"Titane": Kein Sexklischee von Girls and Cars
Was Julia Ducournau hier präsentiert, ist eine brachiale Tour de Force ohne Tempolimit und Leitplanken. Und deshalb endlich wieder Kino, das einen an seine Grenzen bringt. Anschnallen ist sinnlos.
"Titane" verlangt seinen Zuschauern einiges ab
Bevor der Film in tiefschwarze Abgründe taucht, macht er Stopp in der Welt von Alexia (Agathe Rousselle), bestehend aus nackter Haut und blanken Karosserien. Beruflich räkelt sich die junge Frau knapp bekleidet auf Hochleistungsschlitten, bejubelt vom testosteron-besoffenen Publikum. Unter der Kopfhaut trägt sie ein Geheimnis: eine Titanplatte, die sie seit einem Unfall in der Kindheit Teil von ihr ist. Die künstliche Schädeldecke scheint jedoch mit einem Mal mörderische Instinkte in Alexia zu wecken. Nachdem sie einen aufdringlichen Verehrer ins Jenseits befördert hat, ist sie vom Zerstörungstrieb ergriffen.
Schon das erste Drittel von "Titane" verlangt seinen Zuschauern einiges ab. Mit verführerischen Farbpaletten, jedoch erbarmungslos blutig inszeniert Ducournau eine scheinbar sinnlose Mordserie. Befriedigende Antworten serviert die Regisseurin vorerst nicht. Und sollte der Ansatz von welchen kommen, ist man verwirrter als davor.
Weibliche Sexualität, Gender-Rollen, Transhumanismus
So hat auch Alexias Fluchtplan etwas von einer schlecht beleuchteten Straße. Sie gibt sich als ein Junge aus, der seit zehn Jahren vermisst wird. Mit Schere und Rasierer kann man zumindest den Haarwuchs angleichen, mit einem Waschbecken die Form der Nase. Und voilà: Der Vater (Vincent Lindon), äußerlich muskulös, innerlich gebrochen, schließt den verlorenen Sohn glücklich in die Arme. Aber wie lange kann ein solches Versteckspiel gut gehen? Vor allem, da Alexia neben ihrer Titanplatte einen zweiten Fremdkörper in sich trägt - nach einer Liebesnacht mit einem Sportwagen.
Es wäre zu leicht, "Titane" als bloßen Schocker abzustempeln. Nicht nur wegen seines Körperhorrors, der mitunter an David Cronenberg erinnert, sondern auch, weil die vielen Motive schwer zu fassen sind: Weibliche Sexualität, Gender-Rollen, Transhumanismus - alles kreist durch den Raum, ohne einen festen Platz zu finden. Zumindest auf den ersten Blick, denn einen Thesenfilm wollte Ducournau hier gar nicht schaffen, sondern eine Geschichte, die trotz ihrer brutalen Skurrilität berührt. Die grandiose Schauspielleistung des Duos lässt den bloßen Schauwert in den Hintergrund rücken.
Sich auf diese Höllenfahrt einzulassen, fällt nicht immer ganz leicht. Hat man die Spur aber erst einmal gefunden, tut sich ein subversives und angenehm erschütterndes Stück Kino vor einem auf.
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