Interview

"Starman" als Comic: Aufstieg und Fall des Rockmessias

Reinhard Kleist hat mit "Starman" einen fulminanten Comic über die Anfangsjahre von David Bowies Karriere geschaffen.
Volker Isfort
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Reinhard Kleist.
Reinhard Kleist. © Foto: Wolf-Dieter Tabbert/Carlsen

Am 8. Januar 2022 wäre der 2016 gestorbene David Bowie 75 Jahre alt geworden. Anlass genug, für den Comiczeichner Reinhard Kleist auf einen der schillerndsten Künstler der Rockgeschichte zu blicken. Kleist, der schon international erfolgreiche Comics über Johnny Cash und Nick Cave geschaffen hat, konzentriert sich in "Starman" auf die Anfangsjahre des britischen Musikers, der sich 1972 zur Kunstfigur Ziggy Stardust stilisierte.

AZ: Herr Kleist, bei Nick Cave und Johnny Cash fällt einem die Farbe schwarz ein, bei David Bowie eher eine Farbexplosion.
REINHARD KLEIST: Ich habe sofort gewusst, dass es bei David Bowie richtig knallen muss, bin aber eher bekannt für eine begrenzte Farbpalette. Deshalb dachte ich, dass Thomas Gilke der richtige Mann für die Kolorierung sein würde. Wir haben uns die Arbeit geteilt. Ich habe die Rückblenden gemacht, die eher in Sepiatönen gehalten sind, er hat die Farbgebung für Ziggy Stardust übernommen. Wir haben uns dabei auch an die Comic-Ästhetik der 70er- Jahre-Superhelden angelehnt.

"Ich war völlig gefesselt von ihm"

Sie selbst sind Jahrgang 1970, haben also Bowies Ziggy-Stardust-Phase nicht als Fan miterlebt. Wann begann Ihre Zeit mit Bowie?
"Ashes to Ashes" ist das erste Lied, das ich damals als Zehnjähriger bewusst wahrgenommen habe, selbstverständlich ohne die Bedeutung zu erfassen. Dann tauchte Bowie in den Videosendungen Mitte der 80er Jahre auf mit "Let's Dance", "Modern Love", "China Girl". Da war ich völlig gefesselt von ihm, weil er unheimlich attraktiv war, und es machte auf dem Schulhof die Runde, dass Bowie auch was mit Männern hatte. Er hatte etwas entrückt Gentlemanmäßiges, aber gleichermaßen etwas total Verruchtes. Diese Faszination nicht nur für die Musik, sondern auch für die Person David Bowie hat sich durchgezogen durch alle seine Stilwechsel, mit denen ich mal mehr mal weniger anfangen konnte. Es war aber immer spannend, was er machte.

Was macht Bowie für Sie denn zur Identifikationsfigur?
Es ist das, was auch in meinem Comic thematisiert wird: das Versprechen einer anderen Welt, etwas anderes ist möglich. Da ist jemand, der zeigt euch, wo es noch hingehen kann. Und dass man diese kleine, enge Welt, in der man lebt oder auch gefangen ist, aufbrechen kann. Dieses Heilsversprechen, was er als Ziggy Stardust gegeben hat, als dieser Rockmessias, der von der Rettung der Welt berichtet, bezieht sich nicht nur auf die äußere Welt, sondern auch auf die innere: So hat er auch dem kleinen Reinhard in seinem Dorf im Rheinland gesagt: "Das ist nicht deine Welt, da gibt es noch etwas anderes."

Sex, Drugs & Rock 'n' Roll: Mit seinem Aufstieg als Ziggy Stardust entgleitet David Bowie das Leben ein bisschen.
Sex, Drugs & Rock 'n' Roll: Mit seinem Aufstieg als Ziggy Stardust entgleitet David Bowie das Leben ein bisschen. © Foto: Reinhard Kleist/Carlsen

Sind die Lebensträume in der Provinz größer, weil sie unerfüllter sind?
Ich denke schon, dass das viel ausgemacht hat für mich, aber auch für Bowie. Er hat jahrelang unter dieser Vorstadtenge in Bromley gelitten, natürlich auch unter den gefühlskalten Verhältnissen in seinem Elternhaus. Damit hat er gehadert, und das hat ihn angetrieben, so massiv daran zu arbeiten, eine Karriere als Musiker zu machen.

Sie haben teilweise die Rechte zur Verwendung der Songtexte nicht bekommen. Warum ist das Management so strikt? Sie haben sich mit Ihren Comics über Johnny Cash und Nick Cave längst international einen Namen gemacht.
Wahrscheinlich bekommen die alle fünf Minuten Anfragen aus aller Welt. Das hat mich zwar erst einmal in die Bredouille gebracht, weil ein Teil schon fertig war, anderseits war ich so gezwungen, etwas anderes auszuprobieren. Ich habe den Text umgewandelt in eine Art Erzählerstimme und das in meine Geschichte eingebaut, so öffnen sich dann noch mehr Dimensionen, als wenn ich den Text abgetippt hätte. Im Endeffekt war es besser, dass es so passiert ist.

"Wenn man die Wahl hat zwischen Wahrheit und  Legende, dann wähle die Legende"

Wie historisch genau muss Ihr Comic denn stimmen?
Grobe Fehler darf ich mir natürlich nicht erlauben. Aber wie das bei allen Legenden so ist: Wenn man die Wahl hat zwischen der Wahrheit und einer Legende, dann wähle die Legende. Ich wollte grundsätzlich erzählen, wie Bowies Karriere begann, welche Menschen dabei waren, Input gegeben haben. Die Rolle des Managers Tony Defries war mir wichtig, weil ich faszinierend fand, welchen Tanz auf dem Vulkan er inszeniert hat. Andererseits will ich mir nicht die Freiheit nehmen lassen, meine eigene Vision der Geschichte da reinzubringen, das Thema der zwei Identitäten: Die Bühnen-Identität des Ziggy Stardust, die immer mächtiger wird und den jungen David Bowie, der berühmt werden will.

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Das ist hinreichend so belegt, wie Sie es beschreiben?
Ja, das habe ich aus Interviews mit ihm herauskristallisiert, wo er rückblickend über Ziggy Stardust spricht wie über einen anderen Menschen, der ihm gefährlich wurde. Er hat wirklich gesagt, dass er Ziggy Stardust loswerden musste. Auch das Zitat, dass Ziggy ein großartiger Hitler gewesen wäre, ist echt, Bowie hat es nur später gesagt, als ich es im Comic darstelle. Ziggy war nicht nur der Freund, der ihn nach oben brachte, sondern auch eine Gefährdung für sein Ego.

Wie viele Biografien über David Bowie haben Sie gelesen?
Gar nicht so viele. Ich habe mich hauptsächlich auf die sehr gute von Marc Spitz konzentriert und habe auch einige Nebenbiografien gelesen wie das grauenhafte Buch von seiner ersten Frau Angela, um andere Sichtweisen zu bekommen. Aber ich habe vor allem Interviews mit Bowie gelesen, Dokus über ihn geschaut und natürlich den Konzertfilm über den letzten Auftritt von Bowie mit den Spiders als Ziggy Stardust. Das war eine große Inspiration für die letzten Seiten meines Buches.

Wie lange dauert es denn von der Konzeption bis zur Fertigstellung?
Das Konzept habe ich immer wieder umgeworfen, an den Dialogen habe ich bis zum Schluss gefeilt. Aber es waren rund zwei Jahre, die ich an "Starman" rumgefeilt habe.

Das Cover von "Starman".
Das Cover von "Starman". © Foto: Reinhard Kleist/Carlsen

Bowie hat Sie so gepackt, dass Sie nun auch noch die Berliner Jahre erzählen wollen.
Das wollte ich von Anfang an, eigentlich in einem Buch. Ich habe nur schnell festgestellt, dass ich so ein Projekt bis zu Bowies 75. Geburtstag im kommenden Januar nicht geschafft hätte. Andererseits macht es auch Sinn, den ersten Teil mit Ziggys Bühnenabschied zu beenden. Dann ging er nach Amerika und hatte eine schwere Zeit, bevor er 1976 für zwei Jahre nach Berlin zog. Diese Phasen nannte er später immer wieder die glücklichste Zeit seines Lebens.

 

Der zwischenzeitliche Superstar Bowie ist in Ihrem Comic noch lange nicht der erfolgreiche Geschäftsmann, der er später wurde.
Es ist total irre und ich musste auch ein paar Mal schlucken, als ich das in verschiedenen Biografien gelesen habe. Zum Teil kam überhaupt kein Geld bei ihm und der Band an, weil Tony Defries die Einnahmen sofort mit vollen Händen zum Fenster rausgeschmissen hat, um komplett irrsinnige Promotion-Acts durchzuführen. Gleichzeitig wollte er Main Man, seine Managementagentur, groß aufziehen und investierte mächtig in Künstler, die nichts einspielten. Bowie war die einzige Cashcow und hat sich beschwert, dass er fast nicht von seinem Erfolg profitiert.


Reinhard Kleist stellt "Starman" (Carlsen, 170 Seiten, 25 Euro) am 19. Januar 2022 im Literaturhaus vor.

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