Oper "Akhnaten" in München: Mehr Musiktheater-Pop wagen!
Merkwürdig, dass hiesige Intendanten und Dramaturgen fast ausnahmslos vor amerikanischen Opern mit Minimal Music zurückschrecken. Dabei wurden zwei Hauptwerke dieses Stils gar nicht in den USA uraufgeführt, sondern vor ungefähr 40 Jahren in Stuttgart - doch der Erfolg von Philip Glass' "Satyagraha" und "Akhnaten" blieb ohne nachhaltige Wirkung auf die Spielpläne. München hatte sogar einmal einen kalifornischen Generalmusikdirektor, der nach Überschreitung der Münchner Stadtgrenze komplett vergaß, dass er einige Hauptwerke dieses Stils uraufgeführt hatte.
Erstklassige Leistung des Laien-Ensembles
Nun spielt die Truppe Opera Incognita, die jedes Jahr um diese Zeit an einer (meist) ungewöhnlichen Spielstätte ein (meist) selten aufgeführtes Werk zeigt, eine der beiden damals in Stuttgart uraufgeführten Opern im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst: "Akhnaten". Diese Oper des 1937 in Baltimore geborenen Komponisten über den sogenannten "Ketzer-Pharao" Echnaton sprengt eigentlich den Rahmen der Möglichkeiten dieser freien Truppe um den Regisseur Andreas Wiedermann und den Dirigenten Ernst Bartmann, weil der Chor hier die Hauptrolle spielt.

Dass das mit 45 Leuten hochmotivierten Laien trotzdem funktioniert, macht die ohnehin bemerkenswerte Leistung dieser Aufführung noch herausragender.
Zwischen Zeit und Ewigkeit
Wiedermanns Inszenierung erinnert eingangs an den 200. Jahrestag der Entzifferung der Hieroglyphen und das 100-jährige Jubiläum der Entdeckung des Grabs von Tutanchamun, der wahrscheinlich ein Sohn Echnatons war. Als Identifikationsfigur für das Publikum fungiert ein kindlicher Pharao, zwischendurch werden künstliche Befruchtungen auf einem gynäkologischen Stuhl durchgeführt, damit die Aufführung nicht zu süffig wird. Am Ende schließt sich dieser Kreis einer Reflexion über Zeit und Ewigkeit, was sehr gut zum endlos-ruhigen Fließen der Musik passt.
Weil sich viele hiesige Instrumentalisten mit den unablässigen Wiederholungen schwer tun, weil jeder subjektive Ausdruck hier nur stören würde, erweist es sich als Glücksfall, dass eine (autorisierte) Version für mehrere Keyboards und Schlagzeug existiert. Sie orientiert sich an der Orchesterfassung, ohne wie eine Imitation zu wirken, und erzeugt mit vergleichsweise geringem Aufwand eine Klangfülle, die den Dreigroschenklang eines Kammerensembles mit rauschhafter Opulenz übertrifft.
Vorzüge einer Demokratie werden deutlich
Es wird viel geschritten und im Prozessionsstil auf- und abmarschiert. Wiedermann legt von Anfang an Konflikte zwischen dem jungen Echnaton und den Priestern offen. Die neue Aton-Religion wird nicht idealisiert: Sie trägt Züge einer weltabgewandten Hippie-Sekte. Wenn der König über die Rücken seiner flach gelegten Untertanen hinwegschreitet, wird auch dem Letzten deutlich, dass es seine Vorzüge hat, 3500 Jahre später in einer Demokratie zu leben.
Die Choreografie der Chorauftritte wirkt anfangs ein wenig leer, aber das legt sich im weiteren Verlauf der Aufführung. Der sehr breite, trotz Waschbeton an eine Tempelhalle erinnernde Raum im Untergeschoss des Museums eignet sich sowohl für den verlorenen Auftritt einzelner Personen wie einer Tänzerin (Rotem Weissmann), als auch für szenische Monumentalreliefs.

Auch die Zuschauer in der letzten Reihe sind bei der Rebellion gegen Echnaton nur ein paar Meter von den Kämpfenden mit ihren Stöcken entfernt. Das erzeugt zusammen mit der Musik eine soghafte, auch süchtig machende Intensität, die sich bei Opernmusik lebender Komponisten eher selten einstellt.
Alle Sänger glänzen in ihren Rollen
Die Kostüme bewegen sich zeitlos irgendwo zwischen Buddhismus und den Hohepriestern der Oberammergauer Passionsspiele. Mit sparsamen Mitteln gelingt eine opernhafte Steigerung des szenischen Aufwands, die alles in den Schatten stellt, was man von freien Gruppen gewöhnt ist (Ausstattung: Aylin Kaip). Und ganz am Ende gibt es noch einen Sprung in die touristische Gegenwart des Alten Ägypten und die Zukunft der Menschheit, die den langen musikalischen Epilog perfekt ausnützt.
Glass schrieb die Hauptrolle seiner Oper für einen Countertenor - als eine der ersten großen modernen Partien für dieses damals neu entdeckte Stimmfach. Kiuk Kim ist für den Echnaton ideal: Er singt schöne, große Bögen, hat aber auch keine Mühe, den Chor im Fortissimo trompetenhaft zu überstrahlen. Carolin Ritter (Nofretete) und Dilay Girgin (Teje) stehen ihm in nichts nach, auch die Vertreter der kleineren Rollen (Konstantin Riedl, Robson Bueno Tavares und Jinjian Zhong) sind exzellent.
Vorstellungsbesuch ist ein absolutes Muss
Und warum hat es so lange gedauert, bis dieses auch schon an der New Yorker Metropolitan Opera oder in London gespielte Werk die 230 Kilometer nach München geschafft hat? Nach dem Besuch dieser Aufführung gibt's dafür nur eine Erklärung: Es hat leider mit einem Avantgarde-Dünkel zu tun. Denn die Schnittmengen zwischen Minimal Music und Pop sind beträchtlich, obwohl bei "Akhnaten" fast nichts an ein Musical erinnert. Also: Nichts wie hin! Zumal es einen besseren Ort als das Ägyptische Museum mit seinen Exponaten aus der Zeit Echnatons sowieso nicht gibt.
Gabelsbergerstraße 35, wieder am 31. August sowie am 2., 3., 7., 9., 10. und 16. September um 19.30 Uhr. Karten bei München Ticket, online, unter Telefon 089/ 54 81 81 81 und an den bekannten Vorverkaufsstellen
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