Startbahn gestoppt: Gute Nacht, München
Die dritte Startbahn darf nicht gebaut werden, die Olympischen Spiele finden woanders statt, und Hochhäuser gibt’s auch keine: München wird zur Stadt ohne Visionen. Eine Polemik von AZ-Chefredakteur Arno Makowsky.
Hallo? Schon jemand wach? Oder schlafen noch alle, den Schlaf der Gerechten, der Selbstzufriedenen, der Genügsamen? Es ruht sich gut in der Hauptstadt der Gemütlichkeit, oder? In der Stadt, in der Veränderungen streng verboten sind, in der Hochhäuser und Ideen nicht in den Himmel wachsen dürfen, und in der man auch keine weitere Startbahn braucht, weil man immer schön auf dem Boden bleibt.
Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Das hat zwar kein Münchner gesagt, sondern der Hanseat Helmut Schmidt, aber es passt prima zu unserem schönen Städtchen im Süden der Republik. Großprojekte, Perspektiven, Zukunftschancen? Brauchma ned. Das in München maximal durchsetzbare Großprojekt ist der Bau dreier Brotzeithütten im Augustiner Biergarten. Wobei es auch hier erhebliche Widerstände gab.
Lesen Sie hierzu das Gegenstück von AZ-Kulturchef Volker Isfort: Kreuz des Nordens
Der Münchner braucht zum Beispiel keinen Transrapid, er fährt lieber mit der Straßenbahn. Oder gleich mit dem Liegerad, dem Lieblingsmobil aller Besserwisser und Fortschrittsverweigerer, für die Veränderungen immer erstmal „im Kleinen“ beginnen müssen.
Es ist aber so: Alles, was im Kleinen beginnt, versandet schon bald. Klein bringt’s nicht! Dafür war die Diskussion um den Transrapid vor fünf Jahren ein schönes Beispiel. Es ist ja wahr, dass dieser Zug irrsinnig teuer und für eine kurze Strecke überdimensioniert ist. Aber, erstens, ist er ein Symbol für sympathischen Größenwahn, der in dieser Stadt fehlt. Zweitens hätten wir, wäre der Transrapid gebaut worden, jetzt eine schnelle Verbindung zum Flughafen. Er wurde aber nicht gebaut – und sonst auch nichts. Keine Express-S-Bahn, keine Umland-Tram, gar nichts.
Das letzte Wort haben bei uns immer die Liegeradfahrer
Nur ein Großprojekt hätte etwas bewirkt, etwas verändert. Aber wo samma denn? Ist doch so auch schön in der S 8. Nächster Halt Englschalking! Beim Langsamfahren übers Land kann man nett mit den anderen Fahrgästen ratschen und draußen den Maiskolben beim Wachsen zuschauen.
Auch Olympische Spiele braucht München keine, weshalb im vergangenen Jahr großer Jubel ausbrach, als das IOC sich für Pyeongchang entschied. Die Spiele wären tatsächlich eine extreme Zumutung für die Blumenwiesen in Garmisch gewesen. Kein Wunder, dass sich letztlich die Münchner Liegeradfahrer durchgesetzt haben.
Logisch, dass es in unserer schönen Stadt immer noch keine richtigen Hochhäuser gibt. Es ist zwar schon acht Jahre her, dass ein Bürgerentscheid den Bau von Türmen verbot, die höher als die Frauenkirche sind. Auch ist der Entscheid längst nicht mehr bindend. Aber hier fühlt man sich einfach wohl im Klein-Klein.
Münchner Architektur heißt: Entweder in die Breite protzen (wie bei den überdimensionierten Klötzen am Altstadtring) oder nicht auffallen. Ästhetische Verzwergung statt schlanker Türme. Die Messestadt Riem, die Bebauung an den Bahngleisen zwischen Hauptbahnhof und Pasing: alles belanglos, alles langweilig, alles schlechter Durchschnitt.
Warum ist das so in München? Warum, zur Hölle, begnügen sich so viele Menschen hier mit dem Mittelmaß, warum schwelgen sie in immerwährender Retroseligkeit? Vielleicht ist es die Behäbigkeit der alten Residenzstadt. Man grantelt gern, aber ist ansonsten zufrieden. Man lebt, wie Soziologen sagen, in der Komfortzone und will sie auf keinen Fall verlassen. Es sei denn, ein fieser Spekulant wirft einen aus der Schwabinger Altbauwohnung.
Klar: Einen gewissen Charme hat die Münchner Selbstgewissheit natürlich. Aber diese Stadt muss aufpassen, dass sie irgendwann nicht komplett einschläft.
Morgen lesen Sie eine Replik von AZ-Kulturchef Volker Isfort.
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