenntnis, dass sie sogar, wie es in Sachsen fast geschehen wäre, hinter die FDP zurückfallen kann.
Ein paar Zehntelprozente verhinderten diese finale Blamage. Aber für kräftigen Zugwind in den Parteizentralen reichen selbst solche Schockresultate nicht mehr. Die Union muss Erdrutschresultate verkraften, die SPD verschwindet im Nirvana – und von den jeweiligen Parteichefs kommt die frohe Botschaft von Weiter-so und kräftigem Rückenwind.
Dahinter verbirgt sich das größte Wahrnehmungsdefizit seit Gerhard Schröders denkwürdiger Wahlabendshow von 2005, als er sich gegen alle Arithmetik für den Wahlsieger hielt. Union und SPD 2009 – man träumt von Lagern, die es nicht mehr gibt, und versäumt die selbstbewussten Antworten auf die Fragen von morgen.
Doch 20 Jahre nach dem Mauerfall hat sich in Deutschland das politische System endgültig geändert: Wir haben nun ein flächendeckendes Fünf-Parteien-System, das ganz neue Anforderungen an die Mitspieler stellt. Doch die Parteien reagieren vorwiegend mit kindischen Rechenspielen und dem Ausschließen neuer Optionen – mit altem Denken also. So richtig ist keine der großen Parteien im 21. Jahrhundert angekommen.