Mit Billy Idol in der Zeitmaschine
Zehntausend Fans aller Art tummeln sich in bedruckten Baumwoll-Leiberln, Blusen, kurzen Hosen, Röcken, Muskelshirts und Heavy-Metal-Kutten auf dem Königsplatz. Eine halbe Stunde zuvor hat es noch getröpfelt, dann strahlt die Sonne am Freitagabend huldvoll herunter. An den Ständen gibt es eine schöne Auswahl an Speisen und Getränken, Bierbänke laden zum Verweilen ein, es herrscht absolut entspannte Festival-Stimmung, als um 19:30 die sanften Meuterer von New Model Army sachte, aber brodelnd den Abend mit kunstvollem Liedgut einläuten.
Eine Gruppe Festivalveteranen stehen mit ihren Bierbechern am Rand; einer von ihnen erklärt den anderen in erdigem Niederbairisch, dass der Name der Gruppe aus dem englischen Bürgerkrieg Mitte des Siebzehnten Jahrhunderts entstammt und bis heute als Synonym für Widerstand zu begreifen ist.
Billy Idol klingt wie vor vierzig Jahren
Die Geschichte dieser Band ist durchaus wild und bewegt, ein Studiobrand zerstörte mal einen Großteil ihrer Instrumente, kurz darauf wurden die neu erworbenen Gitarren aus dem Tourbus gestohlen. Vor 21 Jahren kam ihr langjähriger Merchandise-Verkäufer Darryl Kempster bei einem Überfall vor einem südafrikanischen Hotel durch eine Schusswaffe ums Leben, auch einige Bandmitglieder und Manager starben unerwartet. Doch auch sehr wunderbare Dinge geschahen, beispielsweise widmete die Stadt Hamm den Musikern eine umfangreiche Ausstellung im Glaselefanten, dem Wahrzeichen der Stadt. Beim Münchner Konzert setzt Frontman Justin Sullivan mit seinen Jungs eher auf atmosphärische Songs mit Tiefe und nachdenklichen Inhalten wie "Here Comes The War", ein apokalyptisches Panorama im Kreislauf von Ursprung, Unrecht und Umsturz als eindringlichen Appell zum Frieden und der Erkenntnis, dass jeder Krieg das Licht der Vernunft auslöscht.

Ein seltener Luxus liegt darin, über ein weites, gut gefülltes, aber nicht gedrängtes Festivalgelände zu schlendern, ohne Hektik und Andrang an Ständen oder Toiletten. Die Organisation ist grandios, alles läuft perfekt, sogar der Zeitplan wird akkurat eingehalten, so dass Punkt 21 Uhr der hemmungslos fidele Billy Idol samt energiegeladener Band unter großem Jubel das Podium betritt und seinen nagelneuen Song "Still Dancing" anstimmt, ein Lied, das melodisch und textlich so klingt wie zu frühen Anfangszeiten vor 40 Jahren: "Ich verließ mein Zuhause für rabenschwarzes Gold. Verkaufte meine Seele – im Fieber, im Fieber. Ich änderte meinen Namen, ein Spiel mit dem Feuer, Maschinengewehre auf mein T-Shirt gerichtet. Es war eine lange Reise, aber ich kenne es nicht anders, ich tanze immer noch." Musikalische Soli-Pausen nutzt er für das Wechseln seiner Outfits und stolziert wie auf dem Laufsteg siegessicher auf und ab.
Bevor der durchtrainierte Brite, dessen Künstlername sich ursprünglich von seiner Unlust, in der Schule aufzupassen ableitete (idle=faul), mit seiner tiefen, fürsorglichen Stimme gleich nach zehn Minuten seinen Welthit "Flesh For Fantasy" – seinerzeit produziert vom ehemaligen Konstantin Wecker-Schlagzeuger Keith Forsey – performt, huldigt er seinem Gitarre spielenden Gegenüber und ruft: "Mal sehen, wohin uns Mister Stevens heute Abend führt."
Der "Rebell Yell" schallt über den Königsplatz
Neben Billy glänzt nämlich seit Beginn seiner Karriere der virtuose Steve Stevens, wie üblich mit glitzerndem Gewand, Lippenpiercing und schwarz lackierten Fingernägeln. Der Amerikaner komponierte die meisten Songs und ist quasi der gleichberechtigte Bühnen-Spielgefährte des britischen Sängers, in der hierarchischen Rangordnung etwa vergleichbar mit Keith Richards an der Seite von Mick Jagger.
Bald folgt eine brillante Jimmy-Page-Hommage, bestehend aus moussierenden Akkordbrüchen und der Verschmelzung des markanten Intros von "Over The Hills And Far Away", das sich magisch in eine kunstvolle Interpretation von "Stairway To Heaven" verwandelt. Dabei lächelt das virtuose Vollblut vielsagend und zeigt charmant, dass er voller Demut sowieso weiß, was er da tut.
Billy Idol begann als provokanter, halbstarker Punk, erkannte rasch sein popmusikalisches Potenzial und wandelte sich aber zur stilprägenden Ikone der Achtziger.
Eine Zeitschrift nannte ihn einst den "wasserstoffgebleichten Albtraum eines Rockers". Ein bisserl ungestüm ist er schon immer noch, doch der rebellische Habitus ist einer gewissen wohltuenden Altersmilde gewichen. Dramaturgisch einwandfrei auch die gewählte Setlist, die mit "Rebell Yell" und "White Wedding" die Herzen verzückt und die Anhängerschaft verzaubert in die biergartenselige Münchner Nacht entlässt.
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