"Doppelmoral" im Priesterseminar: Verhinderter Pfarrer aus München wehrt sich gegen die Ausbilder
München - Schon als kleiner Bub wollte Henry Frömmichen (24) Pfarrer werden. Er hatte alles aufgegeben, um mit Anfang 20 in München Priester zu werden. Doch dieser Lebenstraum platzte. Nicht nur das: Mittlerweile ist er sogar aus der Kirche ausgetreten.
Junger Mann aus München wollte Pfarrer werden: Wenn Instagram die Laufbahn ruiniert
Der große Knall kam vor rund drei Jahren. Mit einem Selfie bei Instagram. Das zeigte den Priester-Seminaristen mit einem Teilnehmer von "Prince Charming", einer Dating-Show für Homosexuelle. Die zwei Männer knipsten abends ein spontanes Foto an einer Bushaltestelle in München. Damit könnte die Geschichte um den Schnappschuss auserzählt sein. War sie aber nicht.
Frömmichen flog aus dem Priesterseminar. Das sorgte für Aufsehen, auch die AZ berichtete darüber. Der Seminarleiter wollte sich damals nicht zu dem Fall und den Gründen äußern. Frömmichen führte den Rauswurf öffentlich auf das Foto zurück.

Henry Frömmichen ist heute in einer Beziehung mit einem Mann
Seither ist einige Zeit vergangen, der 24-Jährige lebt glücklich mit einem Mann zusammen, arbeitet als Bestatter und freier Redner, wie er der AZ erzählt. Die Vergangenheit abschütteln und vergessen – das geht nicht von heute auf morgen. Noch dazu denkt er an künftige Anwärter. Ein Interview seines früheren Priester-Ausbilders Regens Wolfgang Lehner bringt ihn in diesen Tagen (wieder) zum Brodeln.
Es geht um Aussagen in der "Münchner Kirchenzeitung" zum Thema, wer für Seelsorge geeignet ist. Demnach halte Lehner nichts davon, homosexuelle Bewerber vom Weg zum Priesteramt auszuschließen. Vielmehr sagt Lehner: "Das Positiv-Kriterium für mich ist: Kann jemand gesunde und gute Beziehungen zu Männern und Frauen aufbauen, haben wir die begründete Vermutung, dass dies auch ein Leben lang hält?"
Weiter sagt er in dem Interview: "Sexualität ist immer ein Teil der Persönlichkeit, ein Ausschnitt. Wir beurteilen und begleiten Menschen als Gesamtpersönlichkeit. Deswegen tue ich mich schwer zu sagen: 'Nein, jemand ist überhaupt nicht geeignet, weil er homosexuell ist' oder 'jemand ist deswegen geeignet, weil er homosexuell ist'."
Wenn jemand zu ihm komme, so Lehner, der sich vorstelle und sage, dass er homosexuell sei, "dann versuche ich dies erst einmal im Gesamtauftreten des Bewerbers einzuordnen. Wie gibt er sich, wie zeigt er sich?"
Es gehe mitunter darum, wie präsent dieses Thema für die Person sei. "Kennt er nichts anderes? Dann würde ich dies als sehr einseitig empfinden. Wenn ich aber merke, hier steht eine stimmige Persönlichkeit vor mir, die Dinge gut einordnen kann, jemand, der gesunde Beziehungen zu Männern und zu Frauen hat, der seine sexuelle Orientierung nicht ständig thematisieren muss, dann würde ich nicht a priori sagen, der kann nicht geweiht werden, denn hier geht es um einen größeren Komplex."
Hinter den Mauern der Kirche kommen andere Töne
Das klingt erstmal nach Fortschritt, nach Offenheit. Frömmichen aber will aus eigener Erfahrung wissen: Das ist nicht so. "Wenn man weiß, wie es hinter den Mauern zugeht und was hintenrum abgezogen wird, kann man das nicht so stehen lassen. Da kocht es in mir", sagt er der AZ. Für ihn sei das eine Doppelmoral. Deswegen hat er einen offenen Brief per E-Mail an Lehner geschickt. Das Schreiben liegt der AZ vor.
Darin führt Frömmichen aus, dass er "mit großer Verwunderung und auch Fassungslosigkeit" die Worte zur Kenntnis genommen habe. "Damals unterstellten Sie mir und warfen mir vor, ich würde Propaganda für die homosexuelle Lebensform betreiben und mich mit homosexuellen Männern solidarisieren. Dieses Bild käme einem Outing gleich und ich sei als Seminarist nicht mehr tragbar", fasst der 24-Jährige darin zusammen.
Bitter: Ein Scheiden ohne Aussprache
Er hebt auch hervor, dass er damals gesprächsbereit gewesen sei. Ihm zufolge habe es aber keine Aussprache gegeben. "Ich hätte mir damals ein gemeinsames Ringen und Arbeiten an meinem Berufungsweg gewünscht. Dankbar wäre ich für ein offenes Ohr und eine kritische Auseinandersetzung mit etwaigen Fehlern gewesen, die ich aus Ihrer Sicht gemacht habe." Auf Nachfrage sagt Frömmichen, dass seine Homosexualität ohne großes Outing bekannt war und zunächst kein Hindernis für den Weg zum Priesteramt dargestellt habe. Doch als sie nach außen drang, sei es zum Problem geworden.
Aus Sicht von Frömmichen hakt es an der Umsetzung der Offenheit gegenüber Homosexuellen. Für ihn sei der Ausbilder "ein Mann mit zwei Gesichtern".
Knallhart rechnet er in dem Brief ab: "Für jemanden, der persönlich in die Abgründe und hinter die Fassaden dieser Institution geblickt hat, den Angst- und Machtapparat Katholische Kirche am eigenen Leib gespürt und unter ihm gelitten hat, der kann über diese Falschheit und diese Doppelmoral, die Sie an den Tag legen, nur noch hilflos mit dem Kopf schütteln und jeden, der die Berufung in sich verspürt Priester zu werden, jedoch homosexuell veranlagt ist, ausdrücklich vor diesem Vorhaben warnen."
Die AZ hat beim Leiter des Priesterseminars angefragt und um eine Stellungnahme gebeten. Lehner antwortet, dass er sich aus rechtlichen Gründen zu Personalien und damit auch zum Inhalt des Briefes nicht äußern könne.
Henry Frömmichen wurde Bestatter statt Pfarrer
Da Frömmichen nun den Beruf des Bestatters und freien Redners, etwa bei Hochzeiten, gewählt hat, kann er doch noch seine Passion ausüben: "Ich mache jetzt das, wofür mein Herz immer geschlagen hat und warum ich Priester werden wollte: für die Menschen in ihren emotionalsten und einschneidenden Lebenssituationen da sein." Jetzt tue er dies frei und nicht an eine Konfession oder Kirche gebunden. "Die Sexualität an sich spielt in meinen Augen keine Rolle. Ich bin ein Mensch und es kommt auf das Menschsein an und auf die Fähigkeit als Seelsorger, für die Menschen da zu sein."
Den Glauben könne man ihm nicht nehmen, auch wenn er die Institution Kirche verlassen hat. Einfach ist ihm das nicht gefallen. "Der Kirchenaustritt war die zittrigste Unterschrift, die ich in meinem ganzen Leben geschrieben habe, und der allerschwerste Gang, den ich jemals selber entschieden habe, zu gehen." Aber das war für ihn nur konsequent. Eine Antwort auf seinen offenen Brief erwartet er nicht. Aber wünschen würde er sich eine Art Entschuldigung. Würde es ein Angebot zum Gespräch geben, wäre er offen dafür.
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