Die Synapsen auf der Bühne: Maximiliane Haß über "Die Nashörner"
Die Klassiker des Absurden Theaters, entstanden in den 1950ern, sind offenbar wieder in Mode: Letzten Freitag hatte Claudia Bauers Inszenierung von Samuel Becketts "Warten auf Godot" im Residenztheater Premiere. Jetzt bringt Anna Marboe "Die Nashörner" von Eugène Ionesco auf die Bühne des Volkstheaters. Im Stück verwandeln sich die Bürger einer französischen Provinzstadt nach und nach in Nashörner. Nur einer nicht: der Büroangestellte Behringer, im Volkstheater verkörpert von Ensemble-Neuzugang Maximiliane Haß. Premiere ist Donnerstag (3. April) um 19.30 Uhr auf der Bühne 1.
AZ: Frau Haß, wann hatten Sie zum letzten Mal einen Kater?
MAXIMILIANE HASS: Oh, das ist tatsächlich schon richtig lange her. Ich trinke ganz, ganz wenig Alkohol, eine Weißweinschorle reicht für mich an einem Abend aus. Ich tanze sehr gerne, auch auf Premierenfeiern – man findet mich oft sehr früh auf der Tanzfläche. Da brauche ich aber eher ein Glas Mineralwasser. Mineralwasser mit einer Zitronenscheibe – dann bin ich schon glücklich.
Zu Beginn von "Die Nashörner" hat Behringer sich mit seinem Freund Hans verabredet, kommt aber zum Treffen zu spät und ist dabei völlig verkatert. Torkeln Sie auf die Bühne?
Nein. Dem Stück ist zu entnehmen, dass Behringer stark dem Alkohol zugeneigt ist und dass er eigentlich ständig einen Kater hat. Bei uns ist es so, dass sein Gemüt ein bisschen verkatert ist, im Sinne von, dass er davon überzeugt ist, dass es ihm von allen am schlechtesten geht. Jeden Tag acht Stunden arbeiten, nur drei Wochen Ferien im Sommer, das ist schon echt hart… Er sieht sich selbst als Mittelpunkt der Welt und hält sich für ein Opfer der Umstände.

Er ist also ein Narzisst?
Er ist ein Narzisst, aber auch nicht wirklich, weil er es nicht ganz schafft, ein Narzisst zu sein. Dazu ist er einfach zu träge. Für ihn fühlt es sich so an, als ob alles auf ihn einprasselt, ohne dass er sich wehren kann. Er macht aber auch keine Anstalten, sich zu bewegen und etwas zu verändern.
Ausgerechnet dieser Typ ist die Hauptfigur von Ionescos Stück.
Klar, er ist ein Anti-Held. Er tut nicht viel, er positioniert sich nicht, sondern lebt einfach in den Tag hinein und leidet ein bisschen. Dadurch wird er zum Gegenstück zu den Nashörnern, die ja sehr aktiv sind und auch mal eine Katze platt walzen. Zur Rebellion hat Behringer dann auch keine Kraft: Er spürt, dass etwas nicht stimmt, kann es aber nicht genau benennen und bleibt lieber für sich.
Vielleicht hat er eine Depression?
Ich würde ihm diese klinische Diagnose nicht zuordnen. Er ist eher ständig auf Stand-by. Weil er denkt: Wenn ich auf "Play" drücke, dann geschieht eh nur das Schlimmste, also halte ich lieber still, weil das am unanstrengendsten ist. Er hat keine Krankheit, die ihn belastet, sondern lebt eher in diesem Zustand von: "Ach, ja mein Gott, was soll man auch tun? Wofür?"

Ionesco hat mit seinem Stück vermutlich das Verhalten der Franzosen zu Beginn der deutschen Okkupation kritisiert. Heute könnte man sagen, die Epidemie der Nashörner steht für ein Erstarken der Rechten, während andere ähnlich wie Behringer nur zuschauen und nichts dagegen tun. Denken Sie und das Team solche Lesarten während der Proben mit?
Solche Assoziationen entstehen auf jeden Fall, aber man merkt schon schnell, dass man mit konkreten Deutungsversuchen an die Grenzen dieses absurden Theaterstücks stößt. Man kann das, was passiert, nicht auf eine einzelne Gruppe übertragen, sondern es geht Ionesco wohl darum, verschiedene Facetten von Menschlichkeit zu zeigen. Insbesondere Gruppendynamiken. Es geht um Zugehörigkeit und Abgrenzung, um die Anziehungskraft von Gruppen, um die Frage, ob man dazugehören will oder nicht. Wenn ich in eine Gruppe eintrete, verliere ich ja ein Stück weit meine Individualität. Wenn ich mich gegen sie stelle, bleibe ich allein. Oder ich finde andere Leute, die sich auch dagegen entscheiden, wodurch wiederum eine andere Gruppe entsteht.
Behringer und sein Freund Hans zerstreiten sich über die Frage, ob das indische oder das afrikanische Nashorn zwei Hörner hat. Welches hat denn jetzt zwei?
Das indische. Aber ich muss zugeben, dass ich das selbst manchmal noch verwechsle, weil das so oft im Stück vorkommt. Wir waren während der Probenzeit im Tierpark Hellabrunn und haben das indische Nashorn dort besucht. Das sind schon sehr ruhige und beeindruckende Tiere.

So groß sie sind, so kleinkrämerisch verzetteln sich Ionescos Figuren in Detailfragen. Wieso eigentlich?
Ich denke, es geht in solchen Streitereien um ganz grundsätzliche Dinge: Was habe ich gesehen, woran glaube ich, was ist richtig? Und man kennt das ja auch von sich selbst: Dass man manchmal in Details abschweift und dabei das große Ganze aus den Augen verliert. Die Leute im Stück diskutieren über Einzelheiten, während sie eigentlich sagen müssten: Moment mal, wir müssten uns eigentlich darum kümmern, dass da ein Nashorn frei in unserer Stadt herumläuft.
Das klingt eigentlich alles ganz logisch und gar nicht so absurd.
Ja, es gibt auch viel absurdere Stücke von Ionesco, zum Beispiel "Die kahle Sängerin". Zu Beginn der Proben hat unsere Dramaturgin Hannah Mey viel Material mitgebracht, wir haben da einen Crashkurs in Absurdem Theater bekommen. Für mich funktioniert absurdes Theater wie die Gedanken im Kopf: dass man von einem Punkt zum nächsten springt. Dass man sich über etwas unterhält, dann kommt jemand vorbei und man wird plötzlich abgelenkt. Oder ich sehe jetzt während unseres Gesprächs da drüben die Lampe und denke mir, ach, die sieht aber schön aus. Im Stück antworte ich oft zwei Repliken später – zwischendurch wird zum Beispiel über eine Katze geredet. Ich habe das Gefühl, man sieht die Synapsen auf der Bühne.

Insofern sollte nichts eindeutig interpretiert werden, sondern alles offen und disparat sein.
Genau. Wir wollen was finden, was größer als eine Interpretation ist. Etwas, was das Denken noch mehr anregt. Wir arbeiten viel mit Musik, die ist stark mit den Nashörnern verbunden. Sie sollte verführerisch sein, aber man soll sie auch nicht so einfach in Kategorien packen können. Wir haben auch KI-generierte Musik, die etwas universal Anziehendes hat, bei der das menschliche Element ein wenig raus genommen ist, weshalb sie nicht so leicht eingeordnet werden kann.
Sie sind seit diesem Jahr im Volkstheater-Ensemble, haben Caesonia in Camus' "Caligula" gespielt, wobei der Existentialist Camus ebenfalls von der Absurdität des Lebens ausgeht.
Ich dachte auch zuerst, dass die Handlung von "Caligula" ziemlich absurd ist. Aber während der Probenzeit fand die Amtseinführung von Donald Trump als Präsident der USA statt. Insofern muss man leider sagen, dass das, was in "Caligula" passiert, mittlerweile gar nicht mehr so absurd ist.
Und wie empfinden Sie die Gruppendynamik im Ensemble?
In diesem Fall wollte ich selbst neu in die Gruppe und habe deswegen hier vorgesprochen. Ich habe das Ensemble dann als sehr offen erlebt und wurde liebevoll aufgenommen. Insofern muss ich mir zum Glück gerade keine weiteren Gedanken machen, ob ich dazugehören will oder nicht.
Die Premiere ist ausverkauft. Für die zweite Vorstellung am Freitag gibt es Restkarten. Weitere Informationen finden Sie hier.
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