Scheidende Salzburger Festspiele-Präsidentin Rabl-Stadler: "Ich bin ein großer Fan der Quote"
Als die Mitinhaberin eines Salzburger Modehauses, Journalistin und ÖVP-Politikerin Helga Rabl-Stadler 1995 zur Präsidentin der Salzburger Festspiele ernannt wurde, traute man der Kulturnovizin wenig zu. Doch mit Optimismus und Hartnäckigkeit erkämpfte sie sich ihren Platz als eine der erfolgreichsten Kulturmanagerinnen Europas. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Gespräch mit einer konservativen Feministin.
AZ: Zunächst Kompliment für das todschicke Kostüm, Frau Rabl-Stadler, das Sie auf der letzten Saison-Pressekonferenz der Festspiele getragen haben!
HELGA RABL-STADLER: Oh, das freut mich, dass es ihnen gefallen hat, eine schöne Farbe, nicht? Von Akris. Albert Kriemler, ein bekannter Schweizer Modeschöpfer. Er sagte einmal, sein Ziel sei es, schöne Kleider für viel beschäftigte Frauen zu kreieren.
Zum Jahresende werden Sie nun keine Beschäftigung mehr haben, jedenfalls nicht mehr als Präsidentin der Salzburger Festspiele? Warum hören Sie eigentlich auf?
Man soll aufhören, wenn es die Menschen, auf deren Urteil man Wert legt, noch bedauern. In meiner Amtszeit gab es 27 Spielzeiten, 5626 Aufführungen, davon 396 Premieren, vor 6 094 994 Besucher unter sechs Intendanten und zehn Kunstministern, dazu acht Jedermänner und 14 Buhlschaften. Da muss ich nicht begründen, warum ich einen Schlusspunkt setze. Ich habe 1995 angefangen, zum 75-jährigen Bestehen der Festspiele und werde jetzt im Jahr des 100. Jubiläums diese Wirkungsstätte verlassen. Hier schließt sich ein Kreis, aber natürlich ist mir weh ums Herz.
Holpriger Start - aber langer Atmen
Haben Sie nach ihrem holprigen Start und manchen Demütigungen das Gefühl, es den vielen Männern, die sie im Amt überlebt haben, gezeigt zu haben?
Ich gehöre nicht zu den Frauen, die Männern zeigen wollen, wo es langgeht, sondern will gemeinsam mit ihnen etwas gestalten. Allerdings bin ich ein großer Fan der Quote, weil alles immer noch zu langsam geht.
Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Natürlich bin ich Feministin. Wenn es Leute gibt, die sich vor diesem Ausdruck fürchten, sollen sie mich anschauen, ich bin doch wirklich nicht zum Fürchten.
Als Sie unter Gerard Mortier, dem großen Erneuerer der Salzburger Festspiele nach der langen Ära Herbert von Karajans, ihr Amt antraten, waren sie eine Kulturnovizin. Das hat man Sie spüren lassen…
Ich war damals, obwohl ich im Journalismus und der Politik gearbeitet hatte, nicht darauf vorbereitet, dass jemand, der den Stallgeruch nicht hat, so beinhart behandelt wird. Ich hatte schon in der Politik die Intrigen nicht geschätzt, deswegen habe ich auch Freunde und Verbündete in allen politischen Lagern. Aber dass es in der Kunst noch härter zugeht, habe ich mir nicht vorstellen können.
Wahrlich eine harte Schule…
Einer der Gründe, warum man sich mit mir schwer tat, war die Tatsache, dass das Amt des Festspiel-Präsidenten nicht genau definiert war. Und da bin ich in manche Falle getappt. Mich hat zum Beispiel einmal ein Journalist gefragt, ob ich Klavier spielen könne, was ich voll schlechten Gewissens verneinen musste. Als hätte die Festspielpräsidentin, wenn Pollini ausfällt, einen Klavierabend übernehmen sollen. Heute würde mir das nicht mehr passieren, denn die Präsidentin soll ja keine Konkurrenz zum Intendanten sein. Wenn ich das gewollt hätte, hätten sich von Mortier bis Hinterhäuser alle gegen mich gestellt. Ich bin nicht mehr und nicht weniger als die Managerin eines mittelständischen Betriebes mit einer Stammbelegschaft von 230 Mitarbeitern, die im Sommer zum größten Betrieb des Landes Salzburg mit mehr als 4000 Mitarbeitern anwächst. Und da kann ich das verwerten, was ich als Kauffrau, Journalistin und Politikerin gelernt habe.
"Eine Abfolge von Events gibt es überall"
Hat es sie trotzdem dann und wann gejuckt, auch das künstlerische Programm zumindest ein wenig mitgestalten zu wollen?
Klares Nein. Aber natürlich wurden an mich immer wieder Bitten etwa aus dem touristischen Bereich herangetragen, vor allem solche Opern zu spielen, die alle hören wollen oder Vorstellungen möglichst früh enden zu lassen, damit man anschließend noch schön essen gehen kann. Ich habe da immer gesagt: Wenn man nur auf Events aus ist, kann das ein paar Jahre gut gehen, aber irgendwann wird es den Leuten fad. Denn eine Abfolge von Events gibt es überall. Aber ein hochklassiges Programm in einer solchen Breite wie bei uns, verbunden durch eine dramaturgisch spannende Erzählung, findet man eben nur bei den Salzburger Festspielen.
Wann haben Sie selbst Ihre Rolle als Festspielpräsidentin gefunden?
Unter (dem Komponisten und Mortier-Nachfolger als Festspielintendant) Peter Ruzicka, der sich, anders als Mortier, nur ums Künstlerische kümmerte. Durch die mir zuvor aufgezwungenen Kämpfe musste ich mir selbst klarmachen, weshalb es mich gibt und was ich für die Festspiele leisten kann. Und da kann ich ohne alle Bescheidenheit sagen, dass es ohne mich beispielsweise das Haus für Mozart nicht geben würde. Das habe ich durchgekämpft inklusive der Finanzierung mit sechzig Prozent privaten Mitteln, was es zuvor noch nicht gegeben hatte.
Wie wichtig war vor allem zu Beginn die Tatsache, dass Sie eine Frau sind?
In Salzburg war man seinerzeit der Meinung, die Festspiele seien zu wichtig, um sie einer Frau zu überantworten. Ich freue mich natürlich, dass ich es dann so lange und mit so viel Anerkennung machen durfte und dass auch meine Nachfolgerin wieder eine Frau sein wird.
In der MeeToo-Debatte haben Sie sich immer zurückgehalten und beispielsweise Placido Domingo gegen Vorwürfe sexueller Übergriffe in den USA in Schutz genommen. Ist MeToo Hexenjagd oder Befreiungsschlag?
Diese Bewegung hat ihre Berechtigung, nicht nur was die Behandlung der Frauen, sondern auch, was den Missbrauch von Macht in der Kulturbranche im Allgemeinen betrifft. Leider gab und gibt es hier Übergriffe. Was Domingo betrifft, haben die Festspiele mit ihm nur die besten Erfahrungen gemacht und auch für Prominente gilt die Unschuldsvermutung.
"Nach dem Ende der Pandemie werden wir sehr kämpfen müssen"
In Ihrer Amtszeit gab es etliche Intendantenwechsel und zwei veritable Krisen: der Korruptionsskandal bei den Osterfestspielen, der auch das Sommerfestival tangierte und jetzt Corona. Wird die Pandemie dauerhafte Spuren im Kulturleben hinterlassen?
Als ich gerade hörte, dass Minister Lauterbach prophezeite, das Thema Corona werde in der laufenden vierjährigen Legislaturperiode nicht erledigt sein, wurde mir schon etwas bange. Spurlos geht das alles nicht vorbei. Wir haben zwar im Sommer 2020 beweisen können, dass mit einem strengen Hygienekonzept sichere Festspiele unter Vollauslastung möglich sind, werden aber nach Ende der Pandemie trotzdem sehr darum kämpfen müssen, dass die Menschen wieder wie zuvor in die Opernhäuser, Theater und Konzertsäle strömen und das Zusammenkommen als Bereicherung, nicht als Bedrohung empfinden.
Die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman hatte jüngst das Abschiedskonzert ihrer Karriere im Wiener Musikverein abgesagt, weil sie Konzerte unter 2 G-Bedingungen, also nur für Geimpfte und Genesene, als diskriminierend empfindet. Stimmen Sie ihr zu?
Nein, für mich ist 2 G eine notwendige Sicherheitsvorschrift. Ich schätze Frau Kulmann zwar als Künstlerin und für ihr vielfältiges Engagement, aber in dieser Sache hat sie sich verrannt und ihr Publikum sicher schwer enttäuscht.
Es werden immer häufiger Opern und Ballette abgesetzt, weil sie angeblich diskriminierende Inhalte haben. Jüngst traf es eine Inszenierung von Peter Tschaikowskys "Nussknacker" an der Berliner Staatsoper. Stichwort: Cancel Culture.
Die Cancel Culture ist eine echte Bedrohung der Freiheit der Kunst. Wir waren vielleicht lange Jahre ein bisserl zu nachlässig, ob man mit dieser oder jener Darstellung oder Besetzung in ein falsches Fahrwasser geraten könnte. Doch jetzt erscheint mir die Selbstzensur überhand zu nehmen. Die Freiheit der Kunst darf man nicht beschädigen, die haben unsere Vorfahren in den vergangenen Jahrhunderten von den Obrigkeiten mühsam abgetrotzt. Und die Bedrohung dieser Freiheit dürfen wir jetzt nicht durchs Hintertürl wieder hereinholen.
Angela Merkel: Häufiger Gast - keine enge Freundin
Sie gehen fast zeitgleich wie Angela Merkel, die häufig zu Gast bei den Festspielen war und oft mit Ihnen gesehen wurde. Verbindet Sie so etwas wie eine Freundschaft?
Freundschaft wäre zu viel gesagt. Aber Angela Merkel hat mir zu meinem Abschied das schönste Geschenk bereitet, einen handgeschriebenen Dankesbrief. Frau Merkel ist zudem die beste Werbung für die Festspiele, denn sie ist kenntnisreich und bekannt. Ich werde nie vergessen, als sie in den Proben zu Richard Strauss' "Frau ohne Schatten" mit Christian Thielemann gesessen ist und ihn nachher fragte, warum er bei diesem oder jenen Takt abgeklopft hat. Und es macht mich schmunzeln, dass in den Pausen selbst jene Künstler, die ihr politisch sicher nicht nahestanden, sehr erpicht darauf waren, ihre Bekanntschaft zu machen.
Was wünschen Sie der neuen Festspielpräsidentin, der aus Deutschland stammenden Managerin Kristina Hammer?
Dass man ihr nicht so viele Prügel vor die Füße wirft wie mir und dass das Festspieldirektorium möglichst schnell wieder zu jenem Trio zusammenwachsen kann, das in den letzten Jahren so erfolgreich war mit dem Intendanten Markus Hinterhäuser, dem kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz und neu Kristina Hammer als Präsidentin.