Folgen der Corona-Krise: Kinos pleite, Schauspieler vor dem Ruin

Filmverleiher und Kinobetreiber: Die Kinobranche tobt und fürchtet ein eiskaltes Erwachen nach dem harten Lockdown.
Margret Köhler |
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Gerade frisch renoviert: Christian Pfeil in seinem Arena Kino. Nur die neuen Stühle sind noch nicht da. Aber so ist's ja auch schön.
Gerade frisch renoviert: Christian Pfeil in seinem Arena Kino. Nur die neuen Stühle sind noch nicht da. Aber so ist's ja auch schön. © Sigi Müller

Was wurde nicht alles getan, um das Kino wieder attraktiv und funktionsfähig zu machen - nach dem ersten Lockdown? Konsequent umgesetzte Hygienekonzepte, in Bayern zwei Meter Abstand zwischen den Zuschauern, Sperrung von Saalreihen, regelmäßiger Luftaustausch, ein seriöses Kontaktnachverfolgungssystem, Online-Ticketing.

Kinobranche appelliert an Merkel

Die AG Kino, Verband der Filmkunst- und Programmkinos, wie auch der HDF, Hauptverband der Filmtheater, appellierten noch in letzter Minute an Kanzlerin Angela Merkel, die als sichere Orte geltenden Kinos nicht zu schließen. Ohne Erfolg.

Wenn Kanzleramtsminister Helge Brown sich bei "Anne Will" mit einem verlegenen "Irgendwo müssen wir es tun" über Maßnahmen im Kulturbereich äußert, sagt das viel über den Stellenwert von Kultur aus. Die Leidtragenden des zweiten Lockdowns im November sind neben anderen Kulturinstitutionen auch die gesamte Filmbranche, Produktion und Verleih und: vor allem die Kinos! Das sorgt für Frust und Enttäuschung. Einzelklagen werden wenig Chancen eingeräumt.

Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino, gilt als Mann des Dialogs, aber ihm reißt langsam der Geduldsfaden ob der Verwerfungen in der ohnehin gebeutelten Filmindustrie: Das Kino wird abgewürgt.: "Kino ist ein sozialer Ort, aber wir werden weder wirtschaftlich noch kulturell ernst genommen, landen als Zielgruppe der Corona-Maßnahmen zwischen Spielhallen und Messen". Er sieht die Risiken wie Marktmachtkonzentration und Streamingdienste.

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Aber Kino hat für ihn die Perspektive, "eines analogen Raumes der Begegnung in einer digitalen Welt". Es gehe jetzt um faire Bedingungen, um eine stärkere Förderung des Kinosektors, eine gute Investition in Kultur und Gesellschaft und darum, dass die versprochene Zahlung der 75 Prozent des Umsatzes vom vergangenen November als Entschädigung an die Betroffenen schnellstmöglich passiert. Die Kosten laufen weiter, während die Erlöse bei Null liegen. Dass es jetzt sozusagen wie beim Monopoly zurück auf Los gehe, sei deprimierend und kratze am Nervenkostüm.

"Bitten und Briefe bringen nichts"

Gregory Theile, Geschäftsführer der Kinopolis-Gruppe mit 18 Multiplex-Kinos in Deutschland - darunter in München das Mathäser mit dem Gloria-Filmpalast und das Kinopolis in Landshut - hätte sich eine Regelung gewünscht, "die die Risikosituation der betreffenden Branchen berücksichtigt." Er ist dennoch überzeugt, "dass sich das Kino über kurz oder lang wieder erholt" und während der Feiertage die Menschen dem Alltag für ein paar Stunden entfliehen wollen. Dabei setzt er auf populäre Filme wie "Kaiserschmarrndrama" mit Publikumsliebling Sebastian Bezzel oder "Wunderschön" mit Nora Tschirner.

Christian Pfeil, Betreiber der Monopol-Kinos am Nordbad und des Arena in der Hans-Sachs-Straße hofft, dass sich die Politik durchringt, die sicheren Kinos als erstes wieder zu öffnen und eine vernünftige Lösung entwickelt: "Es ist so viel Unvernunft in der Entscheidungsfindung, schlimmer als Kaffeesatzlesen. Alle sind von Angst getrieben." Bitten und Briefe bringen nichts. Es fehlt ein Hebel für die Durchsetzung von Forderungen. Da bleibe nur "gewaltloser Widerstand: Ich widersetze mich und mache das Kino auf - und damit strafbar. Die typische Michael Kohlhaas-Situation, aber eben Kamikaze und daher keine Alternative", meint Pfeil, der wie alle seine Kinokollegen trotz großer Verluste weitergearbeitet hat - und während des ersten Lockdowns noch viel Geld in die Renovierung seines Arena-Kinos gesteckt hat.

Holger Trapp von den City-Kinos konstatiert bitter: "Wir haben uns neun Monate auf die Hinterbeine gestellt, alle Forderungen erfüllt und flexibel reagiert, die Zuschauer haben sich an die Maske gewöhnt und jetzt werden wir abgestraft."

Auch Trapp nutzte die Zeit, jeweils einen seiner Säle zu renovieren, scheute weder Kosten noch Mühen für mehr Komfort und Ambiente. Den Mut haben sie also noch nicht verloren. Sie hoffen auf eine Art von Normalität und die Treue ihrer Zuschauer. Eine Verlängerung des jetzigen oder ein weiterer Lockdown in den nächsten Monaten wäre die Katastrophe.

Viele gute Filme auf Lager, die aber nicht gezeigt werden können

Nach dem ersten Lockdown ging es erst zaghaft wieder los. Aber dann stiegen die Zahlen, und das letzte Wochenende war "coronamäßig" ausverkauft, das heißt, alle erlaubten Plätze waren ausgebucht. Trapp befürchtet allerdings einen Aussiebungsprozess vor allem bei den 1-Saal-Kinos. "Wir können mit unseren Kinos flexibel reagieren, mit 350 Sitzplätzen im City 1 bis zum Atelier 2 mit 80, wo wir Arthaus-Filme spielen. Unser Vorteil ist die Vielfalt". Dass Julia von Heinz' "Und morgen die ganze Welt" trotz guten Laufs abgesetzt werden musste, bedauert er. Das betrifft auch Fabien Arséguel, Chef des Alamode-Verleihs, der den Film ins Kino brachte.

Er setzt auf das Potenzial des Films nach dem ersten Lockdown und die Einreichung für den Auslands-Oscar als zusätzlichen Schub. Aber: "Die ganze Werbung für den Start ist verpufft, damit der finanzielle Einsatz in einem hohen sechsstelligen Betrag." Für die Zukunft zeigt er sich skeptisch. Die Unterbrechung von Dreharbeiten wie schon bei der ersten Welle würde viele Filme dann alle auf einmal auf den Markt spülen und die Konkurrenzsituation zwischen den Filmen bis ins Jahr 2022 verschärfen.

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Diese Ansicht teilt ebenfalls Martin Moszkowicz, Filmproduzent und Vorstandsvorsitzender der Constantin-Film: "Bei begrenzter Kapazität der Kinos zwischen nur noch erlaubter 25 bis 35 Prozent Auslastung wird es schwierig, die zu erwartende Menge der Filme zu positionieren". Bisher liefen "Drachenreiter" und "Jim Knopf und die wilde 13" gut, auch weil es an Konkurrenz fehlte. Es schmerzt ihn, dass beide jetzt aus der Auswertung fallen. Und durch den Lockdown verschiebt sich der für November avisierte Start von "Kaiserschmarrndrama", versprechen die Eberhofer-Krimis doch ein gutes Geschäft. Sofort nach Wiedereröffnung will die Constantin ihn deshalb starten. Auch Sönke Wortmanns "Contra" und Lea Schmidbauers "Ostwind - der große Orkan" stehen (noch) für Dezember auf dem Programm. Moszkowicz bezweifelt die Effizienz des Lockdowns, da die Infektionen größtenteils aus privaten Feiern resultierten.

Das "Verhartzen" von Menschen ist ein Skandal

Es gehe auch nicht an, den Menschen jegliche Freude am Leben zu verbieten. Kino- wie Theaterbesuch seien für Zusammenhalt und Gesundheit einer Gesellschaft wichtig. Dieses auszublenden, würde großen Schaden verursachen.

Wenig optimistisch beurteilt Moszkowicz die Situation der Kinos nach der Coronakrise: "Mangels wirtschaftlicher Überlebensfähigkeit wird es einige erwischen, ob 10 Prozent oder 20 Prozent, darüber kann man nur spekulieren". Was ihn besonders fuchst, ist das "Berufsverbot" für Künstler und Soloselbständige in der Branche seit Februar, das "Verhartzen" von Menschen sei ein Skandal.

Thomas Negele, Präsident der SPIO (Interessensverband der deutschen Film- und Videowirtschaft) stört die Geringschätzung der Kultur: "Die ist kein Luxusgut. Kultur und Kreativwirtschaft machen 138 Milliarden Umsatz in Deutschland, die Filmbranche davon 10,3 Milliarden. Das ist doch keine 'Quantité negligeable', keine zu vernachlässigende Größe." "Es gibt neue Technologien, um die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Infektionsketten zu entlasten. Es gibt Hygienetechnologien, Räume virenfrei zu halten. Der Lockdown kann nicht der Ansatz für den Umgang mit der Pandemie sein. Wir sind kein Hotspot!" Nur mit einer Sitzkapazität von 50 Prozent käme die Branche vielleicht nur mit einer bleibenden Schramme davon. Aber dazu müsste das Kino überhaupt erst wieder öffnen dürfen.

Ob es wirklich wieder aufwärts geht, hängt nicht von Erfüllung der Vorgaben ab, sondern von Infektionszahlen und der Wertschätzung von Kultur durch die Politik. Darauf darf die Branche nach bisherigen Erfahrungen aber kaum hoffen. Ob am 3. Dezember die Kinos wieder öffnen und der Spuk des euphemistisch "light" genannten Lockdowns vorbei ist, darauf möchte keiner wetten. Und schon mal gar nicht, wenn Finanzminister Olaf Scholz bereits am ersten Tag des Lockdowns andeutet, die Corona-Beschränkungen könnten auch über den November hinaus gelten. Was die Kanzlerin einen Tag darauf ebenfalls unter Umständen für notwendig hält. Ein Supergau mit Ansage. 

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