Interview

Intendant des Residenztheaters: "Der Marstall fällt auseinander"

Der Intendant des Residenztheaters über den maroden Zustand seines Hauses und den kommenden Winter.
Mathias Hejny |
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Andreas Beck im Foyer des Residenztheaters.
Andreas Beck im Foyer des Residenztheaters. © Lucia Hunziker

Am 23. September beginnt die Spielzeit 2022/2023 im Residenztheater mit "Engel in Amerika", dem breit angelegten Panorama der US-Gesellschaft in Zeiten des Aids-Virus und am Beginn der Neuordnung der Welt nach dem Untergang der Sowjetunion.

Darüber sowie über Koproduktionen in Ostasien, über den Sanierungsbedarf zu Hause im Residenztheater oder über mehr Geduld bei der Rückkehr des Publikums nach Corona sprachen wir mit Intendant Andreas Beck, der vor seiner vierten Saison am Residenztheater steht.

AZ: Herr Beck, die neue Saison begann in der vorigen Woche und damit vor der offiziellen Spielzeiteröffnung in Bangkok mit dem queeren Dokumentarstück "I Don't Care", das ab 14. Oktober in München zu sehen sein wird. Waren Sie in Thailand?
ANDREAS BECK: Nein. Es ist ein kleines Satellitenprojekt und hat eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie "Borderline", das wir damals mit Südkorea gemacht haben. Das ist sehr schön geworden trotz der Schwierigkeiten durch die Pandemie. Parallel dazu planten wir mit einem gemischten Regiekollektiv dieses Transgender-Projekt. Diese Projekte wollen den eurozentrischen Blick brechen und andere Themen, Künstlerinnen und Künstler in München vorstellen. Was daraus geworden ist, wissen wir tatsächlich noch nicht. Es läuft jetzt in Bangkok und wie ich höre, sehr fröhlich machend. Mareike Beykirch, eine Schauspielerin unseres Ensembles, ist ganz euphorisch. Es scheint sehr erfolgreich zu sein.

"Engel in Amerika": "Das Stück hat nie an Aktualität verloren"

Die offizielle Saisoneröffnung findet am Freitag mit der München-Premiere einer schweizerischen Importware statt: "Engel in Amerika" von Tony Kushner unter der Regie von Simon Stone, das an ihrer früheren Wirkungsstätte in Basel ein außerordentlich großer Erfolg war. Wie hält man eine Inszenierung über sieben Jahre lang frisch?
Im englischen Sprachraum ist das Stück ein Klassiker und wie "Der Tod eines Handlungsreisenden" ein vielgelesener und vielgespielter Text. Bei uns war es nur ein Stück über Aids. Aber es ist ein Stück mit Aids. Die Krankheit ist hier das Lackmus-Stäbchen, das in eine Gesellschaft gehalten wird, die komplett säkularisiert und profanisiert ist. Wir erleben eine Welt, die ohne Kontakt zur Transzendenz vollständig auf das Hier und Jetzt geworfen ist. Diese Welt wird von einem Virus heimgesucht, das mehr verlangt als materielles Gut – und zwar Mitgefühl. Das Stück hat nie an Aktualität verloren. Wenn wir diese Inszenierung jetzt noch einmal in die Hand nehmen, hat das nicht nur damit zu tun, dass wir alle sie sehr mögen. Wir glauben, dass wir durch die Pandemie und zusammen mit der Betrachtung von "Das Vermächtnis" von Matthew Lopez zwei Epen haben, die auf fantastische Art und Weise ein Panorama der letzten 40 Jahre bieten. Man könnte natürlich sagen, dass das anhand einer bestimmten Community geschieht, aber es geht längst darüber hinaus.

Eine Szene aus Tony Kushners Theaterepos "Engel in Amerika".
Eine Szene aus Tony Kushners Theaterepos "Engel in Amerika". © Sandra Then
Eine Szene aus Tony Kushners Theaterepos "Engel in Amerika".
Eine Szene aus Tony Kushners Theaterepos "Engel in Amerika". © Sandra Then

"Die Spiele müssen weitergehen": "Der Titel ist Programm"

Am Samstag folgen im Marstall die Olympischen Spiele, und zwar die von 1972 unter dem Titel "Die Spiele müssen weitergehen". Was erwartet die Zusehenden?
Der Titel ist Programm. Er klingt ein bisschen wie "The show must go on". Maria Riva, die Tochter von Marlene Dietrich fragte einmal auf diesen Satz ihrer Mutter: "Why?" Die Frage nach dem Warum stellen wir uns relativ selten. Wir stellen sie jetzt nach dem Abschluss der Beschwörung dieses Mythos. Es war ein entscheidender Schritt für die Stadt München, nicht nur die Spiele ausrichten zu können, sondern sich schon in der Vorbereitung bewusst abzusetzen und ein neues, hippieskeres Deutschland-Bild zu entwerfen und dann so radikal an einem Terrorakt zu scheitern. Der Begriff "wehrhafte Demokratie" kam erst viel später. "Die Spiele müssen weitergehen" ist auch deshalb programmatisch, weil nach all diesen Imponderabilien der Pandemie die Theaterspiele nicht nur weitergehen müssen, sondern wir uns auch sagen: Unser Leben vor der Pandemie war nicht nur hektisch und stressig, sondern es enthielt auch sehr viel Qualität. Zu dieser Qualität aufzurufen, gehört mit zur Idee.

Bald nach Ihrer Amtsübernahme beklagten sie den baulichen Zustand Ihres Hauses. Gibt es Bewegung im Umgang mit dem Freistaat?
Bewegung gibt es immer, und Bewegung erzeugt Reibung und Hitze. Noch habe ich aber keinen Schutzhelm auf, um Grundsteine oder ähnliches zu legen. Der Bestand, auf dem man sich in München als Kunst- und Kulturstadt ausruht ist - und das wissen auch alle - gefährdet. Man hat mir diese Institution anvertraut, und so ich muss in deren Namen sagen: Das geht so nicht. Der Marstall fällt fast auseinander, und das Residenztheater hat eine Technik, die in der Bühnentechnischen Rundschau als Kuriosum bezeichnet wurde, weil sie so alt ist und trotzdem noch funktioniert. Jetzt schauen wir einmal ein wenig auf die Welt, wie sie sich mit all ihren Problemen gestaltet, und rufen aus: Hallo, wir haben hier eine Institution weit über die Grenzen der Stadt hinaus, die muss erhalten werden, und zwar ganz dringend.

Andreas Beck mit seinem Team vor dem Residenztheater.
Andreas Beck mit seinem Team vor dem Residenztheater. © Adrienne Meister

"Wir haben unser Versprechen gehalten"

Lässt sich schon erkennen, welchen Schaden Corona angerichtet hat?
Das ist noch ganz schwer einzukreisen. Sagen wir mal so: Wir haben unsere Versprechen gehalten. Es wurde nichts umsonst geschneidert oder umsonst gezimmert. Die Produktionen sind alle da und jetzt wollen wir sie auch spielen. Und dann wird man irgendwann sehen, wo man ist. Auch wenn Joe Biden die Pandemie für beendet erklärt hat, wird es noch dauern, bis wir wieder zu einem neuen Normal gefunden haben. So lange die Krise dauerte, so lange werden wir mindestens wieder heraus schlittern.

Es gibt sehr unterschiedliche Wasserstandsmeldungen aus den Theatern. Die einen berichten, dass der Laden wieder ganz ordentlich läuft, andere stellen fest, dass ihr Publikum nicht zurückgekommen ist. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Wir eröffnen gerade erst. Aber im letzten Jahr stellten wir fest, dass neue und unbekanntere Stoffe weniger gut funktionierten als die Klassiker. Es ist ein bisschen, wie wenn ich in die Pizzeria gehe: Ich nehme mir jedes Mal vor, etwas anderes zu essen, bestelle aber immer die Siciliana mit Kapern, Oliven und Sardellen. Wenn ich etwas anderes esse, ist es nicht mehr meine Pizza. So hat man auch das Gefühl, dass die Menschen nach der Zeit des langen Wegbleibens wieder mit Stoffen anfangen, bei denen sie glauben, sich wiederfinden zu können. Es gibt aber Ausnahmen wie "Das Vermächtnis", das trotzdem bestürmt wurde. Die Spielzeit geht ohnehin erst richtig los, wenn die Wiesn und auch die Wiesn-Grippe vorbei sind.

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"In den letzten Jahrzehnten hat das Theater aber eine Festivalisierung erlebt"

Zur Zeit geistert das Stichwort "Publikumsschwund" durchs Land. Als einer der Gründe wird häufig genannt, es gebe eine Theaterblase, die sich in ihren Produktionen vor allem mit sich selbst beschäftige.
Dem kann ich durchaus zustimmen. Die Frage ist natürlich: Was sind die Aufgaben eines Theaters? In den letzten Jahrzehnten hat das Theater aber eine Festivalisierung erlebt. Es mussten immer mehr spezielle und hippe Produktionen sein, die dem Spielplan einen bestimmten Glanz verleihen sollten, als wollte man mit Galerien der Gegenwart konkurrieren. Man ist im Theater aber auch eine Pinakothek, die bestimmte Meisterwerke der früheren Jahrhunderte bereit halten muss und ihre Präsentation ermöglichen soll. Wenn ich höre, dass der Kanon nicht mehr geht, muss ich ganz banal fragen: Wer kennt denn noch den Kanon? Natürlich heißt das, wenn man Texte von Goethe oder Schiller in die Hand nimmt, sie mit aufgeklärten und geschulten Menschen zu untersuchen. Diese treibt eine andere Identitätspolitik um als noch vor 20 Jahren und man wird diese Texte anders lesen und spielen müssen.

Die nächsten Monate werden als Winter der unbeheizten Räume angekündigt. Könnte das Auswirkungen auf den Spielbetrieb haben?
Was ich aus dem Ministerium höre, wird es keinen Energie-Lockdown geben.

Müssen wir, wie es meine Großeltern noch erzählten, Briketts mitbringen?
Das wäre bei uns völlig sinnlos, weil wir Fernwärme haben.


Premiere "Engel in Amerika" im Residenztheater, Freitag, 17 Uhr, Uraufführung "Die Spiele müssen weiter gehen", Samstag, 20 Uhr, Telefon 089/21851940

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  • Rosinerl am 23.09.2022 13:16 Uhr / Bewertung:

    "Was ich aus dem Ministerium höre, wird es keinen Energie-Lockdown geben."

    Keine Sorge: der kommt von ganz alleine.

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