Patricia Kopatchinskaja in der Isarphilharmonie: Entfernt von wohlkalkulierter Routine
München - Wer sie bucht, bekommt die große Show dazu. Sie ist nicht nur eine Geigerin, sondern hat auch schauspielerisches Talent. Barfuß tritt sie auf die Bühne, in weißem Kleid, kommentiert mimisch und gestisch das Orchester-Tutti. So war es, als Patricia Kopatchinskaja in der Isarphilharmonie mit dem Philharmonia Orchestra aus London unter dem jungen Chefdirigenten Santtu-Matias Rouvali das Violinkonzert von Beethoven interpretierte.
Patricia Kopatchinskaja: Exzellente Geigerin, die sich nicht um Konventionen schert
Von ihrem Gehabe sollte man sich nicht blenden lassen. Sie ist eine große Künstlerin, riskiert in jeder Note, fühlt sich allein dem Werk und seiner zeitgemäßen Vermittlung verpflichtet. Diese Haltung lebt Kopatchinskaja nicht nur als exzellente Interpretin moderner Musik, sondern auch im Stamm-Repertoire. Sie schert sich nicht um Konventionen und weiß doch ganz genau, was sie tut.
Im ersten Satz spielte Kopatchinskaja eine besondere Kadenz. Sie ließ sich dabei von den Celli und Kontrabässen begleiten, vom Konzertmeister und von der Pauke. Eine Eigenkreation ist das nicht. Vielmehr hat Beethoven 1808 eine Fassung des Violinkonzerts für Klavier und Orchester veröffentlicht, samt auskomponierter Kadenz mit Pauke. Diese Kadenz hat Kopatchinskaja für Geige bearbeitet und die Mehrstimmigkeit des Klaviers mit anderen Instrumenten ausgeglichen.
Dieser Beethoven war wohltuend frisch und befreit
Auch sonst aber war ihr Beethovens ziemlich eigen. Schon im ersten, aufsteigenden Einsatz der Solo-Violine zögerte Kopatchinskaja das Tempo agogisch hinaus. Sie liebt eben die große Überraschung, und das erklärt auch ihre Vorliebe für Extreme in der Dynamik. Im Mittelsatz wagte Kopatchinskaja fragilste Reduktionen bis in die Stille, um im Finalsatz den Volkston zusätzlich zu würzen. Man mag nicht mit allen Lösungen Kopatchinskajas einverstanden sein, nicht immer präzise ihre Intonation.
Dafür aber war dieser Beethoven wohltuend frisch und befreit: weit entfernt von kalkulierter Routine. Für dieses Profil muss der Dirigent einen kühlen Kopf behalten, so wie Rouvali. Zwei Tage vor dem Münchner Konzert ist der Finne 37 Jahre alt geworden. Seine Souveränität wirkt weniger aufgesetzt als bei seinem Landsmann Klaus Mäkelä. Er ist ein Vollblut-Musiker, der alle Details glasklar seziert, ohne unterkühlt zu wirken.
Deswegen wurde die Symphonie Nr. 7 von Antonín Dvořák das eigentliche Großereignis des Abends. Ob der Lyrismus im wortlosen Zitat des Brahms-Lieds "Immer leiser wird mein Schlummer" im Kopfsatz, die stupende Ausschattierung der kunstvollen Instrumentation im langsamen Satz, das schwungvolle Scherzo oder das hochdramatische, ungestüme Finale: Ein spannender Dvořák war zu hören, wie man ihn selbst von Jakub Hrusa in dieser Konsequenz und Kohärenz nicht kennt.
Im nächsten Konzert der Reihe "Spot On - Die neue Generation der Klassik" dirigiert Klaus Mäkelä am 15. November in der Isarphilharmonie das Oslo Philharmonic Orchestra. Karten unter Telefon 93 60 93