"Lebensmittelretter" aus Berchtesgaden: Teller statt Tonne

Wenn etwas übrig bleibt, kommt sie ins Spiel: Belinda Fresow, die "Lebenmittelretterin" von Berchtesgaden setzt sich konsequent gegen Verschwendung ein.
Kilian Pfeiffer |
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Lebensmittel retten: Belinda Fresow bei einem Supermarkt in Berchtesgaden, wo sie aussortierte Waren erhalten hat.
Lebensmittel retten: Belinda Fresow bei einem Supermarkt in Berchtesgaden, wo sie aussortierte Waren erhalten hat. © Kilian Pfeiffer

Berchtesgaden - Der Supermarkt, vor dem Belinda Fresow steht, ist erst seit kurzem mit im Boot. Ein Mitarbeiter hat all jene Produkte zusammengepackt, die im Markt nicht mehr verkauft werden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist überschritten. "Die örtliche Tafel hat immer Vorrang", sagt Belinda Fresow und macht damit deutlich, dass Bedürftige immer an erster Stelle stehen.

Auch dort gibt es nur einen gewissen Bedarf, der manchmal bereits gedeckt ist. Bei allem was darüber hinaus geht, kommen die "Lebensmittelretter" zum Einsatz, wie sich die Foodsharer selbst nennen. Das, was gerettet wird, verwerten sie selbst und verteilen es weiter, sagt Fresow.

Foodsharer im Berchtesgadener Land: Eine App für die überschüssigen Lebensmittel

"Verwenden statt verschwenden" – nach diesem Prinzip lebt Fresow schon seit mehr als sieben Jahren. Dutzende Foodsharer sind im Berchtesgadener Land im Einsatz. Es gibt eine Smartphone-App, über die die Initiative miteinander kommuniziert. Dort tragen die Aktiven ein, welche Supermärkte und Bäckereien wann angefahren werden.

Vor knapp elf Jahren bildete sich die Foodsharing-Initiative in Deutschland, nachdem ein Buch und ein Kinofilm die weltweite Lebensmittelverschwendung anprangerten. Das Problembewusstsein zum Thema ist deutlich gestiegen, weiß Fresow. Hiesige Supermärkte, aber auch fast alle Bäckereien geben jene Waren ab, die nicht mehr verkauft werden.

Gerettet werden alle Lebensmittel: Verpacktes und Unverpacktes

Belinda Fresow ist an einem Freitag im Juni mehr als pünktlich. Kurz vor 19 Uhr steht sie an der Rampe des Lebensmittelmarktes. Das Auto hat sie direkt davor geparkt.

Drei Plastikkisten haben die Supermarktmitarbeiter gepackt, bis oben hin gefüllt mit Waren, deren Mindesthaltbarkeit erreicht oder um ein paar Tage überschritten ist – von Tomaten über Salat bis hin zu Wurst und Käse.

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Das Gemüse wirkt in Teilen nicht mehr so frisch, "damit ist aber alles in Ordnung", weiß sie. Die Menge an Waren variiert von Mal zu Mal. Es gab Tage, da war ihr Auto so voll, dass sie Unterstützung herbeirufen musste, um alle aussortierten Waren zu verteilen, sagt sie.

Früher holten Lebensmittelretter die abgelaufenen Waren aus den Müllcontainern vor den Märkten, heute werden sie ihnen zur Verfügung gestellt. "Es ist jedes Mal interessant, wie viele gute Nahrungsmittel in den Müll kämen, wenn wir sie nicht retten würden", sagt Fresow. Vor allem bei Sortimentswechseln würden Massen an Waren anfallen, die dann nicht mehr verkauft werden.

Kühlschränke an zentralen Orten zum Teilen

Beim Einkaufen ist sie selten. Den Großteil der Lebensmittel erhält sie über das Foodsharing. "Hin und wieder brauche ich mal ein Tomatenmark. Das hole ich mir dann im Supermarkt", sagt die gelernte Krankenschwester. Mit den Waren befüllt sich Fresow nicht nur den eigenen Kühlschrank, sondern auch jenen der "Fairteiler". So nennen die Lebensmittelretter die großen Kühlschränke, die öffentlich zugänglich sind und im gesamten Landkreis verteilt stehen. Der Kühlschrank in Berchtesgaden steht beim Schülerforschungszentrum. Dort warten schon ein paar Leute, die beim Befüllen helfen – und sich das mitnehmen, was sie brauchen.

Ein älterer Herr befüllt eine Tüte. "Was habt ihr denn da Gutes?", fragt er – und nimmt sich ein paar Packungen Würste und Fleisch, zwei Joghurt und ein bisschen Gemüse. Seit Jahren holt er sich die abgelaufenen Produkte.

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Lebensmittel retten: Ein Hobby für den guten Zweck

Fresow investiert viel Zeit in ihr Hobby. Als sie noch an den Containern stand, legte sie Nachtschichten ein, um die Waren aus dem Müll zuhause zu waschen. Heute koordiniert sie mehr die Verteilung. "Bei den heimischen Bäckern bleibt am Ende des Tages oft etwas übrig."

Vor allem seit die Preise in den Regalen angezogen sind, verzeichnen die Lebensmittelretter großen Zulauf: "Was die Inflation mit der Wertschätzung von Lebensmitteln macht, das ist schon interessant", sagt sie. Ihr Wunsch: dass sich künftig auch Gaststätten und Restaurants der Initiative anschließen. "Bei denen landet noch immer viel zu viel Essbares im Müll."

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9 Kommentare
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  • OnkelHotte am 15.08.2023 23:00 Uhr / Bewertung:

    Investiert den Aufwand des einsammeln, sortieren, verteilen etc. lieber ggf. in eine Petition oder vergleichbares zur eventuellen Gesetzesänderung für Mindesthaltbarkeitsdaten und deren rechtliche Folgen. Das wäre nachhaltiger zu sehen, wie dieser Lebensmitteltourismus.
    Wo sind denn unsere Verbraucherzentralen oder Verbraucherminister das MHD- Thema mal einheitlich und konsequent anzugehen …. .

  • muc_original_nicht_Plagiat! am 16.08.2023 05:48 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von OnkelHotte

    das ist für mich keine "entweder...,oder ..."-Lösung.
    Wie zu lesen ist, empfindet sie s nicht als Aufwand, sondern Hobby. Zudem findet die direkte Hilfe statt.
    Petitionen bringen zunächst gar nichts ..
    also: beides machen.

  • OnkelHotte am 16.08.2023 18:45 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von muc_original_nicht_Plagiat!

    Nicht effektiv gedacht, kostet nur vielfachen Aufwand und ändert nichts.

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