"Und morgen die ganze Welt": Der deutsche Oscar-Beitrag in der Kritik

Julia von Heinz' neuer Film "Und morgen die ganze Welt" in der Kinokritik: Das Drama über jungen Widerstand gegen Rechts packt und stellt spannende Fragen.
Adrian Prechtel
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Mala Emde (Mitte) als Luisa bei einer Demonstration und Störaktion gegen eine rechtsradikale Versammlung.
Mala Emde (Mitte) als Luisa bei einer Demonstration und Störaktion gegen eine rechtsradikale Versammlung. © Foto: Oliver Wolff / Alamode

Die Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit der Gewalt? Vielleicht ist sie eine Frage der Perspektive. In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es dazu: Gegen jeden, der es unternimmt, die demokratische, rechtsstaatliche Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand! Und dann der entscheidende Zusatz: Wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Also der Staat dagegen nichts mehr unternimmt oder unternehmen kann.

Aber selbst als Bürger mit Grundvertrauen in staatliche Institutionen kann man sich - je nach Alter - erinnern: einerseits an die RAF-Prozesse in Stuttgart-Stammheim und die staatlichen Verstrickungen bei den Ermittlungen zum Oktoberfestattentat. Was treibt da der Staat? Oder andererseits später an Lichtenhagen oder "national befreite Zonen" und den "NSU". Und man fragt sich: Wo war da der Staat? Und man ist verunsichert.

Die Frage nach der Rechtfertigung von Gewalt im Kampf gegen Rechts

Luisa (Mala Emde) ist eine 20-jährige aus gutsituierter Honoratiorenfamilie in der Provinz. Sie gerät während ihres ersten Semesters Jura in linksalternative Kreise und hier wiederum in eine Antifa-WG, die nicht mehr zusehen will, wie Neonazis und Rechtskonservative Linke, Migranten, Politiker bedrohen.

Die Aktivisten im Film spalten sich in eine gewaltfreie und eine heimlich gewaltbereite Gruppe. Luisa verliebt sich in einen schönen, klugen Kopf (Noah Saavedra), der Gewaltaktionen vorantreibt.

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Mit diesem Typen, der etwas platt Alpha heißt, radikalisiert sich Luisa. Der Kampf gegen immer dreister auftretende Neonazis wird härter. Und so stellt "Und morgen die ganze Welt" die Frage nach der Rechtfertigung von Gewalt im Kampf gegen Rechts. Provokanterweise kann man den Aktionen als Zuschauer auch lange folgen, vielleicht sogar bis zum explosiven Schluss.

Rechtsextreme bleiben in "Und morgen die Welt" gesichtslos

"Mein Film ist nicht an einer spezifischen politischen Botschaft interessiert", hat Regisseurin Julia von Heinz bei den diesjährigen Filmfestspielen am Lido über ihren Film gesagt. Damit verharmlost sie ihn unnötig.

Aber es stimmt doch auch wieder, weil manches Politische unterbelichtet bleibt. So ist hier die extreme Rechte relativ gesichtslos. Zwar sieht man das ganze Spektrum vom Anzugträger über den verunsicherten Kleinbürger bei Versammlungen bis zum Bomberjacken-Schläger und Rechts-Rocker mit Songs wie "Mach ihn kaputt". Aber keiner bekommt eine eigene Geschichte.

Dabei wäre es ja spannend, in AfD-Hirne zu blicken, die ein Spektrum vom Rechtskonservativen bis zum Neonazi abdecken. Und welche Rolle spielen eigentlich die deutschen Ordnungsorgane, wenn sich eine Szene bilden konnte, die den Staat terroristisch bekämpft und alles vernichten will, was vom selbsterklärten "Deutschtum" abweicht?

Radikalisierung - konventionell erzählt

Luisa selbst erlebt im Film den deutschen Rechtsstaat als repressiv bei Razzien gegen autonome Jugendtreffs, was sie weiter in den Untergrund treibt. In alledem muss sich der Zuschauer selbst fragen, was er für richtig hält. Und ob man selbst als Demokrat nicht endlich handeln sollte! Dabei ist der Film - Gott sei Dank - aber kein linkes Agitprop-Werk, sondern erzählt die Geschichte einer Radikalisierung - allerdings in einem nicht radikalen, sondern eher konventionellem Stil.

"Und morgen die ganze Welt" im Kino in München: Gloria, Solln, Leopold, Rex, Mathäser, Monopol, Isabella
Buch und Regie: Julia von Heinz (Deutschland, 110 Min.)

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