Friedrich Ani: "1.000 Shades of Black"
München - Der Münchner Streifenpolizist Kay Oleander kann nichts anfangen mit diesen "Spaziergängern", die gegen Coronamaßnahmen demonstrieren und glauben, dass die Politik von dunklen Mächten gesteuert wird. Der Routineeinsatz von ihm und seinen Kollegen in aufgeheizter Stimmung eskaliert unvermittelt, Demonstranten werfen Gegenstände und Oleander wird von einer Bierflasche getroffen und auf einem Auge erblinden. In "Bullauge", dem neuen Roman von Friedrich Ani macht sich der vom Dienst freigestellte Oleander auf die Suche nach einer Frau, die er bei Videoaufnahmen der Demo seiner Kollegen entdeckt hat. Als er sie schließlich findet, kommen beide auf eine tragische Weise nicht mehr voneinander los. Und sie glauben, einer großen rechten Verschwörung auf der Spur zu sein. Ein heikles Spiel beginnt.
AZ: Herr Ani, Sie haben im vergangenen Jahr im Roman "Letzte Ehre" die Münchner Oberkommissarin Fariza Nasri erfunden, die großes Potenzial für eine neue Krimi-Kultfigur hat. Warum ging es nicht mir ihr weiter?
FRIEDRICH ANI: Es geht auf jeden Fall mit ihr weiter, aber erst einmal ist "Bullauge" dazwischengerutscht. Ich wollte schon lange einen Roman schreiben über einen Streifenpolizisten und versuchen, auf kurzer Strecke zu erzählen, wie es den Leuten geht, die eingespannt werden für größere Einsätze und auch die Fehler ausbaden müssen, die an höherer Stelle des Polizeiapparates gemacht werden.
Kay Oleander verzweifelt zunehmend an seinem eigenen Apparat.
Kay Oleander ist eine nicht nur körperlich verwundete Figur, die trotzdem ihren Beruf komplett ernst nimmt und dabei nicht verbittert oder politisch abdriftet. Ein Mensch, der eintritt für Mitmenschlichkeit und Demokratie: Das ist das Größte, was man machen kann als Einzelner. Er mischt sich dann allerdings im Laufe des Romans tragischerweise in ein Gefüge ein, das für ihn nicht vorgesehen ist.
Sie schreiben viele Drehbücher, schreibt man dann auch die Romane hin auf eine mögliche Verfilmbarkeit?
Im Gegenteil, wenn ein filmischer Gedanke beim Schreiben auftaucht, baue ich sofort 37 Nebensätze mehr ein und tue alles, damit es schwerer wird, eine Szene zu verfilmen. Es ist als Romanautor nicht meine Aufgabe so zu schreiben, dass ein Stoff verfilmbar ist. Wenn es dennoch visuell wirkt, ist es wunderbar, aber kein Selbstzweck.
Namhafte Regisseurinnen und Regisseure wie Nina Grosse, Dominik Graf oder Volker Schlöndorff haben sich trotzdem nicht daran hindern lassen, Ihre Romane zu verfilmen.
Sicher wegen der Art der Figuren und der Sprache, die man transponieren kann und nicht aufgrund des Plots. Denn bei Plots gibt es bei mir nicht so viel zu holen. Es geht mir um die Figurenzeichnung und das Miteinander der Figuren. Der Wärmewert der Geschichte entsteht nicht aus der Frage: Wer war es?, sondern aus der Dynamik zwischen den Figuren. Das ist mein Ansatz. Ich tüftle auch nicht so lange über die Herkunft der Figuren, die kommen zu mir, und dann verbringen wir eine bestimmte Zeit miteinander.
Es macht Ihnen jedenfalls großen Spaß, immer neu die seelischen Abgründe auszuleuchten?
Das ist weniger eine Frage des Spaßes oder der Lust, sondern der Notwendigkeit. Ich kann nicht anders. Mein Bühnenpersonal ähnelt sich über die Jahre in seiner unverwüstlichen Melancholie...
Sie schreiben gewissermaßen "50 Shades of Black"?
Ich würde eher sagen "1000 Shades of Black". Aber ich muss aufpassen, 800 Nuancen der seelischen Dunkelheit hat schon der amerikanische Autor Cornell Woolrich abgeliefert. Für mich sind noch ein paar übrig geblieben und über die schreibe ich jetzt. Vielleicht bin ich sein Wiedergänger in einer anderen Zeit und anderen Stadt. Immer wenn ich anfange zu schreiben, schau' ich mich um, ob Woolrich in seinem Hotelsessel aus rissigem Leder sitzt und Wache hält. Und wenn er da ist, traue ich mich ins Dunkel.
In München schließen immer mehr Stüberl, die kann man bald nur noch in Ihren Romanen aufsuchen.
Das ist eine Besorgnis von mir, die mich umtreibt. Wahrscheinlich liest man meine Bücher bald als historische Kriminalromane und wundert sich, wie Menschen einmal ihre Zeit verbracht und miteinander kommuniziert haben.
Friedrich Ani stellt "Bullauge" (Suhrkamp, 268 Seiten, 23 Euro), am Dienstag, 4.10. um 20 Uhr in der Bibliothek im Literaturhaus vor (Salvatorplatz 1)
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