Raus aus der Klimakrise: "Energierevolution jetzt"
München - AZ-Interview mit dem Autor Volker Quaschning. Zusammen mit seiner Frau Cornelia beantwortet der Professor für Regenerative Energiesysteme alle Fragen zum drängendsten Thema der Zeit im Podcast "Das ist eine gute Frage" und nun auch im neuen Sachbuch "Energierevolution jetzt!", das allgemeinverständlich die wichtigsten Aspekte zum Klimawandel und den Konsequenzen aufgreift.

AZ: Herr Quaschning, die CSU hat hier in Bayern nur mäßiges Interesse daran, die Windkraft weiter auszubauen. Was sagen Sie dazu?
VOLKER QUASCHNING: Damit man nicht noch mehr Wählerinnen und Wähler an die AfD verliert, besetzt man in der CSU halt eine Anti-Windkraft-Position. Ohne Windenergie wird Deutschland aber keine Klimaschutzziele einhalten können. Insofern muss sich die CSU überlegen, ob sie weiterhin populistischen Positionen nachjagt, oder ob sie auf den verfassungsgemäßen Weg des Klimaschutzes einschwenkt. Das Verfassungsgericht hat uns vorgegeben, dass wir Klimaziele einzuhalten haben. Die Länder in Nord- oder Mitteldeutschland können nicht auffangen, was in Bayern nicht passiert. Wir brauchen zwei Prozent der Bundesfläche, das ist Gegenstand der Wissenschaft und Ziel der Bundesregierung. Wenn ein Flächenland wie Bayern weitgehend rausfällt, wird man die zwei Prozent nicht erreichen können. Dann wird in ein paar Jahren das Verfassungsgericht einschreiten müssen.
Klimaschutz muss höchste Priorität haben
Beim Thema Corona hat sich in großen Teilen der Bevölkerung durchgesetzt, auf die Wissenschaft zu hören. Beim Klimaschutz wird immer noch so getan, als sei dies eine Ideologie, die man parteipolitisch gut oder schlecht finden könne.
Wir müssen versuchen, alle Menschen, die sich noch an wissenschaftlichen Fakten orientieren, zu erreichen. Wir wissen, dass beim Klima viele die Dringlichkeit des Themas, die Konsequenzen und die möglichen Lösungen überhaupt noch nicht verstanden haben. Das muss man stärker kommunizieren. Es wird immer Coronaleugner geben und Leugner eines menschengemachten Klimawandels. Das ist aber eine Minderheit.
Momentan kokettieren viele Politiker wieder mit dem angeblich so günstigen und "grünen" Atomstrom.
Diese Diskussion ist ziemlich unsinnig. Wenn man bei RWE nachfragt, wie es mit einer spontanen Laufzeitverlängerung aussehe, dann winken die ab. Das Datum für die Abschaltung steht lange fest, übrigens auch von der Union beschlossen. Darauf haben sich die Energiekonzerne eingerichtet und die Anlagen auf Verschleiß gefahren. Es ist technisch gar nicht möglich, sie ad hoc länger zu nutzen. Die müsste man erst wieder auf Vordermann bringen. Das dauert Jahre und kostet viel Geld. Die Diskussion darüber ist ein reines Ablenkungsmanöver, das suggeriert, dass wir gar nichts zu ändern bräuchten, wenn wir weiter auf Kernenergie setzten.
Atomstrom dreimal teurer als Wind- oder Solarkraft
Sie schreiben, dass erneuerbare Energie viel billiger sei als Atomstrom.
Wir sehen die Zahlen in Europa. Drei Anlagen sind derzeit in Bau, eine in Finnland, eine in Frankreich, eine in Großbritannien. Bei den ersten beiden sind die Zeitpläne dermaßen über den Haufen geworfen, dass der Berliner Flughafen im Vergleich eine Express-Baustelle war. Die Kosten sind natürlich auch aus dem Ruder gelaufen. Atomstrom ist heute etwa um den Faktor drei teurer als Solar- und Windkraftstrom. Warum soll man auf eine teure, riskante Technologie setzen, wenn es schneller mit erneuerbarer Energie geht?
Sie zitieren Frau Merkel, die mal sagte, dass auch in Zukunft maximal vier Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbarer Energie überhaupt möglich wären.
Und wir liegen aktuell schon bei 42 Prozent. Erstaunlicherweise haben sich alle Diskussionen erübrigt, als die Regierung Merkel den Atomausstieg beschloss. Dann hat man plötzlich nicht mehr diskutiert, ob 100 Prozent erneuerbare Energie überhaupt möglich sind, sondern wann sie möglich sind und wie teuer das wird.
Quaschning: Schnellstmöglich klimaneutral werden
Das würde uns auch politisch unabhängiger von Putins Gas machen.
Natürlich. Wir sind momentan extrem von Russland abhängig und wir wissen, dass wir das auch eine Übergangszeit lang bleiben werden - laut Plänen der Bundesregierung bis 2045. Ich würde empfehlen, schon zehn Jahre vorher klimaneutral zu werden. Momentan sehen wir nur einen Machtpoker, aber wenn die Konfrontation zwischen Russland und Europa noch stärker wird, dann ist unsere Abhängigkeit von russischem Gas ein riesiges Problem. Wir sind sehr verwundbar und sollten diesen Zustand besser schnell beenden.
Was passiert, wenn wir nicht konsequent handeln?
Der Worst-Case-Fall des Weltklimarates prognostiziert einen Temperaturanstieg um etwa vier Grad bis Ende dieses Jahrhunderts. Das ist etwa der gleiche Temperaturanstieg wie seit der letzten Eiszeit vor 20 000 Jahren bis heute. Damals war Deutschland weitgehend unbewohnbar und der Ort des heutigen Berlins von einer über einhundert Meter dicken Eisschicht bedeckt. Ein Temperaturhub von vier Grad bewirkt radikale Veränderungen und würde die Heimat von mehreren Milliarden Menschen vernichten. Man möchte sich das nicht ausmalen.
Photovoltaik ist teuer, lohnt sich aber langfristig
Um die Klimaziele zu erreichen, empfehlen Sie Photovoltaik auf jedem Haus. Aber wer soll das bezahlen?
Man muss erst einmal investieren. Aber eine Photovoltaikanlage spart bald wieder Geld ein. Wir haben 2005 für unser Haus die erste Anlage gebaut, die war fünf Mal so teuer pro Kilowatt wie heutige Anlagen. Auf dem Gebiet ist richtig viel passiert. Der eigene Solarstrom kostet heute etwa ein Drittel wie der aus dem Netz. Klar, man muss als Regierung aufpassen, dass man die Menschen nicht überfordert, aber das lässt sich problemlos über günstige Kredite regeln.
Sind Sie zu Hause klimaneutral?
Wir haben eine Photovoltaikanlage, aber auch noch einen Netzanschluss. Es ist wenig sinnvoll, in einem Einfamilienhaus den Solarstrom bis in den Winter zu speichern. Das ist zwar technisch möglich, aber viel zu teuer. Wir haben einen grünen Stromanbieter, der uns im Winter den Rest liefert. Im Sommer erzeugen wir viel zu viel für uns, den Überschuss speisen wir für andere ins Netz ein. Das Haus ist klimaneutral beheizt.
Gas- und Ölheizungen wie Glücksspiel
Ist das nicht sehr teuer?
Die Mehrkosten beim Bau hielten sich im Rahmen. Wenn ich mir eine Gas- oder Ölheizung einbaue, wette ich darauf, dass die Öl- und Gaspreise in den nächsten Jahrzehnten nicht viel teurer werden. Aber diese riskante Wette kann ich auch verlieren. Wir hingegen haben rund 500 Euro Heizkosten pro Jahr und da ändert sich auch nicht viel dran. Ich verstehe die Menschen, die Sorge vor den hohen Öl- und Gaspreisen haben. Aber hätten sie schon vor zehn Jahren gehandelt, gäbe es das Problem für sie nicht.
Die beliebteste Ausrede, nichts verändern zu wollen, geht so: Wir sind nur für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Selbst wenn wir handeln, spielt es global gesehen keine Rolle.
Wenn man den Pro-Kopf-Ausstoß nimmt, dann liegt Deutschland beim doppelten Wert des Weltdurchschnitts. Wir sind auf dem sechsten Platz der Klimasünderländer. Wenn wir nichts tun, haben dann auch die Länder der Plätze sieben bis 195 eine tolle Ausrede. Klimaschutz ist ein globales Problem und funktioniert nur, wenn jeder mitmacht. Deutschland hat keine nennenswerten Rohstoffe, die wir verkaufen können. Wir brauchen also innovative Produkte für den Weltmarkt. Den Braunkohlebagger und den Dieselmotor wird in zehn Jahren niemand mehr kaufen. Wir haben unsere Hausaufgaben in den letzten 16 Jahren sehr schlecht gemacht. 2008 waren wir noch führend bei Solarmodulen. Den Markt haben wir kampflos nach China abgegeben. Ähnliches droht gerade bei der Windkraft. Und bei der Mobilität hat Deutschland zu lange auf den Diesel gesetzt. Zum Glück gab es den Diesel-Skandal bei VW. Vielleicht war das die Rettung der deutschen Automobilwirtschaft, die endlich umgedacht hat.
Quaschning: Solarenergie in Kombination mit Windkraft
Welches Umweltzeugnis stellen Sie der Merkel-Regierung aus, wenn Sie sie als Lehrer benoten müssten?
Es gab Länder, die noch schlechter unterwegs waren. Deutschland hat zumindest den Solar- und Windmarkt auf kleinem Niveau weiterlaufen lassen. Deswegen würde ich sagen, vielleicht ein mangelhaft und kein ungenügend.
Haben wir wirklich genug Sonne, dass Solarenergie ein entscheidender Faktor wird?
Wir haben ein schönes halbes Jahr, da liegen wir gar nicht so viel schlechter als die sonnigen Länder, aber die andere Hälfte ist halt nicht so berauschend. Deswegen brauchen wir die Kombination mit der Windenergie, sonst kommen wir nicht über den Winter. Länder wie Marokko könnten sich das ganze Jahr über mit Solarstrom versorgen.
Keine Abhängigkeit mehr, erneuerbare Energien hier ausbauen
Es wird ja auch diskutiert, ob wir uns nicht von da mit Solarstrom versorgen könnten.
Der Transport des Solarstroms würde den Effekt der etwas billigeren Erzeugung mehr als wettmachen. Und wir hätten eine neue Form der Abhängigkeit. Deswegen macht es wirklich Sinn, die Photovoltaik und Windkraft bei uns so stark wie möglich auszubauen.
Ist die Entwicklung der Solartechnik ausgeschöpft?
Bei der Windenergie sind wir technisch schon fast am Limit, die Anlagen werden noch ein bisschen größer, effektiver und preisgünstiger werden. Bei der Solarenergie ist aber noch viel Luft nach oben, bei der Batteriespeicherung auch. Da werden wir in den nächsten Jahrzehnten noch ganz andere Entwicklungen sehen. Nur sind wir heute schon in dem Bereich, dass Solarenergie die preiswerteste Form der Stromerzeugung ist. Wir müssen nicht länger warten und können jetzt schon durchstarten. Zum Glück will das auch der neue Wirtschaftsminister.
Unser Lebensstil ist teuer fürs Klima
Die reichen Länder sind nicht nur die größeren Klimasünder, auch innerhalb dieser Länder ist der reichere Teil der Bevölkerung verantwortungsloser. Kann sich die Welt den Lifestyle der Reichen leisten?
VW-Chef Herbert Diess hat in einer Talkshow mal seinen CO2-Fußabdruck mit rund 1000 Tonnen pro Jahr angegeben. Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei rund zehn Tonnen pro Jahr. Das wird bei ihm im Wesentlichen durch dienstliche Vielfliegerei entstanden sein. Das Fliegen ist eine Achillesferse in der Klimabilanz. Nur elf Prozent der Weltbevölkerung ist vor Corona innerhalb eines Jahres geflogen. Man kann es auch so sehen: In dem Moment, in dem ich in ein Flugzeug steige, bin ich also schon bei den Reichen und verursache einen Schaden, den die anderen 89 Prozent nicht machen. Wir zählen in Deutschland im globalen Maßstab mit oder ohne Fliegerei fast alle zu den Reichen. Und ja, unseren Lebensstil kann sich die Welt nicht mehr lange leisten.
Sie nehmen in Ihrem Buch jeden Menschen in die Pflicht.
Jeder kann seinen C02-Fußabdruck halbieren. Für die andere Hälfte ist die Politik verantwortlich. Darum muss sie die Rahmenbedingungen auch für alle zwingend umsetzen. Das ist wie bei einer roten Ampel: Wenn nur die eine Hälfte hält und die andere durchfährt, dann kann ich die Ampel auch seinlassen.
Klimaneutral leben? Eine Umstellung, aber machbar findet Quaschning
Was machen Sie, um klimaneutral zu leben? Empfinden Sie das als einen Verzicht?
Privat haben wir die Fliegerei schon lange eingestellt, aber ich bin noch zu Vorträgen geflogen und habe mir gedacht: Ich bewege ja doch auch etwas damit. Aber das ist Quatsch. Es gibt immer Menschen vor Ort, die etwas bewegen können. Ich fliege nicht mehr, das ist auch eine Befreiung. Ich möchte mir auch nicht länger in die Tasche lügen. Wir konsumieren in der Familie überhaupt keine tierischen Nahrungsmittel mehr. Natürlich war das zunächst eine Umstellung. Aber schon nach kurzer Zeit merkt man, dass einem überhaupt nichts fehlt.
Volker und Cornelia Quaschning: "Energierevolution jetzt!" (Hanser, 284 Seiten, 20 Euro)