Interview

Tanja Graf über 25 Jahre Literaturhaus: "Dieses Haus ist kein Elfenbeinturm"

Tanja Graf leitet seit sechs Jahren das Literaturhaus München, das nun 25 Jahre alt ist.
Volker Isfort
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Literaturhaus-Leiterin Tanja Graf (rechts) mit der polnischen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Die Autorin wird im Herbst erneut im Literaturhaus auftreten.
Literaturhaus-Leiterin Tanja Graf (rechts) mit der polnischen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Die Autorin wird im Herbst erneut im Literaturhaus auftreten. © Foto: Catherina Hess

München - Vor einem Vierteljahrhundert öffnete das Literaturhaus auch mit der finanziellen Unterstützung der Münchner Verlagswelt. Seitdem ist das Haus weit mehr als nur ein Ort für Lesungen.

Es gab erfolgreiche Ausstellungen, die - wie beim Thema Loriot - von 30.000 Interessenten besucht wurden, außerdem bietet das Literaturhaus ebenso Raum für politische Diskussionen wie für literarische Kurse.

Und von hier aus wird auch das Literaturfest organisiert, zu dem in diesem Herbst auch die Literatur-Nobelpreisträgerinnen Herta Müller und Olga Tokarczuk kommen werden.

Tanja Graf: "Wir möchten nah an den Themen sein, die die Menschen beschäftigen" 

AZ: Frau Graf, Sie leiten das Literaturhaus nun seit sechs Jahren. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
TANJA GRAF: Die schönste Bestätigung ist immer das positive Feedback unseres Publikums. Es war für mich natürlich toll, 2016 ein gut funktionierendes Haus zu übernehmen und gleich einsteigen zu können. Das ist auch dem Team zu verdanken. Aber ich hatte auch den Anspruch, dass wir eine größere Bandbreite an Veranstaltungen präsentieren, das Publikum mehr einbeziehen, öfter mal die weibliche Perspektive einnehmen. Und das ist uns gelungen.

Sehr erfolgreich sind auch die Ausstellungen mit oft intensivem Begleitprogramm im Literaturhaus. Was planen Sie im Herbst?
Im Herbst planen wir die Ausstellung "Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht" mit Begleitprogramm zum heutigen Feminismus und im kommenden Jahr gibt es eine Ausstellung über Ingeborg Bachmann. Wir alle merken, dass die Zeiten viel politischer geworden sind. Das hat sich auf die Auswahl unserer Themen ausgewirkt. So war auch die letzte Thomas-Mann-Ausstellung "Democracy will win!" sehr auf die gegenwärtige Demokratiedebatte bezogen, die Hannah Arendt-Schau ebenso. Dieses Haus ist kein Elfenbeinturm, wir möchten nah an den Themen sein, die die Menschen beschäftigen. Auch das Schreibakademie-Angebot haben wir erweitert: Mit Offenen Werkstätten, wo man sich selbst literarisch ausprobieren kann - unter Anleitung prominenter Autorinnen wie Amelie Fried oder Doris Dörrie. Eine weitere Neuerung war die Auffrischung der Corporate Identity mit einer eleganten neuen Typographie und einem Relaunch der Webseite.

"Mischung aus großen Namen, Entdeckungen und Büchern, die gerade im Gespräch sind"

Nach welchen Kriterien erstellen Sie Ihr Programm?
Im Grunde ist es wie eine Fortsetzung meiner früheren Arbeit als Lektorin und Verlegerin. Wie begeistert man Leserinnen und Leser für Bücher, die man selbst interessant findet? Es geht darum, eine Auswahl zu treffen, Anregung zu bieten für Literaturbegeisterte, aber auch für alle, die sich in der Flut von Neuerscheinungen Orientierung wünschen. Wir sind im ständigen Austausch mit den Verlagen, aber interessieren uns nicht nur für deren Spitzentitel. Bei über 200 Veranstaltungen pro Jahr geht es uns darum, eine gute Mischung zu haben aus großen Namen, Entdeckungen und Büchern, die gerade im Gespräch sind. Wir achten darauf, dass die Abende innerhalb einer Woche jeweils ein unterschiedliches Publikum ansprechen. Unser Stammpublikum vertraut uns so, dass es sich auch mal auf Neues einlässt, etwa auf eine Graphic Novel oder ein literarisches Debüt.

Gibt es denn ein typisches Literaturhauspublikum?
Ja, doch. Typisch ist ein gebildetes, aufgeschlossenes Publikum, das nicht mehr ganz jung ist. Aber alles hängt von den Gästen auf der Bühne ab. Wenn wir Autorinnen wie Laurie Penny oder Luisa Neubauer zu Gast haben, dann kommen auch viele junge Leute.

Tanja Graf: "Die beruhigende Erkenntnis ist, dass unser Publikum nachwächst"

Mit Literatur ist das jüngere Publikum schwer ins Haus zu holen?
Wie gesagt: Es kommt darauf an, wer auf der Bühne ist. Aber es ist schon so: Wenn man mitten im Berufsleben steht und kleine Kinder hat, setzt man sich nicht an einem Mittwochabend in eine Dichterlesung. Aber Kinder sind irgendwann aus dem Haus, und dann freuen sich die Eltern über die neue Freiheit, abends Kultur zu genießen. Die beruhigende Erkenntnis ist also, dass unser Publikum eben nachwächst.

Es gibt immer mehr Literaturfestivals. Bekommen Sie jeden Autor, den Sie haben wollen, ins Literaturhaus?
Eigentlich ja. Häufig sind die Festivals Anlass für eine Lesereise, vor allem ausländischer Autoren, und davon profitieren wir. Viele wichtige Verlage sind in München, sie unterstützen unsere Einladungswünsche. Und die meisten Autorinnen und Autoren treten einfach gerne bei uns auf. Unser Verteiler erreicht mindestens so viele Literaturinteressierte wie die Theater. Nur für einige große Stars ist der Saal mit über 300 Plätzen im Literaturhaus zu klein, wie Salman Rushdie oder Karl Ove Knausgaard. Dann kooperieren wir mit der LMU und ziehen in die Große Aula. Es gibt aber auch Autoren, die ganz bewusst ins Literaturhaus kommen wollen, obwohl sie größere Säle füllen könnten. Zuletzt zum Beispiel Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah.

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Gibt es auch Autoren, die für das Literaturhaus zu teuer sind?
Ja, aber das hängt viel mehr mit den Reisekosten zusammen. Um einen Autor wie Dave Eggers aus Los Angeles nach München zu bewegen, müssten wir ihm ein Business-Ticket erstatten, das geht leider nicht.

"Für uns ging mit der Pandemie eine technische Professionalisierung einher" 

Das jüngere Publikum ist nach Corona schnell wieder in den Kulturbetrieb zurückgekehrt, das ältere übt noch Zurückhaltung.
Das merken wir natürlich auch. Es kann mit einem Über-Angebot zusammenhängen, viele verschobene Kulturveranstaltungen werden nachgeholt. Andrerseits freuen wir uns, dass unser Live-Stream-Angebot weiterhin von vielen regelmäßig genutzt wird. Vielleicht ist auch das ein Grund. Für uns ging mit der Pandemie eine technische Professionalisierung einher - die optischen Gestaltungsmöglichkeiten für Lesungen sind inzwischen toll, dahinter möchten wir nicht mehr zurück.

Wessen Lesung stieß im Stream auf das größte Interesse?
Das war Robert Habeck, der Anfang 2021 bei uns sein Buch "Von hier an anders" vorgestellt hat. Im Corona-Lockdown war überhaupt kein Publikum zugelassen. Wir hatten im Stream über 1.000 Zuschaltungen.

Literaturhaus feiert auf Open-Air-Sommerfest seinen 25. Geburtstag 

Ihr Vorgänger Reinhard Wittmann hat sein Foto mit Pep Guardiola, den er überraschend als Gast im Literaturhaus hatte, zum Jubiläum gepostet - sein ganz besonderer Abend in seiner 19-jährigen Amtszeit. Welches Bild würden Sie wählen?
Da gibt es einige, aber mein Highlight wäre der Illustrator Christoph Niemann. Seine "Sunday Sketches" sind einfach genial, ebenso wie seine Cover für den "New Yorker". Als ich vorschlug, eine Ausstellung mit ihm zu machen, stieß ich zunächst auf Skepsis, viele kannten ihn gar nicht. Aber es wurde eine unglaublich erfolgreiche Ausstellung auf dem Niveau von den Ausstellungen über Polt und Loriot. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und ich würde natürlich ein Bild mit Olga Tokarczuk nehmen, eine tolle Autorin und eine ganz besonders nahbare Nobelpreisträgerin.

Wie feiern Sie jetzt das Vierteljahrhundert Literaturhaus?
Indem wir unser Publikum einladen auf ein Open-Air-Sommerfest am 8. Juli, aber auch zu besonderen und kostenlosen Lesungen mit großen Schauspielern. Thomas Loibl zum Beispiel liest am 4. Juli aus "Die Glut" von Sándor Márai...

… den Sie damals noch als Piper-Lektorin wiederentdeckt hatten.
Ja, aber das ist nicht der Grund. Es ist einfach ein wunderbares Buch, ein "Dauerbrenner", so heißt unsere Sommer-Reihe. Wir schauen aber auch in die Zukunft: Einige Verlage stellen uns exklusiv Leseexemplare ihrer wichtigen Herbst-Neuerscheinungen zur Verfügung - für unser Publikum. So können wir schon jetzt über Bücher diskutieren, die im Herbst erscheinen. Zum Beispiel von Édouard Louis und von Dörte Hansen.

Tanja Graf: "Der größte Traum ist natürlich die Dachterrasse"

Zu Ihrem Antritt vor sechs Jahren haben Sie als großen Wunsch die Reparatur des Aufzugs genannt.
Das ist auch gelungen, mit Hilfe des Kulturreferats.

Gibt es noch einen anderen baulichen Wunsch, der Ihnen am Herzen liegt?
Ich bin nach wie vor nicht glücklich über den Eingangsbereich. So schön die Architektur des Hauses ist, aber man betritt das Literaturhaus zu Lesungen durch den Seiteneingang und steht ein bisschen verloren herum. Das könnte einladender sein. Wir sind aber dran, den Eingangsbereich zu überarbeiten. Der größte Traum ist natürlich die Dachterrasse. Das wäre ein kostspieliger Umbau, der unser Budget sprengt. Aber ich führe jeden potenziellen Sponsor aufs Dach, und alle sind hingerissen und sagen, das sei der schönste Blick, den man in der Innenstadt von München haben kann. Man braucht ja auch noch Ziele für die kommenden 25 Jahre.

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  • Newi83 am 30.06.2022 12:18 Uhr / Bewertung:

    Literaturhaus? Unbedingt empfehlenswert! Sehenswerte Ausstellungen, tolle Konzerte, Filme, Lesungen. Well, Pichler, Fleischhauer, Polt. Mehr davon. Eine Dachterrasse wäre natürlich ein Traum.

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