"Jeder nur ein X" von Sportfreunde Stiller: Musikalisch unterwegs mit Poesie und Ironie
"It's technically new but it sounds like all the old songs", kündigte James Taylor einst bescheiden und mit einer großen Portion Selbstironie nach einer langen Kreativpause einen "technisch neuen" Song an, der aber tatsächlich wie seine alten Meisterwerke klang. Nach sechs Jahren Ruhe (nach dem Album "Sturm und Stille" von 2016) tun die Sportfreunde Stiller nun alles, um dieser Gefahr zu entgehen.
Ihr allererster veröffentlichter Song hieß 1996 noch die "Wunderbaren Jahre", ein Hoch auf die Genussfreude, zugleich aber selbstkritisch die Gefahr im Blick, das Leben aus reiner Tatenlosigkeit zu verpassen. Jetzt heißt es drastischer und Freddie Mercury zitierend "Ich scheiß auf schlechte Zeiten": "Jeder will gewinnen / ‚We are the Champions' singen / Immer nur oben schwimmen / Aber das geht so nicht / Wir werden weinen müssen / Trauern und vermissen".
Die Sportfreunde Stiller haben sich von "Das Leben des Brian" inspirieren lassen
Entsprechend nachdenklich heißt das neue Album "Jeder nur ein X". Gelesen: Jeder nur ein Kreuz. Und er ist - wie viele der neuen Sportis-Lyrics - mehrdeutig.
Der Satz stammt ursprünglich aus dem Film "Das Leben des Brian" von Monthy Python: "A cross to bear", ein Last tragen, etwas Unangenehmes erfahren, das man aber (widerwillig) akzeptiert. Der Ausruf "One X each", die beiläufige Aufforderung, dass man "ein Kreuz" nehmen soll, erinnert auch an die administrativen Aufforderungen, eine Nummer zu ziehen.
Im Film besteht der Doppelsinn darin, dass die Anhänger Brians ein Kreuz tragen müssen, andererseits ist es die beiläufige Ermahnung, bloß eins zu nehmen, nicht ohne Kreuz an seine Kreuzigung zu gehen. Zugleich verweist der Albumtitel auch auf das Kreuz auf dem Wahlzettel, auf Wahlfreiheit, auf das Privileg, unabhängig entscheiden zu dürfen. Hier macht sich die altbekannte Dankbarkeit der bayerischen Punk-Popper bemerkbar. Und so heißt ein anderes Lied in aller Klarheit: "I'm Alright!"
Die Sportfreunde Stiller sind absolut fußball-verrückt
Die drei fußballbesessenen Sportis stehen alle kurz vor ihrem 50. Geburtstag. Und so klingt mancher Song einerseits nach verspielter Selbstvergewisserung und andererseits nach Torschlusspanik. Peter S. Brugger (alias Balboa, Fan des FC Bayern, Sänger), Florian Weber (alias Flo, 1860-Fan, Schlagzeuger) und Rüdiger Linhof (alias Rüde, auch er Löwen-Fan, Bassist) sind bald 30 Jahre nach der Band-Gründung immer noch mit Poesie und Ironie auf der Suche nach dem goldenen Tor.
Die drei Schöpfer der größten Fußball-Hymne Deutschlands ("'54, '74, ‚'90, 2006") haben schon so manches Tor des Jahres geschossen: Mit Liedern wie "Ein Kompliment" (2002) "Ans Ende denken wir zuletzt" (2003) oder "Ich, Roque" (2004) begeisterten die Germeringer den gesamten deutschsprachigen Raum und wurden Stammgäste in den Charts. Als im Mai 2006 der WM-Hit "'54, '74, ‚'90, 2006" erschien, landeten sie auf Platz 1. Die Fanmeilen der Republik bekamen nicht genug davon.
Während des Lockdowns fanden die Sportfreunde Stiller wieder zusammen
Nach 2016 zogen sich die Sportis aber zurück. Ob sie jemals wieder gemeinsam auftreten würden, war lange ungewiss. Während des Lockdowns fanden sie wieder zueinander.
Ein Schelm, der denkt, dass die Veröffentlichung des X-Albums nur zufällig mit der Fußballweltmeisterschaft in Katar matcht. Ein Wintermärchen wird es mit Sicherheit nicht, denn Brugger äußerte sich deutlich: "Mit dieser WM können wir uns nicht identifizieren. Sie zeigt die Verrohung des Kapitals. Das ist schon pervers."
Die drei Meister der Pop-Hymnen sind allerdings in Hochform, auch wenn das nicht jedem gefällt. Diese Woche verhinderte die Polizeibehörde in Freiburg einen spontanen Auftritt in der Fußgängerzone. Die Sportfreunde konnten nicht einmal den ersten Song, ihr "Kompliment" zu Ende spielen.
Sportfreunde Stiller: "Jeder nur ein X" (Universal). Das Konzert am 26. November im Circus Krone ist ausverkauft
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