Müssen Nürnberger Richter bald 19 Schwerverbrecher freilassen?
Die Konsequenzen des europäischen Urteils zur nachträglichen Sicherungs- verwahrung: Wie in Bayern über die Zukunft dieser Täter entschieden wird, hängt maßgeblich von einem Fall ab
NÜRNBERG Die Debatte um inhaftierte Schwerverbrecher, die freigelassen werden müssen – jetzt erreicht sie auch unsere Region! 19 Gewalttäter, darunter skrupellose Sex-Gangster, könnten bald aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Wie in Bayern über die Zukunft all dieser Täter entschieden wird, hängt nun maßgeblich von einem Fall ab, der beim Nürnberger Oberlandesgericht landete.
Es geht um Hans M.* (58, Name geändert). Er wurde schon 1989 wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Diebstahl verurteilt – zu sieben Jahren Haft. Nach Verbüßung dieser Haftzeit schloss sich die Sicherungsverwahrung an – die Gutachter hielten Hans M. immer noch für zu gefährlich.
Fast elf Jahre dieser Maßnahme hat der Mann inzwischen bereits hinter sich – und gilt weiterhin als Gefahr für die Allgemeinheit. Doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte im Frühjahr, dass die nachträgliche Verhängung einer Sicherungsverwahrung unzulässig ist – weil sie beschlossen wird, ohne dass der Inhaftierte eine neue Straftat begangen hat. Seitdem streiten Politiker um eine Neuregelung des Gesetzes.
Vom Urteil des Bundesgerichtshofes hängt vieles ab
Dank der Brüsseler Rechtssprechung will Hans M. nun schnell raus aus dem Knast. Das beantragte er jetzt beim Landgericht Regensburg. Die Juristen dort lehnten ab. Die Akte ging ans zuständige OLG Nürnberg. Doch die Richter leiteten die Akte an den Bundesgerichtshof (BGH) weiter. Entscheidet der nun auf Freilassung, dann können mit Hans M. noch 18 weitere Gewalttäter in Bayern darauf hoffen, in Freiheit zu kommen.
Alle haben ihre Strafe ebenfalls verbüßt und müssen nach teils jahrelanger Sicherungsverwahrung noch immer hinter Gittern sitzen. Fünf davon wurden von fränkischen Gerichten wegen ihrer Taten verurteilt. Vier davon sind Sexualverbrecher.
Details, wann und wo die Taten begangen wurden, gibt es nicht. Stefan Heilmann vom Justizministerium: „Wir dürfen die Täter nicht identifizierbar machen, auch zum Schutz der Opfer.“ Die allerdings werden auch nicht davon informiert, dass die Täter wieder auf freiem Fuß sind. „Das machen wir nur, wenn sie konkret erneut gefährdet wären“, sagt Heilmann. Ausnahme: Der Sexualtäter stammt aus dem engeren Bekanntenkreis.
Es soll eine einheitliche Gesetzgebung erwirkt werden
„Bislang“, so Heilmann, „musste noch keiner der Täter entlassen werden, und wir hoffen, dass das so bleibt.“ Jeder der 19 kann nun aber einen Antrag auf Freilassung stellen. Während Gerichte in Hamm, Frankfurt und Karlsruhe bereits drei Verbrecher freiließen, bleibt das OLG Nürnberg noch hart. Die Juristen um Dr. Stefan Franke, Präsident des OLG Nürnbergs, verteidigten bislang ihre Position.
„Die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei menschenrechtswidrig, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Denn die Grundrechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit gebieten es, dass der Staat potentielle Opfer gegen gefährliche Straftäter schützt“, betont Nürnbergs Justizsprecher Thomas Koch. Nun soll der BGH entscheiden – auch, um ein einheitliches Gesetz zu erwirken.
Der Fall Hans M. wird also das Zünglein an der Waage sein: Folgt der BGH der Haltung Nürnbergs, haben auch die 18 anderen, vorwiegend im Hochsicherheistgefängnis von Straubing einsitzenden Gewalttäter, darunter 15 Sexualverbrecher, schlechte Karten, den Knast zu verlassen. Lässt der BGH Hans M. aber frei, dürfte das die Richtlinie für die Urteile der anderen werden. Was für eine Horror-Vorstellung!