Eröffnung der Isarphilharmonie: Der große Sprung nach vorn
Ist es nicht faszinierend, was hier entstanden ist, mit unser aller Steuergeld", fragte Gasteig-Chef Max Wagner am Freitagabend bei seiner Begrüßung vor 1800 geladenen Gästen in der Isarphilharmonie. Noch erstaunlicher sind womöglich die geringen Kosten von nur 70 Millionen Euro für das gesamte Areal des Gasteig HP8 gegenüber dem Heizkraftwerk Süd am Brudermühltunnel.
Davon entfielen 40 Millionen auf den Konzertsaal. Und die kurze Planungszeit von drei Jahren und der Bauzeit von nur knapp eineinhalb Jahren grenzt nicht nur an ein Wunder, sie ist im Vergleich mit anderen Projekten eines.
Dann rief Dieter Reiter von der Bühne in den Zuschauerraum: "Es schaut grandios aus von hier oben" - womit er nicht nur die nicht im Geringsten provisorisch wirkende Holzarchitektur von Gerkan, Marg und Partner meinte, sondern auch die neue Maskenfreiheit nach der 3G-Plus-Regel und den damit verbundenen Aufbruch für die Kultur- und Veranstaltungsbranche.
Einhelliges Lob fürs Gasteig-Interim
Das Gasteig-Interim sei eines der ganz wenigen Projekte, das einhellig nur gelobt worden sei, so der Oberbürgermeister. Es werde "relativ lange" Bestand haben, womöglich auch über die Generalsanierung des Kulturzentrums in Haidhausen hinaus.
Das scheint nach der Eröffnung sicher. Wozu - wenn der Gasteig optimiert ist - braucht man nun noch den vom Freistaat geplanten Saal im Werksviertel, der zehnmal so viel kosten soll wie dieses gelungene Interim? Wäre es nicht sinnvoller, angesichts knapper Kassen endlich den veralteten Herkulesssaal zu ertüchtigen und die Isarphilharmonie für ein besseres Trinkgeld in einen dauerhaften Bau zu verwandeln?

Soviel ist sicher: Die Münchner werden diesen Saal lieben. Die breiten, ansteigenden Reihen sorgen für eine intime Nähe zum Geschehen auf dem Podium, dessen helles Holz im ansonsten schwarzen Raum den Blick fokussiert. Man sitzt bequem, auch wenn die Beinfreiheit nicht allzu groß ist.
Vor einem abschließenden Urteil über die Akustik sollte man erst weitere Orchester unter anderen Dirigenten und auch Kammer- und Vokalmusik hören. Auch die Münchner Philharmoniker müssen sich erst auf die geänderten Bedingungen einstellen. Aber schon jetzt lässt sich sagen: Die Isarphilharmonie ist für das Münchner Konzertleben ein Riesensprung nach vorn: Besser hört und sieht man nirgendwo in dieser Stadt.
Eröffnungsfeier als Versprechen für Künftiges
Das Eröffnungsprogramm der Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev war mit einer Uraufführung von Thierry Escaich und "Métaboles" von Henri Dutilleux mehr ein Versprechen für Künftiges. Wie Brahms, Bruckner oder Mahler im neuen Saal klingen, beantwortete der erste Abend nicht. Am Freitag lag der Schwerpunkt auf filigraner Musik des 20. Jahrhunderts. Details, die im Gasteig pauschal wirken, kamen hier sehr differenziert im Saal an. Massiges wie der Schluss von Maurice Ravels Suite Nr. 2 aus "Daphnis et Chloé" wirkt - vorerst - weniger gut: Da fehlte es ein wenig an innerem Volumen.

Aber das kann durchaus auch an Gergiev liegen. Insgesamt scheint es, als habe Yasuhisa Toyota sehr darauf geachtet, den spezifisch warmen Klang der Münchner Philharmoniker akustisch abzubilden und nicht seine überzüchtete, super-brilliante Elbphilharmonie zu kopieren. Besonders schön wirkt alles Solistische der Holzbläser, aber auch der warme Ton der Bässe und tiefen Streicher kommt gut herüber. Freuen darf man sich nach Beethovens Konzert Nr. 4 mit Daniil Trifonov auch über einen sehr präsenten, facettenreichen Klavierklang.
Weltläufige Besucher verglichen den Sound übereinstimmend mit der hochgelobten Pariser Philharmonie. Was man allerdings auch sehr deutlich hört, sind Nebengeräusche wie Gergievs Ächzen, das sich gern einstellt, wenn der Dirigent unter Hochspannung steht. Auch herunterfallende Handtaschen sind in der Isarphilharmonie womöglich präsenter als im Gasteig.
Den besten Eindruck hinterließ - neben dem Soloflötisten Michael Martin Kofler - der auf einer Galerie hinter dem Orchester platzierte Philharmonische Chor in Rodion Shchedrins "The Sealed Angel": Es könnte sein, dass die hohe Qualität des von Andreas Herrmann geleiteten Chors erst hier richtig hörbar werden wird.
Stadtpolitik dominiert das Publikum
Die Stadtpolitik dominierte das geladene und teilweise auch zahlende Publikum des Eröffnungsabends. Der Bayerische Ministerpräsident und sein Kunstminister fehlten. Dafür waren fast alle Chefs namhafter deutscher Konzerthäuser anwesend. Andreas Schessl (Münchenmusik) lobte die Wärme des Klangs, Musiker wie Clemens Schuldt (Münchener Kammerorchester) und Hansjörg Albrecht (Bachchor) zeigten sich beeindruckt von den vielfältigen Möglichkeiten des Saals und seiner Nebenräume.
Die Landeshauptstadt feierte die Eröffnung bescheiden: nur mit Getränken, ohne Häppchen. Das passt zum Interim insgesamt, das außerhalb des Konzertsaals ohne jeden Luxus auskommt. Die Halle E besticht durch eine monumentale Funktionalität mit Metall und nacktem Beton, die an einen Hangar oder ein Frachtschiff erinnert. Wer das Warten an der Garderobe verschmäht, kann Schließfächer nutzen.

Dieser Verzicht auf jeden Glamour mag für München untypisch sein. Aber gerade diese Bescheidenheit sorgt für den Charme dieses Gebäudes. Sein besonderer Reiz besteht in der niederschwelligen Verbindung zwischen Stadtbibliothek, Volkshochschule, ganz normalem Verweilen und Konzertsaal. Im Gasteig war diese Verbindung bisher nur eine Idee, hier wird sie endlich zum Ereignis.
Die nächsten Konzerte der Münchner Philharmoniker im neuen Saal am Mittwoch und Donnerstag, wenige Restkarten bei münchenticket.