Satiremagazin "Simplicissimus" feiert Geburtstag: Warnung vor dem Hunde
München - Man möchte diesem Vieh auf keinen Fall begegnen. Weder am helllichten Tag und schon gar nicht im Dunklen. Insofern hatte Thomas Theodor Heine mit seiner blutroten Bulldogge das perfekte Symbol für den vor 125 Jahren gegründeten "Simplicissimus" geschaffen. Denn wie vor dem zähnefletschenden Höllenhund musste man sich auch vor der Satirezeitschrift fürchten. Erbarmungslos spottend bissen ihre Münchner Macher zu, und besonders scharf waren sie auf die Repräsentanten des Kaiserreichs, also auf Militärs und Korpsstudenten, auf Kleriker und überhaupt das Bürgertum in seiner ganzen Spießigkeit.
Satiremagazin "Simplicissimus": Erste Ausgabe war ein Reinfall
"Es hat mir so wollen behagen, mit Lachen die Wahrheit zu sagen", heißt es im namengebenden Schelmenroman des Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Und so wurde der Dienstag bald auch zum Tag der Wahrheit. Da kam der provokante "Simplicissimus" heraus, und Politiker samt hohen Beamten blätterten mit reichlich nervösen Fingern durch die Seiten. Sie bekamen ihr Fett ab, in jeder einzelnen Ausgabe. Dabei war das am 4. April 1896 erstmals erschienene "illustrierte Kunst- und Kampfblatt ohne politische Tendenz" zunächst ein gigantischer Reinfall.
Der erst 26-jährige Verleger Albert Langen, ein steinreicher Kölner Industriellensohn, ließ zum Start 48.000 Exemplare drucken - und konnte gerade mal 10.000 zum Preis von 10 Pfennigen absetzen. Doch das Konzept war bezwingend, und Langen setzte von Anfang an auf Qualität. Wer die halbe Gesellschaft durch den Kakao zieht, muss das mit sicher geführtem Florett tun, geistreich, wohlinformiert und mit einprägsamen Karikaturen. Deshalb sind es in erster Linie die Bilder, die bis heute im Gedächtnis haften: von näselnden Akademikern und aufgedonnerten Matronen, ausgemergelten Habenichtsen und mit Monokel bewaffneten Leutnants.
Auch Paul Klee wollte Teil der Redaktion sein
Auf den bitterbösen Punkt gebracht haben das Zeichner wie Bruno Paul, der später als Architekt bekannt wurde, der Wiener Ferdinand von Reznicek, durch dessen kokette bis mondäne Sirenen ein Hauch Erotik ins Heft kam, und der auf bayerische Themen spezialisierte Eduard Thöny aus Südtirol. Oder dann ab 1907 Karl Arnold, der sich den schwollschädligen Bierdimpfel mit den Hakenkreuz-Pupillen ausgedacht hat, und schließlich der präzise stichelnde norwegische Kraftkerl Olaf Gulbransson. Dessen Schülerin Franziska Bilek - ihr Herr Hirnbeiß bereichert noch 30 Jahre nach ihrem Tod die Abendzeitung - war neben Käthe Kollwitz eine der wenigen Frauen, die in die Männerriege des "Simplicissimus" eindringen konnte. Paul Klee hat sich übrigens vergeblich um Aufnahme in die Redaktion bemüht, aber das dürfte für beide Seiten besser gewesen sein.

"Simpl"-Redakteure verdienten für eine Seite zwischen 50 und 250 Reichsmark
Zugleich bot die Zeitschrift eine Plattform für junge Autoren, und gerade aus den ersten Jahren sind sie reihenweise in die Literaturgeschichte eingegangen. Im "Simpl", wie er der Einfachheit halber genannt wurde, standen Verse von Rainer Maria Rilke (damals noch als René unterwegs), von Anton Tschechow, Guy de Maupassant oder Hugo von Hofmannsthal. Ausschnitte aus Heinrich Manns "Der Untertan" wurden gedruckt, und neben Jakob Wassermann, Frank Wedekind, Alexander Roda Roda oder Karl Kraus gehörte auch Thomas Mann zeitweise zu den Edelfedern. Man kann sich ein Zusammenspiel so unterschiedlicher Supertalente gar nicht mehr vorstellen, zumal ein vergleichbares Unternehmen schwerlich zu finanzieren wäre. Langen schoss allerdings auch viel aus der Privatkasse zu, sodass seine Mitarbeiter tatsächlich exzellent verdienten.
Karikaturisten erhielten zu Beginn für eine Seite zwischen 50 und 250 Reichsmark und 1906, mit der Gründung einer GmbH zum 10-Jährigen, noch einiges mehr. 1911, da war Langen bereits zwei Jahre tot, konnten die "Simpl"-Redakteure einen Gewinn von 150.000 Reichsmark untereinander aufteilen. Nur zum Vergleich: Ein Arbeiter bekam um die Jahrhundertwende etwa 60 Mark im Monat. Und auch diese Unterschiede spielten im Satireblatt selbstredend eine Rolle. Auf den glanzvollen Bällen hat sowieso nur eine überschaubare Schicht getanzt, im Staat gab der unberechenbare Kaiser Wilhelm den mehr oder weniger peinlich Ton an, und die Stimmung zwischen dem Deutsch-Französischen Gemetzel von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg war ziemlich explosiv. Alles schien auf den großen Knall zu warten, das hat nicht zuletzt eine enorme Reizbarkeit gezeigt.

Jeder Prozess und jede Hausdurchsuchung steigerten die Auflage
Blickt man in die Chronik des "Simplicissimus", dann ist bald jeder Angriff auf die Obrigkeit zum Skandal hochgeschaukelt worden. Wobei das dem Erfolg der Zeitschrift bestens bekam, und wenn es noch zu polizeilichen Durchsuchungen und Prozessen kam, umso besser. Ludwig Thoma zum Beispiel, der Dichter der "Lausbubengeschichten", wurde 1904 zu sechs Wochen Haft verurteilt, weil der die "Sittlichkeitsprediger in Köln am Rhein" mächtig verhöhnt hatte. Für den größten Eklat sorgte jedoch Kaiser Wilhelms pompöse Palästinareise.
Sie wurde 1898 zum Anlass genommen, neben der Gefallsucht des Monarchen besonders an dessen mangelndem Regierungswillen und an der Ziellosigkeit dieser Orienttour Kritik zu üben. Die Anklage wegen Majestätsbeleidigung ließ nicht lange auf sich warten. Thomas Theodor Heine und Frank Wedekind bekamen sechs Monate Festungshaft aufgebrummt, Verleger Langen floh ins Pariser Exil und konnte erst 1903 gegen Zahlung von 20.000 Reichsmark nach München zurückkehren. Doch selbst diese massiven Einschnitte konnten dem "Simpl" nicht schaden. Im Gegenteil, die Auflage stieg nach der Palästina-Nummer geradezu sprunghaft. Und es ging ja lange nicht nur um die große Politik. Beliebt wurde das Magazin vor allem durch den Blick auf den Alltag mit all seinen Niederungen und Fallgruben.
Hochphase des Satiremagazin: "Simpl"-Leute hatten etwas zu sagen
Der Widerspruch von öffentlicher Moralpredigt und privater Lüsternheit, Heuchelei, Verschwendung, dümmliche Dünkel, Borniertheit, sprich, die allzu menschlichen Schwächen wurden mit Lust zelebriert und von den Lesern heftig goutiert. Bis heute funktionieren diese Seiten am besten, während man die aufgeblasene Preußen-Politik schon kennen muss, um sich über gezielte Seitenhiebe zu amüsieren. Man sollte aber auch genau hinsehen, oft mehrmals und dann lesen. Bild und Wort sind eng verbunden und zünden nicht immer so schnell wie die jüngeren, allzu offenkundig witzigen Cartoons, deren Pointe dann auch gleich wieder verpufft. Die "Simpl"-Leute hatten etwas zu sagen. Das gilt auf jeden Fall für die Hochphase bis zum Ersten Weltkrieg. Dann griffen Nationalismen um sich, viel verkam zu platter Propaganda, der Humor war eh längst auf der Flucht.
Nach einem gewissen Aufatmen in den Jahren der Weimarer Republik und dem kurzen Aufblitzen der alten Schlagkraft in der Weltwirtschaftskrise oder beim Aufkommen linker wie rechter Radikaler wurde es nach 1933 erst recht problematisch. Der zuvor bespöttelte Adolf Hitler ließ das Heft nach der Machtübernahme sofort gleichschalten, und den Unbequemen oder den rassistisch Verfolgten wie Heine blieb nichts anderes, als zu emigrieren. Im gleichen Zug wurde der Witz nun im Sinne des Wortes: simpel.
"Simplicissimus" kann heute an große Erfolge nicht mehr anknüpfen
Nach dem Krieg gab es verschiedene Wiederbelebungsversuche, doch an die alte Klasse konnte der "Simplicissimus" ausgerechnet in freiheitlich demokratischen Zeiten nie mehr anknüpfen. Und es gab ja auch Malaisen. Die Frauen etwa sind nie gut wegkommen, vieles wurde zwischen Schlüpfrigkeit und handfester Misogynie verhandelt. Vom heiratswütigen Weibsbild, das vor allem nach einem geldigen Ernährer schielt, bis zur Glucke, aus deren Gefieder sich der kassierte Gatte kaum mehr befreien kann. Von den Suffragetten ganz zu schweigen. Und malende Konkurrentinnen wurden eh nicht ernst genommen. Das gipfelte 1901 in einer Karikatur von Bruno Paul, unter der es heißt: "Sehen Sie Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: Die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent".
Über Schenkelklopfer ging das selten hinaus, und so könnte man die einst so glorreichen Hefte auch nach anderen aktuellen Kardinalvergehen durchfieseln. Erst im letzten Herbst wurde an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität das Osteuropa-Bild im "Simpl" unter die Lupe genommen, und von "wilden Czechen" bis zu "polnischen Kläffern" kam wenig Akzeptables dabei heraus. Die rote Bulldogge biss halt doch nicht immer die Richtigen. Und die Zeiten ändern sich, der Humor sowieso. Nichtsdestotrotz sind viele "Simpl"-Karikaturen einfach eine Wucht.
Sämtliche "Simplicissimus"-Ausgaben von 1896 bis 1944 sind auf der Website des Magazins einsehbar.