"Wildnis" im Theater Undsofort: Deftiges Drama
München - An den verschwenderischen Naturalismus müssen sich Zusehende der postdramatischen Epoche gewöhnen.
Bühnenbildner Heinz Konrad könnte eine Ausstellung "Wohnen in München von 1950 bis 1970" geplündert haben, wenn es gerade im Stadtmuseum eine solche Veranstaltung gäbe.
Nicht einmal das Kruzifix und das verbleichende Schwarzweißfoto vom Papa als junger Mann in schneidiger Reichswehr-Uniform hat er vergessen. Und es sind die langlebigen Gespenster von Krieg und Nachkrieg, die Petra Wintersteller in ihrem neuen Stück "Wildnis" effektvoll beschwört.
Der einst so liebevolle Hias ist launisch und brutal
Die Wildnis ist Trudering in den frühen 1960er-Jahren, als man im Kino bei Elvis-Presley-Filmen knutschte und im Radio Caterina Valente hörte. Das Wirtschaftswunder kommt aber nur in Form des Kaufrauschs von Henriette Moser (Petra Auer) vor. Mit dem ruinösen Shopping, das damals noch nicht so hieß, versüßt sie sich ein wenig die Frustrationen als Ehefrau. Der lebensfrohe und liebevolle Hias, den sie einmal geheiratet hat, ist irgendwo im Krieg verloren gegangen. Der Mann, der aus russischer Gefangenschaft heimkehrte, ist launisch, mürrisch und brutal.
Mit dem Tod des Bruders im Lager, dessen Zeuge er war, ist er nie fertig geworden. Den Sohn Ludwig (Kolja Heiß) lässt er spüren, dass er sicher ist, nicht der biologische Vater des "Hundskrüppels" zu sein.
Heiko Dietz spielt das multipel gekränkte und traumatisierte Monster mit überwältigender Energie und schafft es dennoch, angesichts der liebenswerten Lotte (Teresa Sperling), in die sich der Ludwig verguckt hat, Spuren seines alten Charmes erkennen zu lassen. Zu den Qualitäten der Inszenierung im Theater Undsofort, um die sich die Autorin selbst gekümmert hat, gehört, dass Dietzens Hias trotz des kraftstrotzenden Auftritts nicht alles an die Wand dominiert. Auch die drei anderen sind auf eindringliche Weise präsent.
Sauguat erzählte Story im folkloristischen Bayern-Sound
Wenn die Münchner Geschichte als "bayerisches Drama" untertitelt ist, dann bezieht sich das auf das Ende, denn unter der Familientragödie aus Minga gärt schicksalhaft ein früheres Bauerndrama im Voralpenland.
Wintersteller hat offenbar bei Ludwig Ganghofer lustvoll genascht und deftig mit Martin Sperr abgeschmeckt. Als Regisseurin gibt sie nicht nur den eruptiven Emotionen viel Auslauf, sondern lässt auch, sorgfältig choreografiert, sehr physisch agieren. Die Story im folkloristischen Bayern-Sound ist zum Showdown a bisserl krachert, aber sauguat erzählt.
Theater Undsofort, bis Sonntag, 29. September bis 2. Oktober, 20 Uhr, Internet www.undsofort.de
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