Trotz Beleidigungen und Morddrohungen: Pädagoge klärt in Bayern über Homosexualität auf
Frankfurt - Timo Schweitzer (40) erinnert sich noch gut an die Situation, als er vor einer Berufsschulklasse über Homosexualität sprach und ein muslimischer Schüler auf einige Stellen im Koran verwies, in denen Schwule umgebracht werden. "Und was heißt das jetzt?! Sollen wir uns alle umbringen?", konterte Schweitzer, der als ausgebildeter Theater-Pädagoge und Kabarettist die Kunstfigur "Malte Anders" verkörpert und in dieser Rolle seit 2016 an Schulen zum Thema gleichgeschlechtliche Liebe und Beziehungen sachlich-humorvoll spricht und aufklärt.
Seit 2022 wird sein Programm vom bayerischen Sozialministerium gefördert. Der Schüler bejahte die Frage, schob hinterher: "Damit das mal aufhört!" Nach Schweitzers Auftritt kamen fünf junge Männer afghanischer Herkunft zu ihm und betonten, obwohl sie ebenfalls Muslime seien, dass sie die Meinung ihres Klassenkameraden nicht teilten. Schweitzer freute sich.
Timo Schweitzer wird von einem Schüler in Germering beleidigt: "Das sind nur Einzelfälle"
Erst kürzlich ist der gebürtige Frankfurter an der Wittelsbacher Mittelschule in Germering (Landkreis Fürstenfeldbruck) zu Besuch gewesen. Der "Merkur" hatte berichtet, dass Schweitzer dort anonym von einem Schüler als "Schwuchtel" beleidigt worden sei. Schweitzer bestätigt das zwar, sagt aber: "Das sind nur Einzelfälle. Mehrheitlich habe ich ein tolles Feedback erhalten – sowohl von den Schülern als auch von den Lehrern." Natürlich gebe es hier und da drei Leute, die einen "auf dicke Hose machen". Picke man sich nur diese raus, entstehe schnell der Eindruck, dass Schüler homophob seien. "Was nicht der Fall ist!"
Schweitzer – homosexuell, lebt in Frankfurt, seit 2022 mit seinem Mann verheiratet – spricht als "Malte Anders" in seinem pädagogisch-konzipierten Programm, das aus zwei Teilen besteht und 90 Minuten dauert, vor bis zu 150 Schülern sowohl über seine eigene Sexualität, sein Coming-out als auch über Fakten, die gleichgeschlechtliche Liebe und Beziehungen weltweit betreffen. Im zweiten Part haben die Schüler die Möglichkeit, anonym Fragen auf einen Zettel zu schreiben und diesen abzugeben. "Wichtig ist mir, dass die Lehrer negative Kommentare, die auf den Zetteln stehen, nicht aussortieren. Hass darf nicht tabuisiert werden!" Und auch dann, wenn sich dieser Hass anhand von 50 Zetteln widerspiegelt, ignoriert Schweitzer ihn nicht. Er habe einen nach der Reihe vorgelesen. "Die Schüler haben mich irgendwann gebeten, aufzuhören, weil es ihnen so unangenehm war."
Beleidigungen und Morddrohungen im Internet: "Scheiß Schw***!"
Schweitzer duckt sich nicht weg, lässt sich nicht einschüchtern – daran ändern auch anonyme Morddrohungen nichts. Wie letztes Jahr per Instagram-Nachricht, in der stand: "Scheiß Schwuchtel! Nächstes Mal hast du eine Machete im Rücken!" Sofort brachte Schweitzer die Drohung zur Anzeige, weshalb sich umgehend der Staatsschutz bei ihm meldete und ihm Verhaltenstipps gab. "Während meines Programms erzähle ich den Jugendlichen davon, dass Hass im Netz strafbar und das Internet kein straffreier Raum ist. Das zeigt Wirkung." Seitdem er transparent mit den Anfeindungen umgehe, die er erlebt, seien die Hassnachrichten weniger geworden, sagt er.
An einen Fall erinnert sich Schweitzer ebenfalls gut. "Ich habe mal von einem Schüler eine Hassnachricht erhalten, in der er auch seine Schule genannt hat, an der ich zuvor aufgetreten bin. Daraufhin ist die Schulleitung durch alle Klasse gegangen, um denjenigen ausfindig zu machen." Der Junge hat sich tatsächlich gemeldet, um einer Anzeige bei der Polizei und einem Schulrauswurf zu entgehen. "Ich habe dann per Video-Telefonie mit dem Jungen das Thema 'Homosexualität' noch mal nachgearbeitet. Wir hatten ein tolles Gespräch. Es stellte sich währenddessen heraus, dass er, ein Deutscher, aus zerrütteten Familienverhältnissen kommt."
"Wenn ich nach meinen Veranstaltungen Nachrichten von Eltern bekommen, sind das immer christliche"
Generell wehrt sich der Theater-Pädagoge dagegen, Homophobie immer einer bestimmten Gruppe zuzuschieben. Da mache es sich die Schule zum Teil zu einfach, nur weil es beispielsweise einen hohen Anteil an muslimischen Schülern gebe. "Wenn ich nach meinen Veranstaltungen Nachrichten von Eltern bekommen, sind das immer christliche. Sie schicken mir Bibelzitate und wollen mit mir diskutieren. Von muslimischen Eltern habe ich noch nie etwas bekommen." Dass Homophobie genau wie Rassismus, Sexismus und Mobbing an bayerischen Schulen nichts zu suchen hat, ist klar. Trotzdem komme sie vor, wie Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, auf AZ-Anfrage mit Bedauern mitteilt.
"Unsere Rolle als Verband ist es, die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort optimal zu unterstützen. Das tun wir mit pädagogischen Angeboten und Partnerschaften, mit rechtlicher Beratung und indem wir die Angebote für Aus- und Weiterbildung, wichtige Informationen und Unterstützungsangebote sammeln und den Lehrkräften zur Verfügung stellen", erklärt sie das Vorgehen und sagt, dass die Arbeit an solchen Konflikten nichts sei, was Schule allein lösen könne – schon gar nicht inmitten des Lehrkräftemangels. "Ja, die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort können Demokratiebildung. Sie können Konfliktlösung. Dafür sind wir ausgebildet. Aber es geht hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe."
Dass bayerische Schüler im Ländervergleich mehr Vorbehalte gegenüber Menschen der LGBTQ+-Gemeinschaft (englisch für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender; deutsch für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender und Queer) haben, kann Fleischmann nicht bestätigen. Die Begründung: "Die Politik betont ja oft, dass die Welt in Bayern immer noch ein bisschen besser ist als anderswo, und sicher gibt es viele Regionen, die hier noch größere Herausforderungen haben als Bayern. Das liegt nicht zuletzt am relativen Wohlstand." Aber das bedeute nicht, dass es im Freistaat unter den Schülern keine Probleme bezüglich Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit gebe.
Schwarze Schafe auch bei den Lehrern: "Gibt Schulleitungen, die nicht hinter meinem Programm stehen"
Doch nicht nur bei den Schülern gibt es vereinzelt schwarze Schafe, auch bei den Lehrern, wie Schweitzer im AZ-Gespräch bestätigt. Allerdings könne er keine krassen Beispiele nennen. Offenbar geschieht diese Homophobie latent, indem Schweitzers Schulbesuche abgesagt werden, weil sich angeblich nicht genügend Klassen gefunden haben, die seinen Auftritt sehen wollen. "Es gibt eben Schulleitungen, die nicht hinter meinem Programm stehen. Und ich habe auch schon von Lehrern gehört, die mich eingeladen haben, dass ich zuerst im Lehrerzimmer anfangen solle."
Aus dem Grund hat Schweitzer begonnen, einen pädagogischen Tag für Lehrkräfte, die mit dem Thema Homosexualität nicht können, gar überfordert sind, zu initiieren. Denn Lehrer haben seiner Meinung nach eine Mitverantwortung bezüglich der Demokratiebildung. Bekommt der Lehrer- und Lehrerinnenverband Wind davon, dass ein Pädagoge offenkundig homophob ist, gilt laut Fleischmann: "Die Schulen vor Ort, und hier natürlich insbesondere die Schulleitungen, haben das Heft in der Hand, und wir als Verband unterstützen sie dabei umfassend und engagiert." Das könne unter anderem rechtliche und dienstrechtliche Beratung sein.
Timo Schweitzer: "Kinder brauchen Vorbilder und ein Fenster in die Welt"
Allgemein empfindet der Verband solche Besuche und pädagogischen Konzepte wie die von Schweitzer als bereichernd, aber auch als Herausforderung. "Sowas muss immer ideologiefrei und frei von Indoktrination sein. Die Kinder brauchen jemanden, der zuhört, begleitet und unterstützt, und vielleicht auch aus anderen Lebenswelten berichtet. Sie brauchen Vorbilder und ein Fenster in die Welt – aber immer sensibel, pädagogisch unterfüttert dem Alter angemessen", ergänzt Fleischmann.
Während Schweitzer nach jedem Schulbesuch das Gefühl hat, die Welt ein wenig besser gemacht zu haben, verwehrt ihm seine ehemalige Realschule in Hessen das. Der Grund: die evangelikale Elternschaft. Eine schriftliche Anfrage beim Landesschülerrat Bayern blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
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