Volkmar Halbleib: Ein Lehrjahr für die Kulturpolitik
Wer von Auftritten lebt, ist seit März arbeitslos. Einen gewissen Ausgleich bilden staatliche Hilfsprogramme. Das erste Programm mit maximal 1.000 Euro für drei Monate lief im September aus. Kritik kam nicht nur von Betroffenen und der Landtags-Opposition: Es gilt selbst in Regierungskreisen als gescheitert. Mit einiger Verspätung startete am Freitag das neue Soloselbstständigenprogramm. Es kann rückwirkend für Oktober bis Dezember beantragt werden. Die Künstlerhilfe sieht eine Maximalsumme von 1.180 Euro pro Monat vor.

AZ: Herr Halbleib, kommen die neuen Hilfen bei den Betroffenen an?
VOLKMAR HALBLEIB: Die Freude, dass das Programm endlich anläuft, und der Ärger, dass es so lange gedauert hat, liegen nah beieinander. Aber wenn man das Programm anschaut, wurden drei zentrale Kritikpunkte der Opposition berücksichtigt.
Und die wären?
Erstens der "fiktive Unternehmerlohn". Das klingt spröde, meint aber die Sicherung des Lebensunterhalts der Solo-Selbständigen, die nun seit März ohne Einkünfte dastehen. Das war bisher ausgeschlossen und steht nun explizit drin. Zweitens wurde die Bandbreite erweitert auf kulturnahe Tätigkeiten, vom Veranstaltungsmanagement bis hin zur Kulturvermittlung in Museen, die ebenfalls von Selbstständigen geleistet wird. Drittens ist es nun auch möglich, in gewissem Umfang Bundes- mit Landeshilfen zu kumulieren.
Es gibt also verhaltenes Lob von der Opposition für die Staatsregierung.
Wir haben hart für dieses Programm gekämpft, und es scheint mir, dass es darum letzte Woche noch anders stand. Der Druck aus dem Landtag durch die öffentliche Anhörung hat einiges bewegt, und aus meiner Sicht spielte es auch eine Rolle, dass eine Reihe von wichtigen Kulturschaffenden um Bernd Schweinar vom Verband für Popkultur in Bayern mit einer Petition gedroht haben. Denn das ursprünglich geplante Hilfsprogramm war unzureichend.
Hilfen für die Kultur: Was passiert ab Januar?
Gibt es auch ein "aber" beim neuen Programm?
Der Landtag wird die Umsetzung genau beobachten. Anträge sind nun seit 18. Dezember möglich, aber wann die Auszahlung kommt, steht auf einem anderen Blatt. Es ist für uns ein Prüfstein, wie rasch Auszahlungen im neuen Jahr erfolgen, ein weiterer sind Widersprüche und die ausufernde Bürokratie und die Frage, was ab Januar passiert. Denn eigentlich hat die Staatsregierung Hilfen so lange zugesagt, bis ein Bundesprogramm sie ablöst, erforderlichenfalls bis Ende Juni 2021.
Ich höre immer wieder von Selbstständigen aus dem Kulturbereich, dass sie sich von der Politik nicht ernstgenommen fühlen.
Das ist ein Fehler der Politik, denn in Bayern und in den Metropolregionen München und Nürnberg-Erlangen entstehen viele Innovationen und damit Wertschöpfung jenseits der institutionellen Absicherung. Deshalb ist hier mehr Wertschätzung und Wahrnehmung wichtig, so abgedroschen das auch klingen mag. Die Politik muss sich auch klar machen, dass in diesem Bereich die Auftragslage in Wellen verläuft. Deswegen glaube ich, dass das vergangene Jahr auch ein Lehrjahr für die Politik war.
Zuletzt wollten Künstler aus dem Klassik-Bereich wegen der fehlenden Kunstfreiheit klagen. Wäre es nicht sinnvoller, entgangene Einkünfte zu erstreiten?
Wenn der Staat aus Gründen des Infektionsschutzes und damit aus zwingender Not die Schließung der Spielstätten beschließt, sollte man die Betroffenen nicht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II verweisen. Da geht es nicht um wegfallende Aufträge wegen mangelnder Nachfrage. Der Staat muss daher ein eigenes Hilfsprogramm auflegen.
Im Bund wurden die Hilfen schneller umgesetzt, in Bayern dauerte es
Wieso verstreicht so viel Zeit zwischen der Ankündigung und der Realisierung der Programme? Liegt es am Minister, am Ministerium oder am Ministerpräsidenten?
Ich komme aus der Verwaltung und verstehe einen Teil der Zwänge und die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung. Aber ich werde den Eindruck nicht los, man habe die Probleme der Solo-Selbstständigen im Frühjahr erst mal zur Seite gelegt. Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung deutlich formuliert, was zu leisten sei. Ich bin mir nicht so sicher, ob sich das immer jeder Minister ganz zu seiner Sache macht und mit Nachdruck für eine zügige Umsetzung sorgt.
Geht es anderswo schneller?
Bei den Novemberhilfen des Bundes gab es vier Wochen nach dem politischen Beschluss bereits Abschlagszahlungen, während es in Bayern acht Wochen gedauert hat, bis überhaupt erst Anträge gestellt werden konnten.
Was kann im neuen Jahr noch besser werden?
Das Kunstministerium muss das im Herbst angekündigte Stipendienprogramm, das die SPD vorgeschlagen hat, auf den Weg bringen. Da sind immer noch keine Anträge möglich. Wir brauchen eine Förderberatung, weil viele allein arbeitende Betroffene mit den Anträgen nicht zurechtkommen. Und ich hoffe auf Öffnungskonzepte für das neue Jahr, in denen das gewonnene Knowhow aus Studien und Testphasen eingebracht wird. Und es muss einen finanziellen Ausgleich geben, damit private Veranstalter wirtschaftlich planen können.
Wolfgang Heubisch: Offener Brief an den Kunstminister

In einem "Offenen Weihnachtsbrief" fordert Wolfgang Heubisch, der Kultursprecher der Landtags-FDP, den gegenwärtigen Kunstminister Bernd Sibler auf, einen "irreparablen Schaden für die kulturelle Vielfalt in Bayern zu verhindern". Heubischs Forderungen decken sich in vielem mit denen seines SPD-Kollegen Hartleib. Darüber hinaus wünscht sich der ehemalige Kunstminister die Begleitung des Neustarts im kommenden Jahr durch eine staatliche Kampagne, mit der "verlorenes Vertrauen" zurückgewonnen werden soll.
Neben einer schnellen, kompetenten und transparenten Kulturförderberatung sowie dem Ausbau neuer digitaler künstlerischer Formate und Vertriebswege bringt Heubisch eine bayernweite Crowdfunding-Plattform zur Unterstützung von kulturellen Projekten und kreativen Initiativen ins Spiel. Als Vorbild nennt Heubisch hier die Plattform der Stadt München. Um die Kunst- und Kulturschaffenden zu unterstützen denkt Heubisch aber auch an neue Wege: "Ich wünsche mir nicht nur, dass die bayerische Staatsregierung Kultur in Corona-Zeiten durch Hilfsmaßnahmen unterstützt, sondern gezielt Aufträge vergibt und zeitgenössische Kunst ankauft. Denkbar wäre zum Beispiel ein Fonds für die künstlerische Auseinandersetzung mit den Folgen der Pandemie auf unsere Gesellschaft."
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