"Die Politiker" in den Münchner Kammerspielen: Zur Lage der Nation
Die ersten Vorstellungen waren Anfang November 2020 geplant, aber auch hier machte die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Aufzeichnungen oder Streamings kamen für die Regisseurin Felicitas Brucker gerade bei dieser Arbeit nicht in Frage, weshalb "Die Politiker" von Wolfram Lotz erst jetzt, am Sonntag, in den Münchner Kammerspielen Premiere haben wird. Den vor zwei Jahren in Berlin uraufgeführten Assoziationsreigen zur Lage der Nation spielen an den Kammerspielen Katharina Bach, Svetlana Belesova und Thomas Schmauser.
AZ: Frau Brucker, Sie waren bis kurz vor der Premiere in München noch in Frankfurt. Was haben Sie da gemacht?
Felicitas Brucker: Wir proben gerade "Michael Kohlhaas", ein Text, den ich mir sehr gewünscht habe. In zwei Wochen ist die Generalprobe und im September Premiere.
Von Heinrich von Kleist zu Wolfram Lotz ist ein erheblicher Sprung.
Wobei es tatsächlich eine Schnittmenge gibt. Was beide verbindet, ist die extreme Form der Sprache. Beide haben einen starken Rhythmus und eine enorme Wucht. Bei Kleist sind die brüchige Welt und die Abgründe, die sich auftun, großartig, was bei Lotz auf eine ganz andere Weise auch der Fall ist. Bei Lotz ist es ein "Sprechtext", ein langes Gedicht. Es entwickelt sich wie ein Gedankenstrom, der auch eine gewisse Unentrinnbarkeit entwickelt und sich zunehmend radikalisiert.
"Die Politiker" in den Kammerspielen: Drei Handlungen simultan
Wie löst sich das bühnentauglich auf?
Wir haben den Text nicht in Dialoge oder Spielszenen verwandelt, sondern ihn in seiner soghaften Form belassen. Die großartigen Spielerinnen und Spieler performen alle den ganzen Text. Man erlebt also drei Menschen simultan bei einem Trip durch die Nacht, als würde man in die privaten Räume dieser Personen schauen, um die humorvollen Momente und auch die Verluste, vor allem den Umgang der Einzelnen mit der Einsamkeit mitzuerleben. Wir haben drei Figuren erfunden, wenn auch nicht im klassischen psychologischen Sinne, und damit drei sehr unterschiedliche Perspektiven auf den Text. Dabei kommen aus tieferen Bewusstseinsschichten Erinnerungsfetzen und Erinnerungsblöcke hoch. Der Text spielt mit der Masse an Informationen, die uns täglich durchzieht und in uns vibriert, so dass immer klarer wird: Wir als menschliche, zivilisatorische Gemeinschaft sitzen auf einem Pulverfass.
Wie geht man mit Reimen um wie "Die Politiker sind Rauch / Und wir, wir - / Gartenschlauch!"?
Es geht um eine extreme Ernsthaftigkeit und gleichzeitig eine Brechung durch Humor und Banalität. Da sind die großen Fragen der Geschichte, die Gefühle, die tote Mutter, Adolf Hitler, und daneben Gartenschlauch. Interessant daran ist, wie sich unsere Identität konstituiert, wie wir als Einzelne alles verarbeiten, was an Dingen passiert, die Überforderung - und damit meine ich nicht nur Corona - die Flut der Fragen, die man sich stellt und die durch einen hindurch gehen, die Sorgen, Gedanken, Hoffnungen und auch Aggressionen. Auch, wenn das Stück "Die Politiker" heißt, wirft es uns auf uns zurück mit der Frage, was die Gesellschaft mit mir tut und was ich selbst aktiv tun kann.
Brucker: "Es braucht mehr als die Politiker"
Heißt das, dass die Politiker nicht an allem schuld sind?
Zweifelsfrei sind die Politiker eine Elite, die aufgrund ihrer Machtposition Entscheidungen trifft, die sich auf einen Großteil der Menschen positiv oder negativ auswirken. Aber in einem größeren Sinne geht es darum, was wir als Gemeinschaft tun jenseits davon zu sagen: Die sind schuld. Es braucht mehr als die Politiker. Jedes Handeln oder Nichthandeln ist demokratisch gesehen politisch. So gesehen sind wir alle Politiker. Bei unseren Proben dieser Versuchsanordnung und mit der Isolation durch Corona haben wir deutlich gespürt, wie sehr wir Menschen uns als Gemeinschaft und den Zusammenhalt brauchen. Alles andere wird destruktiv.
Mit Angela Merkel wird im kommenden Herbst eine der prominentesten Politikerinnen von Bord gehen. Werden Sie sie als Bundeskanzlerin vermissen?
Ich vertrete nicht die Haltung ihrer Partei, aber ich hoffe, dass nach ihr wieder eine kluge Frau in die Regierung kommt. In Paris, wo ich seit einigen Jahren wohne, habe ich erlebt, dass People of colour aus anderen Ländern, als sie hörten, ich komme aus Deutschland, jubelten "We love Angela Merkel". Es war toll zu sehen, dass sie im Ausland auch für das Image der Deutschen im besten Sinne etwas getan hat. Insofern hoffe ich auf eine Fortsetzung.
Kammerspiele, Premiere am 4. Juli im Schauspielhaus, nächste Vorstellungen 9. und 25. Juli, 20 Uhr, Telefon 089/23396600
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