"Wir sind zu spät dran": Was ein Forscher für Bayern voraussagt
München – Die Gletscher der Welt sind am Verschwinden. Seit dem Jahr 2000 verlieren sie laut Schätzungen einer Forschungsgemeinschaft unter Leitung der Universität Zürich jährlich 273 Milliarden Tonnen Eis. Darin ist nicht das Schmelzen der kontinentalen Eisschilde Grönlands und der Antarktis berücksichtigt.
Weltweit haben die Gletscher in den letzten drei Jahren so viel Masse wie nie zuvor in einer Dreijahresperiode seit Beginn der Messungen in den 70er Jahren verloren, heißt es jüngst auch im Bericht über den Zustand des Weltklimas der Weltwetterorganisation. Dadurch steigt der Meeresspiegel. Hauptursache für den großen Schwund ist der menschengemachte Ausstoß von Treibhausgasen, was für die Erderwärmung sorgt.
Die Vereinten Nationen haben diesen Freitag, den 21. März, deshalb zum Welttag der Gletscher erklärt. Zudem haben sie 2025 zum "Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher" erklärt, um den Fokus auf das Thema zu legen. Ein Weckruf – auch für Bayern?
Problem für Bayern: "Sie werden uns in den nächsten Jahren wegschmelzen"
Christoph Mayer ist für den Bereich Erdmessung und Glaziologie an der Bayerische Akademie der Wissenschaften in München zuständig. Er und sein Team erforschen weltweit und in Bayern unter anderem, welche Aufgaben Gletscher in Ökosystemen erfüllen und welche Folgen ihr Rückgang hat. Für Bayerns Gletscher prophezeit Mayer eine düstere Zukunft: "Wir sind zu spät dran", sagt er im Gespräch mit der AZ. "Sie werden uns in den nächsten Jahren wegschmelzen."

Der Glaziologe (61) vermisst seit 21 Jahren die Gletscher im Freistaat und hält es für wahrscheinlich, dass die weißen Eismassen innerhalb der nächsten fünf Jahre weitgehend verschwinden werden. Eine genauere Angabe möchte er nicht machen, "denn gerade kleine Gletscher können am Ende hartnäckig sein". Auch andere Experten sind überzeugt, dass von den bayerischen Gletschern bis Ende dieses Jahrzehnts nichts mehr übrig sein wird.
Gletscherschwund: Seit 1850 fast 90 Prozet der Fläche verloren
Insgesamt gibt es im Freistaat noch vier: den Nördlichen Schneeferner auf dem Zugspitzplatt, den Höllentalferner in direkter Nachbarschaft sowie das Blaueis und den Watzmanngletscher im Berchtesgadener Land. "Seit 1850, dem Ende der kleinen Eiszeit, haben wir ungefähr 88 Prozent der Fläche der Gletscher verloren und weit über 90 Prozent des Volumens", so Mayer. Laut Daten seines Teams umfassten die Reste der Verbliebenen bei der letzten Messung 2023 nur noch eine Gesamtfläche von weniger als 0,4 Quadratkilometern.
Der Südliche Schneeferner, an dem Mayer und seine Kollegen bis 2022 noch Messungen vorgenommen hatten, ist bereits Geschichte. Dessen Rückgang hat Mayer in den letzten Jahrzehnten dokumentiert. "Es war sehr traurig, diesen großen Schwund mitzuerleben." Für Mayer sei es deprimierend gewesen zu sehen, "welche kümmerlichen Reste" dort zuletzt noch vorhanden gewesen seien. "Als Forscher jedoch ist es gleichzeitig faszinierend, diese Entwicklung zu beobachten."
Der Tag der Gletscher sei nun wichtig, um die Misere in den Fokus zu rücken. Doch: "Besser wäre es gewesen, wenn wir dem Thema schon vor zehn Jahren Aufmerksamkeit geschenkt hätten", sagt er. Was passiert, wenn die Gletscher der Welt verschwunden sind? Eine wesentliche Folge der Schmelze ist der Anstieg des Meeresspiegels, sagt Mayer. Die 273 Milliarden Tonnen verlorenes Eis jährlich seit dem Jahr 2000 haben 18 Millimeter zum Anstieg beigetragen, heißt es weiter in der Studie der Uni Zürich.
Folgen für den Alpenraum
Zudem seien Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung zu befürchten, so Mayer. In Tadschikistan, wo er derzeit forscht, sind Gletscher von zentraler Bedeutung für die Wasserversorgung. Denn in Zentralasien sind die Sommer sehr heiß und trocken. Die Bevölkerung dort sei auf Gletschereis als Wasserquelle angewiesen. "Wir müssen früh genug Klimaanpassungsstrategien entwickeln", mahnt Mayer.
Doch auch in den Alpen könnte der Rückgang Einfluss auf die Wasserstände haben. "Im Alpenraum generell könnte es sein, dass ohne die Gletscher weniger Wasser zur Verfügung stehen wird." Im Mont-Blanc-Gebiet, den Ötztaler Alpen oder im Wallis könnte dies demnach zum Problem werden, etwa wenn es um die Bewässerung im Tal geht. Zudem warnt Mayer vor möglichen Naturereignissen wie Murenabgängen oder Felsstürzen.

Für Bayern wird der Verlust im weltweiten Vergleich keine gravierenden Folgen haben, meint Mayer. Lediglich lokale Gegebenheiten könnten sich ändern. "Die Blaueishütte unter dem Ferner oder die Höllentalangerhütte unter der Zugspitze könnten theoretisch Schwierigkeiten bei der Wasserversorgung haben, wenn das Schmelzwasser wegfällt." Für die Alpengletscher gibt Mayer eine optimistische Prognose ab: "Wir haben die Chance, einen Teil zu erhalten, aber wir müssen jetzt handeln und die CO₂-Emissionen drastisch senken."
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