Echtzeit-Gesichtserkennung in Bayern? "Massive Grundrechtseingriffe für alle Menschen"

Der Innenminister will an Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen eine Live-Gesichtserkennung einführen. Aus der Opposition hagelt es Kritik, auch der Datenschutzbeauftragte hat Zweifel.
Natalie Kettinger
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Werden auch am Münchner Hauptbahnhof demnächst die Gesichter der Passanten gescannt und in Echtzeit mit Fahndungsbilder abgeglichen?
Werden auch am Münchner Hauptbahnhof demnächst die Gesichter der Passanten gescannt und in Echtzeit mit Fahndungsbilder abgeglichen? © Ralph Peters/imago

München - Geht es nach Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), sollen Kameras an "Brennpunkten" und Bahnhöfen künftig zur Massenüberwachung in Echtzeit eingesetzt werden - und Künstliche Intelligenz (KI) die Gesichter der Passanten mit dem Datenbestand der Polizei, in der Regel also mit Fahndungsfotos, abgleichen. Die Opposition und Bayerns oberster Datenschützer sind entsetzt.

Joachim Herrmann fordert Live-Gesichtserkennung: "Der islamistische Terror und internationale Verbrecherbanden haben Europa im Visier"

"Die Polizei braucht dringend mehr Möglichkeiten, zur Täterfahndung auch die biometrische Gesichtserkennung nutzen zu können", sagt Herrmann der AZ. "Der islamistische Terror und internationale Verbrecherbanden haben Europa im Visier. Gleichzeitig ist der Schutz der EU-Außengrenzen absolut mangelhaft." Er fordere die Bundesregierung deshalb auf, die rechtlichen Möglichkeiten der biometrischen Gesichtserkennung für mehr Sicherheit komplett auszuschöpfen. "Übertriebener Datenschutz darf nicht dazu führen, Täter vor der Strafverfolgung zu schützen." Ein Ministeriums-Sprecher teilt auf AZ-Anfrage mit, bei einem "Treffer" via Echtzeit-Gesichtserkennung könnten Polizisten die Person überprüfen und gegebenenfalls festnehmen. Gebe es keinen "Treffer", würden die Daten nicht gespeichert, was auch bei einem "Fehlalarm" gelte.

Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern.
Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern. © Christoph Soeder/dpa

Kritik aus der Politik: "Massive Grundrechtseingriffe für alle Menschen"

"In Bayern sollen alle Menschen frei und sicher leben. Damit wir das gewährleisten können, müssen wir unseren Sicherheitsbehörden den Zugang zu neuen und dafür hilfreichen Technologien gewährleisten", sagt Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Wenn an der Privatsphäre der Menschen gekratzt werde, bereite ihr das jedoch Bauchschmerzen. "Da muss für uns Grüne immer sehr genau auf die richtige Balance zwischen Sicherheit und dem Schutz von Persönlichkeit geschaut werden. Die Forderung von Minister Herrmann kann das aus meiner Sicht nicht garantieren", so Schulze zur AZ.

Horst Arnold, rechtspolitischer Sprecher der SPD im Landtag, sieht einen Zusammenhang zwischen Herrmanns Forderung und der Flucht von vier Straftätern aus dem Bezirksklinikum Straubing vor einer Woche, von denen seither jegliche Spur fehlt. "Innenminister Hermann will damit vom aktuell-akuten Fahndungsversagen der Bayerischen Polizei ablenken", sagt Arnold der AZ. Dabei wisse der CSU-Politiker "genau, dass die Rechtsgrundlagen zur Einführung einer Echtzeit-Gesichtserkennung, aufgrund der damit verbundenen massiven Grundrechtseingriffe für alle Menschen, gesetzlich und vor allem grundrechtlich äußerst schwierig zu schaffen sind."

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Rein praktisch gesehen, müsste ein Vermummungsverbot auf öffentlichen Plätzen und in Überwachungszonen eingeführt werden, führt Arnold weiter aus. "Andernfalls besteht die Gefahr, dass möglicherweise unschuldige Menschen Opfer polizeilicher Fahndungsmaßnahmen würden. Das ist rechtsstaatlich inakzeptabel." Es werde Zeit, "dass die publicity-orientierte Vorstellungswelt des Innenministers wieder einer parlamentarischen Kontrolle zugeführt wird, bevor sie kontrollverliebt in rot-chinesische Gefilde abgleitet".

Datenschutzbeauftragter Thomas Petri hat Bedenken

Der bayerische Datenschutzbeauftragte, Thomas Petri, äußert im Gespräch mit dem BR ebenfalls gravierende verfassungsrechtliche Bedenken und zweifelt zudem an der Alltagstauglichkeit der Überwachungsmethode: Wenn die Trefferquote bei 98 Prozent liege, würden beispielsweise am Münchner Hauptbahnhof trotzdem noch Hunderte Menschen fälschlicherweise aus dem Verkehr gezogen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will Bundeskriminalamt und Bundespolizei bei der Suche nach mutmaßlichen Terroristen und Schwerverbrechern künftig erlauben, auch Gesichtserkennungs-Software einzusetzen (AZ berichtete). Die Ermittler sollen etwa Internet-Videos von IS-Mitgliedern mit Bildern in den Sozialen Netzwerken abgleichen können, um Hinweise auf den Aufenthaltsort der Islamisten zu erhalten. Eine Echtzeit-Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, wie sie von Joachim Herrmann verlangt wird, ist jedoch ausdrücklich nicht geplant.

Die Europäische Union hat der Anwendung von Live-Gesichtserkennung in ihrem Gesetz zur Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI) enge Grenzen gesetzt: Demnach dürfen Polizei und andere Sicherheitsbehörden KI-gesteuerte Gesichtserkennung an öffentlichen Orten nur dann nutzen, wenn eine richterliche Anordnung vorliegt. Ihr Einsatz ist außerdem bei der Suche nach Opfern von Menschenhandel und sexueller Gewalt erlaubt - sowie um "eine konkrete und akute Terrorgefahr" abzuwenden.

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32 Kommentare
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  • Der Münchner am 24.08.2024 08:45 Uhr / Bewertung:

    Dann werft mal alle Eure Klevertongeräte weg, denn da werden schon alle überprüft falls nötig!

  • barzussek am 23.08.2024 14:00 Uhr / Bewertung:

    Das Gedöns vom Datenschutz ist albern wenn man bedenkt wo man überall seine Daten verteilt in den sozialen Medien samt Foto ectr.
    Wenn es der Sicherheit dient dann nur zu

  • Gelegenheitsleserin am 23.08.2024 13:06 Uhr / Bewertung:

    Aus dem Artikel:
    "Wenn die Trefferquote bei 98 Prozent liege, würden beispielsweise am Münchner Hauptbahnhof trotzdem noch Hunderte Menschen fälschlicherweise aus dem Verkehr gezogen"

    Dann wünsche ich allen, die mit dieser Gesichtserkennung "kein Problem" haben, dass sie mal zu den Hunderten(!) gehören, die fälschlicherweise überprüft und ggf. festgenommen werden.

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