"Fashion Freak Show" von Jean Paul Gaultier in München: Sein Leben als opulente, sexuelle Revue
Nein, es ist nicht Meryl Streep als Teufelin, die Prada trägt. Hier spielt Anouk Viale die "Vogue"-Modepäpstin Anna Wintour. Die wendet sich kurz vor der Pause giftig ans Publikum: "Da klatschen Sie? Das ist doch grauenhaft!" Um ihrer Empörung Luft zu verschaffen, greift sie auf der Bühne zum Handy und ruft "Karlito" an – also Karl Lagerfeld, der hier von einem Schwarzen gespielt wird und auf einem Großbildschirm erscheint.
Wintour erklärt ihm theatralisch, sie habe gerade die erste Modenschau eines gewissen Jean Paul Gaultier gesehen: "Einfach und kurz gesagt: vulgär!" – und die volle Isarphilharmonie lacht die gefürchtete Mode-Schlange aus, bevor es in die Pause geht.
Die "Fashion Freak Show" in München ist eine exklusive Haut-Couture-Präsentation
Nach der Pause behauptet die Wintour dann opportunistisch geschmeidig, schon immer gewusst zu haben, was JPG für ein erfrischendes Genie sei und "outet" sich als großer Fan. Die Modewelt als Schlangengrube: Diesen kleinen Seitenhieb hat sich Jean Paul Gaultier nicht nehmen lassen.

Und wirklich lacht er da selbst in der fünften Reihe. Zuvor war er von den 1.600 Zuschauer*innen (hier ist das Gendern einmal unstrittig angebracht) stehend gefeiert worden, als er nach der Pause von der französischen Rock-Sängerin und Conférencière des Abends, Beatrice Brunet, in den dunklen Saal geleitet wurde.
Die Isarphilharmonie ist überraschend auch ein guter Showroom, weil er in seiner eleganten, dunklen Kompaktheit jedem den Eindruck gibt, wirklich in einer exklusiven Haut-Couture-Präsentation sitzen zu dürfen. Denn das vor allem ist diese "Fashion Freak Show", die auf Welttournee ist – und gerade in München.
"Fashion Freak Show" von Jean Paul Gaultier: Viele Stars sind digital dabei
Zusammengehalten werden die im Quick-Change rasend ineinander übergehenden zwei Showstunden von der Biografie Gaultiers (gespielt und getanzt von Samuel Dilkes). Es beginnt in der Schule, in der Jean Paul Anfang der 60er-Jahre für Klassenkameraden Bilder zeichnet. Die spanische Schauspielerin Rossy de Palma spielt im eingeblendeten Schulvideo-Clip die Lehrerin.
Wie überhaupt viele Stars, mit denen Gaultier befreundet ist, in die Show digital eingebaut sind – inklusive Catherine Deneuve (hier als Modeschau-Regisseurin) oder Amanda Lear, die auch für Gaultier gemodelt hat.
Jean Paul Gaultiers "Fashion Freak Show" zeigt sich als amüsantes Feuerwerk
Wer aus diesem beeindruckenden, amüsanten Feuerwerk aber das Leben Gaultiers herauslesen will, wird Schwierigkeiten haben. Wenn zwischen Akrobatik und Ballett von androgynen Figuren, Transvestiten und Homo-Paaren wild getanzt wird und darüber glitzernd das Wort "Palace" prangt, kann nicht jeder wissen, dass das "Le Palace" der Pariser Glitzer-Discoclub war, der in den 70ern und 80ern auch von queerem Publikum geschätzt wurde und wo sich Stars wie Mick Jagger mit Punks und Aristokraten mischten oder Andy Warhol verkehrte.
Und wenn die Figur des Francis (Jonathon Luke Baker) einen Soloauftritt zum Song "Under My Skin" hat, der tanzend immer hinfälliger wird, ist auch nicht jedem klar, dass Francis Menuge Gaultiers große Liebe und früher Manager war, aber 1985 an Aids starb.

In der "Fashion Freak Show" geht es viel um Sex
Dunkle Seiten spielen aber eher keine Rolle in dieser aufgepeitschten Show aus viel Haut, Latex, Federn, weißem Tüll, Lichtspielen. Wobei alles extrem gut und atmosphärisch immer passend ausgeleuchtet und auch noch im größten Getümmel perfekt choreografiert ist.
Statt etwaiger biografischer oder gesellschaftlicher Abgründen geht es viel um Sex. Der kommt in vielen Formen auf die Bühne – inklusive einem boulesquen Striptease. Überhaupt sieht man viele nackte Hinterteile – angefangen vom Bananentanz Joséphine Bakers bis hin zu Kopulationsverrenkungen zu Prince, David Bowie oder Boy George, die auch alle als Figuren dargestellt werden, während Präservative im Publikum verteilt werden.

Jean Paul Gaultier wird in München bejubelt: "You are all beautiful"
Musikalisch liegt der Schwerpunkt auf den Popnummern der späten 70er und 80er-Jahre von "Le Freak" über Bronski Beats "Why" bis "Relax" von Frankie goes to Hollywood. Nach einem opulenten Show-Rausch applaudiert das Publikum ekstatisch. Und Jean Paul Gaultier kommt umjubelt selbst auf die Bühne, spricht ein paar Worte in seinem lustigen Franglisch darüber, wie froh er ist, hier in Deutschland und München zu sein.
Dann ruft er sein Credo in die nächtliche Menge: "You are all beautiful!" – und wirklich hatte sich das begeisterte Publikum witzig bis wild aufgebrezelt und so auch im Zuschauerraum für eine besondere, bunte, schillernde Atmosphäre gesorgt.
noch bis Donnerstag, 27. Juli, Isarphilharmonie, Karten: 45 Euro bis 110 Euro unter www.muenchenticket.de oder www.muenchenmusik.de
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