Karen Duve über ihr neues Buch "Sisi": "Divenhaft, wild und nie langweilig"
So nah wie in Karen Duves Roman "Sisi" kommt man Kaiserin Elisabeth sonst selten. Die Schriftstellerin beobachtet die Kaiserin nur knapp zwei Jahre lang zwischen England, Österreich, Bayern und Ungarn, verfolgt sie bei der Fuchsjagd und beim Flirt mit dem britischen Captain Middleton, bei höfischen Intrigen und sporadischen öffentlichen Auftritten.
Fokussiert auf einen kleinen Ausschnitt eines Lebens zeichnet Karen Duve mit Akribie und Ironie ein ungemein unterhaltsames Porträt der komplexen kaiserlichen Persönlichkeit.

AZ: Frau Duve, Sie wollten ursprünglich ein Buch über Pferde schreiben, jetzt wurde es ein Pferdebuch mit einer prominenten Reiterin. Wie kam es zu der Planänderung?
KAREN DUVE: Ich hatte endlich beim Verlag durchgebettelt, dass ich ein Buch über Pferde schreiben darf. Ich wollte gerade anfangen, da erschienen mehrere Pferdebücher, auch eines von Juli Zeh, da musste ich natürlich thematisch umsatteln. Ich dachte, dann mache ich halt einen historischen Roman, in dem aber auch viel über die Beziehung zu Pferden berichtet wird, am besten aus der Sicht eines alten Reitmeisters. Und bei der Recherche habe ich zwar nicht viel über das Leben historischer Reitmeister gefunden, bin aber immer wieder auf Kaiserin Elisabeth gestoßen, die mich vorher gar nicht besonders interessiert hatte.
Karen Duve: "Mich interessiert auch gar nicht immer nur der Konflikt"
Sie waren kein großer Fan der "Sissi-Filme"?
Überhaupt nicht. Aber wie es so ist: Ich habe in den letzten vier Jahren eine große Menge an Büchern über sie und ihre Zeit durchforstet und fand sie dann immer interessanter.
Sie haben einen "undramatischen" Abschnitt in Sisis Leben gewählt, die Emanzipation ist längst vollzogen, Sisi lebt fast, wie sie will. Der Kaiser duldet und zahlt alle Reisen und sie ist noch nicht völlig von Alterungsangst besessen.
Mich interessiert auch gar nicht immer nur der Konflikt. Mich hat begeistert, dass es über einen Menschen - und es ist zweitrangig, dass sie die Kaiserin von Österreich war -, ein dermaßen dicht belegtes Privatleben gibt. Das liegt natürlich auch daran, dass sie nie alleine gewesen ist. Mir war es wichtig, einen Zeitabschnitt zu rekonstruieren und dabei ganz dicht dabei zu sein. Das geht halt nur, wenn man immer die Dokumente mehreren Zeitzeugen hat. Und wenn man dann noch Originalbriefe und Zeitungsberichte findet, wie bei Sisi, ist das halt viel Material. Es geht dabei gar nicht um die großen politischen Ereignisse.
Die schwelen in Ihrem Roman ja im Hintergrund. Das Brodeln auf dem Balkan hat längst begonnen. Aber Sisi interessiert sich dafür nicht.
Daran hat sie nicht viele Gedanken verschwendet. In diesen zwei Jahren, von denen ich erzähle, kann man die Katastrophen, die kommen, aber schon erahnen: den späteren Selbstmord ihres Sohnes Rudolf, den Intrigenskandal um ihre Nichte Marie Louise, die von der Kaiserin schon in meinem Buch dazu abgerichtet wird, heimlich Briefe zu übermitteln.
"Das ist so ein bisschen Theorie und Praxis, die bei Sisi auseinanderklaffen"
Es ist psychologisch in Ihrem Roman sehr interessant, dass Sisi einerseits dem Hofzwang - so gut es geht - entfloh, aber andererseits ihre geliebte Nichte nicht davor schützte.
Sisi hat sich in zwei Personen aufgeteilt: Einerseits war sie eine Rollenverweigerin. Sie hatte keine Angst davor, Erwartungen zu enttäuschen. Aber sie hat ganz pragmatisch ein Leben geführt, wie es ihr als Aristokratin ihrer Meinung nach zustand. Und so ist sie auch mit anderen Menschen umgesprungen. Das ist so ein bisschen Theorie und Praxis, die bei Sisi auseinanderklaffen. Das gleiche Problem hatte auch ihr Sohn, der einerseits fortschrittliche Meinungen vertrat, aber auch befangen war in diesem Leben als Kronprinz. Der hat seine Freunde im Sechsspänner in der vergoldeten Prachtkutsche vom Bahnhof abgeholt. Er hat das gelebt, was er so verachtet hat. Und das hat ihn so krank gemacht.
Die Literaturliste für den Roman ist umfänglich. Welche Freiheiten hat man dann noch als Autor? Die historische Genauigkeit ist Ihnen wichtig, Sie würden ja auch sonst von Historikern zerfleddert.
Zerfleddert werde ich sowieso, weil es bei einem Thema wie Sisi immer feste Meinungen gibt und wütende Reaktionen, wenn man diese anzuzweifeln wagt. Zur Literaturliste kann ich nur sagen: Auf deren Schultern stehe ich, diese Historiker haben alle mein Buch mitgeschrieben. Je mehr Fakten ich hatte, desto unanständiger kam es mir vor, mir große Freiheiten herauszunehmen. Ich habe mir selbst ein immer engeres Korsett für den Roman geschnürt, das hat es nicht immer leichter gemacht. Wissentlich habe ich zwei Sachen verändert: Das Zirkuspferd Sullivan hat wahrscheinlich keine Punkte gehabt und ich habe zeitlich etwas verschoben: Ich schreibe die ganze Zeit davon, wie gefährlich die Jagden waren, aber ausgerechnet 1876 passiert nichts. Deshalb habe ich im Roman in Gödöllö eine Jagd beschrieben mit dem Personal von 1875. Das passte auch gut, weil der russische Botschafter dabei war und die Krise sich mit Russland verschärfte. Das war ein literarisches Zugeständnis.
"Die für die Reiter sehr gefährlichen Fuchsjagden waren auch ein Kriegsersatz"
Sie nennen die Fuchsjagd die "waghalsigste aller überflüssigen Aktivitäten".
Das war sie auch. Ein bisschen so wie heute die Menschen Freeclimber oder Extrembergsteiger sind. Ab und zu stürzt einer ab, das gehört dann hat dazu. Andere machen Handstand auf einem Wolkenkratzer - alles Leute, die an einer fürchterlichen Langeweile leiden, die ihr Leben würzen, indem sie es aufs Spiel setzen. Damals war das unter der englischen Aristokratie weit verbreitet, weil es nicht für alle Kriegsschauplätze gab, auf denen sie sterben oder Helden werden konnten. Sie wollten heroisch sein, so wie es A. E. W. Mason in seinem Roman "Die vier Federn" beschreibt. Die für die Reiter sehr gefährlichen Fuchsjagden waren auch ein Kriegsersatz.
Und Sisi ist besonders todesmutig mitgeritten.
Sie hat das Risiko geliebt. Sie ist auch über Hecken gesprungen, ohne zu wissen, ob dahinter ein Graben ist. Wenn man es überlebt, findet man es lustig, aber es bleiben auch manche liegen. Ich kenne das aus meiner Kindheit: Unser Fleischermeister hat sich auch bei der Schleppjagd das Genick gebrochen. Ich selbst bin eine ganze normale Freizeitreiterin. Feigheit ist schändlich, aber gesund. Aber selbst ich habe neulich feststellen müssen - bei einem MRT - dass ich mehrere alte Rippenbrüche hatte und einen angebrochenen Wirbel. Wenn man im Galopp stürzt, dann ist das schon eine ziemliche Wucht.
Sie reiten natürlich anders als Sisi, die noch im Damensattel reiten musste, wenn sie sich nicht aus Schabernack als Junge verkleidet hatte.
Es hat eine ungeheure Klasse, in diesen Reitkleidern, in die sich Sisi einnähen ließ, seitlich sitzend zu reiten. Nicht ohne Risiko: Es gab damals eine bestimmte Todesart, wenn die Reiterin von den großen Hörnern, in die man sein Bein schlingt beim Damensattel, im Sturz aufgespießt wird. Das war gar nicht so selten.
Sie haben gescheut, ein weiteres Pferdebuch zu schreiben. Was dachten Sie denn, als Sie von der Flut der neuen Sisi-Serien und Filme erfuhren?
Es war zu spät für mich, da noch umzulenken, ich war schon mehrere Jahre in der Sisi-Recherche. Und ich dachte mir auch: Wir sind nicht beim Patentamt.
"Sisi war nicht nur die beste Reiterin ihrer Zeit, sie hatte auch immer die besten Pferde dafür"
Was finden denn alle so modern an Sisi?
Es ist die Rollenverweigerung, die man vor allem heute so modern findet. Deswegen ist Sisi von vielen später als Feministin gedeutet worden. Natürlich war sie auch mit dem Körperkult und ihren Diäten ihrer Zeit voraus. Ich finde aber wichtiger, dass sie eine liberale Grundhaltung hatte und wenig Dünkel kannte. Sie hat in England beispielsweise die Rothschilds besucht und sie dadurch gesellschaftsfähig gemacht.
Es gibt in Ihrem Buch den schönen Satz: "Abstammung ist etwas, auf das Elisabeth nur bei Pferden Wert legt."
Das stimmt. Sie war nicht nur die beste Reiterin ihrer Zeit, sie hatte auch immer die besten Pferde dafür. Das braucht es auch, um als Spitzenreiterin zu gelten.
Die Sisi-Biografin Martina Winkelhofer sagt, der Schlüssel zum Sisi-Mythos sei eigentlich der Ehemann: Franz Joseph war der einzige Monarch seiner Zeit, der seiner Frau wirklich geholfen hat, einen eigenen Weg zu gehen.
Es stimmt, was Frau Winkelhofer schreibt. Trotzdem wissen wir nicht genau, warum er es getan hat. Er hat seine Frau wahnsinnig geliebt. Und vielleicht hat er eingesehen, dass sie die Rolle, die sie nicht einnehmen wollte, auch gar nicht gekonnt hätte. Sie ist mehrmals richtig schwer erkrankt. Sie hat das Leben am Wiener Hof nervlich und körperlich nicht geschafft. Franz Joseph hat dann den Vertrag unterschrieben, dass sie jederzeit bestimmen kann, wo sie sich aufhält. Mir ist das dennoch ein großes Rätsel, weil ihn ja niemand dazu zwingen konnte.
Karen Duve: "Ich mag Sisi vor allem in den Situationen, bei denen sie etwas peinlich ist"
Manchen gilt Sisi deswegen als berechnend und gefühlskalt.
Das stimmt nicht. Wenn man sich die Gedichte anschaut, die sie über die Anfangszeit ihrer Ehe geschrieben hat, dann müssen der Kaiser und sie damals sehr verliebt gewesen sein. Die Liebe zu ihm ist ihr im Laufe der Jahre verloren gegangen und sie hat das als großen Verlust bezeichnet. Aber sie hat immer große Sehnsüchte kultiviert. Und ich denke, dass diese Sehnsüchte für sie fast wichtiger waren als die Erfüllung.
Sie zitieren Sisis Hofdame Gräfin Festetics: "Die Kaiserin verlangt, dass man sich ausschließlich mit ihr beschäftigt." Die Bedürfnisse ihrer Hofdame waren Sisi aber im Gegenzug egal.
Jein, sie hat sich oft nach ihrer Befindlichkeit erkundigt und dann war sie immer ganz aus dem Häuschen. Aus heutiger Sicht klingt das lächerlich, aber damals musste man das anders sehen. Es war nicht die Aufgabe der Kaiserin, sich um das Wohlbefinden der Hofdamen zu kümmern. Dass die Kaiserin sie überhaupt fragt, ist schon eine große Zuwendung. Niemand sonst von ihrem Stand hätte das getan.
Als Leser hätte ich gerne noch ein paar Hundert Seiten weitergelesen, aber Sie enden schon im Jahr 1877. Warum?
Ich musste mich entscheiden, ob ich alle Anekdoten und Details verwende, oder statt in die Tiefe mehr in die Breite gehe und Sisis Leben über einen großen Zeitraum erzähle. Deswegen habe ich das Buch auch dreimal geschrieben, die erste Version hatte 1.200 Seiten.
Sie haben jedenfalls genug Stoff für einen zweiten Roman.
Habe ich mir auch gedacht. Allerdings hatte ich das Vorhaben schon bei meinem letzten Roman über Annette von Droste-Hülshoff, weil ich so viel Material nicht verwenden konnte. Aber nach einer langen Lesereise hat sich der Plan dann pulverisiert.
Ist Sisi Ihnen beim Schreiben sympathisch geworden?
Ich mag sie vor allem in den Situationen, bei denen sie etwas peinlich ist, wenn sie sich beim Maskenball in einen Mann verguckt und dann Briefe schreibt und ein großes Drama um nichts aufführt. Diese Unreife! Ihr Äußeres ist sehr viel jünger, aber ihr Inneres eben auch. Es ist tragisch für sie, dass diese mädchenhafte Seele in einem aus ihrer Sicht verfallenden Körper sitzt. Ich hätte ihr aber nicht leibhaftig begegnen wollen, dazu ist sie mir zu anstrengend und divenhaft. Aber sie ist ungeheuer interessant, wild und nie langweilig.
Gibt es die eine Frage an Sisi, die Sie ihr gern gestellt hätten?
Ja, aber das hätte ich mich niemals getraut: Ich wüsste gerne, ob sie etwas mit Captain Middleton, ihrem britischen Piloten bei den Jagden, hatte oder nicht. Die Biografen sagen alle höchstwahrscheinlich nicht, aber ich bin mir da nicht so sicher.
Karen Duve stellt "Sisi" (Galiani, 410 Seiten, 26 Euro) am 28. September um 20 Uhr im Literaturhaus vor, Karten: Telefon 01806 700 733