Interview

Nordkorea-Bilder in der Leica Galerie: "Fluch und Stolz zugleich"

Die Ausstellung "25 Million. North Korea. The Power of Dreams" in der Leica Galerie zeigt die Fotos von Xiomara Bender. Im AZ-Interview spricht sie über die Mentalität der Nordkoreaner und ihre Kamera.
Adrian Prechtel
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Pyongyang 2015: "Blicke können von einem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung sprechen", meint Xiomara Bender.
Pyongyang 2015: "Blicke können von einem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung sprechen", meint Xiomara Bender. © Foto: Xiomara Bender "25 Million. North Korea. The Power of Dreams 2011-2019"

An der Maffeistraße, in den ehemaligen Räumen des Cafés Kreuzkamm, ist jetzt ein edler Kamera-Laden. Aber wie kann man besser seine Kameras präsentieren als mit großformatigen Fotoabzügen von Fotokünstlern, die mit einer Leica arbeiten?

Und so begrüßt einen am gläsernen Eingang ein über zwei Meter hohes und fast anderthalb Meter breites Bild: "Pyongyang 2016" - eine Häuserfassade aus unendlich vielen Mini-Appartments.

Die 1987 in Basel geborene Fotografin studierte an der Technischen Kunsthochschule in Berlin, wo sie auch lebt.
Die 1987 in Basel geborene Fotografin studierte an der Technischen Kunsthochschule in Berlin, wo sie auch lebt. © 25 Million. North Korea. The Power of Dreams 2011–2019

Wenn man etwas näher herantritt, entdeckt man durch die faszinierende Schärfe des Bildes, das in diesem gigantischen, monotonen Wohnsetzkasten hinter jeder Balkonbrüstung sich Menschen ein beengtes, aber individuelles Stück Nordkorea zusammengestellt haben - mit Pflanzen, Tierkäfigen, Liegestühlen, Fähnchen. Und das ist auch der Ansatz von Xiomara Bender, die zwischen 2011 und 2019 das abgeschottete Land bereiste, dokumentierte und einen vom Westen bisher fast unbemerkten Wandlungsprozess festgestellt hat.

Fotografin Bender: Scharf beobachtende Botschafterin Nordkoreas

AZ: Frau Bender, warum lässt Nordkorea eine freie Fotografin wie Sie ins Land?
XIOMARA BENDER: Ich bin Fluch und Stolz zugleich. Denn einerseits weiß man, dass ich jeden "Sehschlitz" nutzen werde, die Wirklichkeit zu zeigen. Andererseits ist man in Nordkorea stolz auf das Land. Ich bin somit auch eine Art Botschafterin Nordkoreas für jenen Teil der Welt, der versucht, das Land seit 80 Jahren durch einen Wirtschaftsboykott in die Knie zu zwingen.

Kann das gelingen?
Einen Kollaps verhindert China. Aber man könnte ja auch mal die provokativen Militärmanöver vor Nordkorea einstellen. Ich habe immer den Eindruck, dass dieses Land ernst genommen werden will und dafür vieles tun würde. Das hätte umgekehrt den Vorteil, dass man es durch Aufmerksamkeit und Tourismus auch stärker öffnen könnte. Es gibt die Chance auf einen Wandel durch Annäherung. Man muss ja dabei nichts beschönigen. Aber die Tatsache, dass es sich um ein autokratisches Regime handelt, hindert uns ja auch nicht, Staaten wie Saudi Arabien als Verbündete zu betrachten.

Bender: Langfristige Pläne für Nordkorea-Fotografie

Sie waren zwischen 2011 und 2019 schon neun Mal in Nordkorea.
Ja, bis Corona. Und mein Plan ist eine Langzeitstudie bis ich in vielleicht 50 Jahren nicht mehr kann. Und vom vergangenen Jahrzehnt kann ich sagen, dass es zwar immer etwas unberechenbar bleibt und viele Zufälle eine Rolle spielen, wie frei man sich bewegen und fotografieren kann. Aber wir stellen uns das meistens viel zu eng vor.

Menschen in Nordkorea begegneten der Fotografin sehr aufgeschlossen

Haben die Menschen keine Berührungsängste? Immerhin werden der Westen und Südkorea ja massiv verteufelt.
In der Ausstellung hier in München hängt zum Beispiel mein Bild eines Mädchens. Ich hatte es auf der Rolltreppe hoch aus den fast 200 Meter tiefen U-Bahnhöfen in Pyongyang vor mir. Sie war mit ihrem Großvater unterwegs und hatte sich ein paarmal umgedreht. Oben angekommen habe ich dann zum Großvater kurz Kontakt hergestellt und bedeutet, dass ich seine Enkelin gerne fotografieren würde. Er willigte sofort ein. Sowas macht man nicht, wenn man Angst vor Fremden hätte oder jeglicher Kontakt gefährlich wäre. Erst im Fotolabor habe ich bemerkt, dass das Mädchen ganz beiläufig eine Dose Fanta in der Hand hielt, was auch etwas über den Schwarzmarkt erzählt. Aber es gibt bei alledem einen Unterschied zwischen der Hauptstadt und dem Land, wo die Leute viel weniger mit Ausländern in Berührung kommen und man auch scheuer ist.

Spüren Sie einen Wandel?
Ja, und ich zeige ihn auch. Am Eingang hängt dieses Bild mit dem maroden Wohnsilo. Diese Gebäude werden sukzessive abgerissen und neu gebaut. Und wenn man sich dann die Bilder "Pyongyang 2019" anschaut, sieht es schon moderner, wohlhabender aus - ein bisschen wie im China der 80er Jahre. "Pyonghattan" hat "Die Zeit" mal über die Hochhaussilhouette getitelt. 2011, noch unter Kim Il-sung, haben sich die Leute abgewandt, wenn man vorbeikam, jetzt wenden sie sich einem auch zu, und die Straßen und U-Bahnen sind belebt, Frauen laufen hochhackig herum, schminken sich, man kann Taxi fahren. Die Lebensbedingungen haben sich insgesamt verbessert, es gibt sogar eine echte Mittelschicht. Und Frauen sind völlig gleichberechtigt. Und seit neun Jahren gibt es Englischunterrricht an allen Schulen.

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Bender: Menschen geprägt von Abschottung, Propaganda und Stolz 

Wovon schottet sich Nordkorea denn ab?
Man muss die Geschichte verstehen, ohne das richtig zu finden. Es gab von 1910 bis 1945 die Schreckensherrschaft der Japaner, dann den Koreakrieg bis 1953. Zuvor war 1948 Nordkorea gegründet worden. Seit damals regiert die "Dreifaltigkeit" von Großvater Kim Il-sung, ab 1994 Kim Jong-il und jetzt seit 2011 der Enkel Kim Chongun. Das ist das Einzige, was jetzt lebende Nordkoreaner kennen, denn von Einstein oder Mick Jagger haben sie noch nie was gehört. Wenn man sich also die Emotionen auf Paraden und Festen anschaut, wirken die nicht künstlich oder gestellt, sondern sie sind die logische Kombination aus Abschottung, Propaganda und Stolz.

Und wovor haben die Menschen Angst?
Vor dem, was Ihnen erzählt wird: Was passiert, wenn man sich öffnet und die Amerikaner wieder kämen, oder was mit einem Land passiert, das keine Atomwaffen hat. Die sind eine Art Lebensversicherung.

Analoge Digitalkamera und Vorbild in der Dokumentarfotografie

Womit fotografieren Sie?
Zuvor mit der Leica SL1 und jetzt mit der SL2, beide digital. Mein Lieblingsobjektiv ist das 28-mm, manchmal nehme ich 50-mm. Eine Leica vermittelt einem noch ein analoges Gefühl, was mich dazu bringt, ganz gezielt und nicht hundertfach herumzufotografieren. Ich arbeite fokussiert.

Und gibt es für Sie fotografische Vorbilder?
Jürgen Schadeberg zum Beispiel, der deutschstämmige Südafrikaner, der völlig furchtlos ab den 1950er-Jahren das Leben der Schwarzen in Südafrika dokumentiert hat.


Leica Galerie, Maffeistr. 4, Mo bis Sa, 10 - 19 Uhr, Eintritt frei. Die Fotografien von Xiomara Bender erscheinen in einer Edition von 13 Stück (3 x Großformat, zu 14.000 Euro sowie 5 x in zwei kleineren Formaten (6.000 und 10.000 Euro)

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