AZ-Filmkritik zu "The Last Duel" von Ridley Scott: Die drei Wahrheiten

Ein Ritterfilm? Nein, viel mehr: Ridley Scotts "The Last Duel" erzählt die Geschichte einer Vergewaltigung aus drei ganz unterschiedlichen Perspektiven.
Martin Schwickert |
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Adam Driver als Jacques LeGris und Matt Damon als Jean de Carrouges in "The last Duel".
Adam Driver als Jacques LeGris und Matt Damon als Jean de Carrouges in "The last Duel". © Patrick Redmond/20th Century Studios

Die Schlachtrösser sind gesattelt. Die beiden Männer steigen in ihre schweren Rüstungen und schauen entschlossen. Drumherum in der Arena tobt das Volk. Auf der Tribüne lächelt ein viel zu junger König vergnügt neben den finsteren Vertretern des Hochadels. Jetzt ziehen die beiden Ritter die Helme über, greifen nach den Lanzen - und reiten im gestreckten Galopp aufeinander zu.

Alles scheint erst einmal beim Alten zu Beginn von Ridley Scotts Mittelalter-Spektakel "The Last Duel", das in seiner ersten Szene ein Stück des Finales vorwegnimmt, um dann neun Jahre zurück auf Anno 1377 zurückzuspulen. Hier sind die beiden Männer, Jean de Carrouges (Matt Damon) und Jacques Le Gris (Adam Driver) noch beste Freunde und Waffenbrüder, die für König und Vaterland gemeinsam in die Schlacht ziehen.

Ridley Scott ist voll in seinem Element

Schwerter wirbeln. Blutfontänen schießen. Die Kinoleinwand wird wirkungsvoll in Adrenalin und Testosteron getränkt. Kein Zweifel: Scott ist in seinem Element, so wie man es aus Filmen wie "Gladiator" (2000) oder "Kingdom of Heaven" (2005) kennt.

Heldenhaft reitet Carrouges (also Damon) den Feinden entgegen. Denn das, was wir im ersten Drittel des Filmes sehen, ist seine Sicht auf die Ereignisse. Als die beiden Ritter aus der Schlacht zurück in die Normandie kommen, steigt Le Gris (Driver) schnell zum Geldeintreiber und Protegé eines mächtigen Grafen (Ben Affleck) auf.

Carrouges hingegen kämpft auf seinem Familiensitz ums wirtschaftliche Überleben. Als er Marguerite (Jodie Comer) zum ersten Mal erblickt, zögert er nicht lange: mit der auch noch schönen Braut kommt eine beträchtliche Mitgift in seinen Besitz. Aber das beste Stück Land hat der Graf als Steuer eingetrieben und Le Gris geschenkt. Carrouges zieht gegen seinen früheren Freund vor Gericht - und scheitert kläglich.

Es kommt zum legalisierten Duell mit einem Vergewaltiger

Wenige Jahre später kehrt er aus einem weiteren Krieg zurück. Dann eröffnet ihm Marguerite, dass sie von Le Gris vergewaltigt wurde und das erlittene Unrecht nicht unter den Teppich kehren will. Und so geht Carrouges erneut vor das königliche Gericht, um in einem legalisierten Duell den Vergewaltiger zur Rechenschaft zu ziehen. Aber das, was man bisher gesehen hat, ist nicht die ganze Wahrheit.

Im zweiten Teil der Erzählung wird Le Gris Sicht auf die Geschehnisse gezeigt, dessen Loyalität zu Carrouges am Hof des Grafen zunehmend infrage gestellt wird, bis er sich in Marguerite verliebt und sie schließlich gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr zwingt. "Wir konnten nicht an uns halten", sagt er, als er ihr Schlafzimmer verlässt und versucht damit die Vergewaltigung als einvernehmliche Leidenschaft schön zu reden.

Die dritte und finale Wahrheit gehört schließlich Marguerite. Mit dem Perspektivwechsel bekommt die Geschichte einen ganz neuen Blick auf die patriarchalen Verhältnisse des mittelalterlichen Frankreichs, in dem Frauen wie Besitztümer verschachert und behandelt werden. Auch wenn ihr Mann sie offensichtlich liebt, wird die Ehe angesichts seines grobschlächtigen Verhaltens immer wieder hart auf die Probe gestellt.

"The Last Duel" beruht auf einem wahren Gerichtsfall

Als wiederum Le Gris ihr seine Liebe gesteht und Marguerite dann vergewaltigt, gibt es aber aus ihrer Sicht nicht den geringsten Zweifel, dass es ein sexueller Gewaltakt war und kein Kavaliersdelikt. Vornehmlich aus dem eigenen gekränkten Ehrgefühl heraus zieht Carrouges schließlich vor Gericht und verschweigt der schwangeren Ehefrau, dass - sollte er das Duell verlieren - Marguerite auf dem Scheiterhaufen landen wird.

"The Last Duel" beruht auf einem wahren Gerichtsfall aus dem Jahre 1386. Für das Drehbuch haben sich Matt Damon und Ben Affleck zum ersten Mal seit "Good Will Hunting" (1997) wieder zusammen getan und Regisseurin Nicole Holofcener mit ins Boot genommen. Die ersten beiden Teile wurden jeweils von Damon und Affleck geschrieben, die Frauenperspektive von Holofcener.

Es tun sich erschreckende Parallelen zur Gegenwart auf

Über zweieinhalb Kinostunden entfaltet sich zunächst ein konventionell viriles Mittelalterspektakel, das alle Knöpfe des Genres drückt, um sich dann durch die weibliche Sicht selbst zu unterminieren. Detailreich, mit bitterem Blick und ohne feministisches Pathos blickt Holofcener in ihrem Part auf die patriarchalen Verhältnisse im Mittelalter, die bezüglich der Verharmlosung von Vergewaltigungsdelikten erschreckende Parallelen zur Gegenwart aufweisen.

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Ridley Scott erweist sich hier im Regiestuhl als Idealbesetzung, weil er das Publikum mit seiner einschlägigen Genre-Erfahrung kompetent auf den Leim gehen lässt und dem finalen Perspektivwechsel die entsprechende Wucht und Tiefe verleiht. Scott kann eben nicht nur "Gladiator", sondern zeichnet schließlich auch für den Frauenfilmklassiker "Thelma und Louise" (1991) verantwortlich.

"The Last Duel" ist Gott sei Dank sicherlich kein feministisches Traktat, beweist aber, dass jedes Genre aus weiblicher Perspektive neu und gewinnbringend erzählt werden kann.


Kino: Mathäser, Royal sowie Monopol (OmU) und Museum, Cadillac (OV)
Regie: Ridley Scott (USA, 152 Min.)

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