"Funky Town": Akrobatikshow mit live erzeugtem Groove
Dass Robert Wicke sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat, als Straßenkünstler, der einst Passanten mit seinen Nummern einfangen musste, um sie dann zum Zuschauen, Mitmachen, Klatschen zu animieren, ist von Anfang an im GOP spürbar. Als Wicke auf die Bühne kommt und das Publikum nur plätschernd reagiert, geht er einfach noch mal ab, tritt nochmal auf und veranstaltet dieses Hin und Her solange, bis die Menge ihm mit dem richtigen Geräuschpegel Applaus spendet. Also, der Saal tobt.
Ein bisschen Corona-Lethargie steckt da wohl noch in den Zuschauerknochen, aber alle haben Lust darauf, dass der Staub auf der Seele endlich weggepustet wird. Eine Akrobatikshow, bei der die Nummern durch live erzeugten Groove noch mal zusätzlich gepuscht werden, kommt da zur rechten Zeit. "Funky Town" nennt sich die neue Show im GOP Varieté-Theater, gleich neben dem Maxmonument. Als "Bürgermeister" dieser durch seitliche Hochhaus-Kulissen angedeuteten Stadt haben Robert Wicke und Kai Eikermann das Regiezepter in der Hand gehabt und treten selbst als Entertainer auf, wobei der breakdancende Körperkomiker Eikermann gerade Vater geworden ist und nun für einige Zeit von dem ebenfalls vielseitigen deutsch-israelischen Künstler Semion ersetzt wird.
Die Akrobatik lebt vom Risiko
Als Rahmen stiftendes Duo nimmt man Wicke und Semion, der auch mal trompetet oder als DJ virtuos zwei schwarze Scheiben rotieren und fliegen lässt, zwar bei ihrer Premiere noch nicht so richtig wahr, aber gerade Wicke versteht es großartig, das Publikum an die Hand zu nehmen und einzubinden. Wenn es sein muss, auch mit Maske, wenn er etwa einen Ausflug ins Parkett unternimmt und ein paar Zuschauer rekrutiert. Wenn Wicke dann jongliert und ein Zuschauer ihm die zusätzliche Keule nicht so richtig zielsicher zuwirft, ist das halb so schlimm, sondern steigert die Stimmung im Saal. Und vom Risiko lebt ja die Akrobatik: Wenn hier mal was nicht sofort klappt, gibt es eben eine zweite Chance.
Wicke ist allzeit improvisationsbereit, begeistert mit Solo-Beat-Box-Einlagen und gibt gemeinsam mit Keyboarder/Bassist Fede Rimini den musikalischen Drive für den Abend. Rimini hat die Instrumentals komponiert, rasant sind sie, aber auch mal langsam-smoother, wenn Gloria Veit zum Beispiel einen sinnlichen "Flying Pole Act" hinlegt. In der Luft, an der Stange macht sie die Schwerkraft vergessen, stürzt natürlich auch nicht ab, wenn nur ein Bein die Stange umschlingt und sie kopfüber herabhängt.
Momentaufnahmen ergeben sich, die man als Metaphern fürs Leben nehmen kann. Wenn Luiza und Dmitrii sich als "Duo Spirit" am Boden oder oben an den Strapaten winden, den anderen ständig im Blick, ihr Gewicht gegenseitig ausbalancierend, so dass spektakuläre Duo-Formationen möglich sind, ergibt sich ein Bild perfekter Paarharmonie. Luzias Körper kann da auch mal an Dmitriis Nacken hängen und da knackt nix, weil die Spannung stimmt, bei sich selbst und in der Kombination mit dem anderen.
Die Artisten können sowohl als durchtrainierte Vorbilder für Menschen mit Pandemiehängebauch dienen, als auch für Profi-Sportler: Habtmnesh Argaw, als Kontorsionistin irrsinnig beweglich, jongliert auch mal liegend mit Händen und Füßen vier Bälle, die so groß wie Basketbälle, aber nicht so schwer sind, und man denkt sich, na, das wäre doch auch mal eine gute Trainingseinheit für die Fußballer vom FC Bayern.
Cyrrad, Stapelarbeit und Seilspringen in Perfektion
Ähnlich körperflexibel breakdanced Emir Buhari auf dem Boden, wenn er nicht gerade im Cyrrad steckt und auf der Bühne herumrollt, dass es einem allein beim Zuschauen schwindlig wird.
An äußerst ungute Haushaltsunfälle muss man bei den waghalsigen Balance-Akten von Monsieur Chapeau auf dem "Rola Rola" denken: Unter ein Brett kommt ein zylinderförmiges Rohr, auf dem Brett hält der Mensch dann sein Gleichgewicht, wobei der wohl behütete Monsieur sich damit nicht zufriedengibt, sondern drei Koffer darunter baut und ein paar Rohre mehr übereinanderstapelt, auf dass er dann ganz hoch oben auf dieser Konstruktion vor sich hin- und herwackelt, während bei einem selbst die Erinnerung hochsteigt, wie man einst beim Eindrehen einer Glühbirne vom Stuhl gefallen ist.
Seilspringen gehört wiederum zu den (wohl immer noch eher weiblichen) Kindheitserinnerungen. Tori Boggs, laut Pressetext "Grand World Jump Rope Champion und zweifache Weltrekordhalterin" in was für einem Stunt auch immer, wirbelt mit dem Seil in (vermutlich) Lichtgeschwindigkeit.
Zwischendurch macht sie einen Salto rückwärts und fetzt die Leine dabei mehrfach unter sich durch. Sensationell. Boggs kommt aus den USA, Habtmnesh aus Äthiopien, Emir Buhari aus der Türkei, und so weiter - das Ensemble ist, wie so oft im Varieté, ein Melting Pot verschiedener Nationen. Am Ende legen alle eine gemeinsame Choreographie hin, gut gelaunt und akrobatisch schön. Das ist schon wirklich funky.
GOP, Maximilianstr. 47, bis 7. November; Menübeginn & Einlass: 18.30 Uhr, Showbeginn: 20 Uhr; Preis: 35 Euro, ermäßigt 25/15 Euro, mit Menü zwischen 70 und 76 Euro, Tel. 210 288 444, www.variete.de
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