Feilschen um den Mindestlohn: Deshalb wollen die Gewerkschaften 15 Euro

Linke drängen auf einen höheren Mindestlohn. Darüber berät ab diesem Donnerstag eine Kommission. Was das für die Beschäftigten und die Wirtschaft bedeutet und wie bayerische Gewerkschaften und Arbeitgeber darüber denken.
Maximilian Neumair |
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Delegierte halten beim Bundesparteitag der SPD im Jahr 2023 Schilder mit der Aufschrift "15 € jetzt!" hoch. Die Partei hofft, dass die Mindestlohnkommission sich im Juni dafür ausspricht.
Delegierte halten beim Bundesparteitag der SPD im Jahr 2023 Schilder mit der Aufschrift "15 € jetzt!" hoch. Die Partei hofft, dass die Mindestlohnkommission sich im Juni dafür ausspricht. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Knapp jeder sechste Job liegt unterhalb der Niedriglohnschwelle von 13,79 Euro, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.

Entscheidet sich die Mindestlohnkommission für die von SPD, Grünen und Linken geforderten 15 Euro, würden demnach 6,3 Millionen Menschen in Deutschland mehr Geld verdienen – und über die Niedriglohnschwelle kommen.

Mindestlohn sollte laut EU-Richtlinie knapp 15 Euro betragen

Die Kommission muss bis Ende Juni darüber eine Entscheidung gefällt haben. Die erste Sitzung ist für diesen Donnerstag angesetzt, die zweite für den 18. Juni. Drei Vertreter der Arbeitgeber und drei der Arbeitnehmer diskutieren in den nicht öffentlichen Treffen über einen neuen Mindestlohn – und seine Bedeutung für die Beschäftigten und die Wirtschaft. Kommt es zweimal zu einer Pattsituation, entscheidet die Vorsitzende Christiane Schönefeld – die hat zuletzt mit den Arbeitgebern abgestimmt.

Die Mindestlohnkommission beschließt die Höhe des Gehalts, das ein Arbeitgeber pro Stunde mindestens zahlen muss. 2022 wurde dieser Wert erstmals seit Einführung politisch festgelegt.
Die Mindestlohnkommission beschließt die Höhe des Gehalts, das ein Arbeitgeber pro Stunde mindestens zahlen muss. 2022 wurde dieser Wert erstmals seit Einführung politisch festgelegt. © dpa

Diese fürchten steigende Personalkosten in Zeiten einer kriselnden Wirtschaft, die Arbeitnehmer beklagen die steigenden Lebenskosten. SPD und Union haben in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sich die Kommission sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren soll.

Letzteres entspräche einem Mindestlohn von etwa 14,80 Euro. Diese Faustregel fußt auf einer EU-Richtlinie.

Gewerkschaften und Arbeitgeber einig: Kommission soll unabhängig bleiben

Was die Parteien allerdings auch im Koalitionsvertrag festgehalten haben: Die Mindestlohnkommission soll unabhängig bleiben. Das heißt, vom Gesetzgeber beschlossene Anhebungen wie 2022 sind damit ausgeschlossen.

Im entsprechenden Gesetz steht, dass die Mitglieder keinen Weisungen unterliegen. Festgeschrieben ist dort lediglich, dass der Mindestlohn sich nachlaufend an der Tarifentwicklung orientieren solle. Zumindest in der Geschäftsordnung der Kommission ist verankert, auch die EU-Richtlinie zu berücksichtigen. Davon darf sie aber "im Rahmen der Gesamtabwägung" abweichen.

Bertram Brossardt, vbw-Hauptgschäftsführer, pocht auf die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission.
Bertram Brossardt, vbw-Hauptgschäftsführer, pocht auf die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission. © Sven Simon/imago

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) unterstützt den Plan, dass die Kommission so unabhängig bleibt: "Denn jeder Eingriff in die Lohnfindung durch die Politik verletzt die Tarifautonomie", sagt Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt der AZ.

Die Unabhängigkeit der Kommission hält auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Bayern auf Nachfrage der AZ für "grundsätzlich richtig". Aber der Vorsitzende Bernhard Stiedl sagt auch: "Sie muss ihrer Verantwortung gerecht werden."

Deutscher Gewerkschaftsbund: "Es ist ein Armutszeugnis"

Denn: "Bereits heute reicht der Mindestlohn in vielen Fällen nicht aus, um Armut zu verhindern – weder im Erwerbsleben noch im Alter." Gerade in Ballungszentren wie München mit ihren hohen Mieten und Lebenshaltungskosten sei es selbst mit 15 Euro schwer, über die Runden zu kommen.

Stiedl sagt: "Es ist doch ein Armutszeugnis, dass wir in einem wohlhabenden Land wie Deutschland immer noch über existenzsichernde Löhne diskutieren müssen."

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Die Gewerkschaften sehen in dem Mindestlohnanstieg ein Konjunkturprogramm. "Wer mehr im Geldbeutel hat, gibt auch mehr aus", sagt Stiedl. Gerade in Bayern könne ein fairer Mindestlohn Regionen stützen, in denen Kaufkraft fehlt – etwa Augsburg, Nürnberg und Passau.

Diese Branchen würde Mindestlohnerhöhung besonders treffen

Die vbw befürchtet hingegen, dass die steigenden Kosten bei den Unternehmen so befeuert werden.

Laut Statistischem Bundesamt sind die Arbeitskosten in Deutschland die siebthöchsten in der Europäischen Union und pro Stunde Arbeit rund 30 Prozent höher als der EU-Schnitt.

Besonders Branchen mit einem hohen Anteil an Mindestlohnjobs trifft das: etwa Gastronomie, Textilbranche, Landwirtschaft und den Einzelhandel.

Erntehelfer decken auf einem Spargelfeld die Folientunnel auf. In der Landwirtschaft würden besonders viele Arbeitnehmer durch einen höheren Mindestlohn mehr Geld erhalten.
Erntehelfer decken auf einem Spargelfeld die Folientunnel auf. In der Landwirtschaft würden besonders viele Arbeitnehmer durch einen höheren Mindestlohn mehr Geld erhalten. © Christian Charisius/dpa

Brossardt macht das Problem am Beispiel der Erntehelfer deutlich: "Die diskutierte Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro entspräche einer überproportionalen Steigerung um 17 Prozent."

Er nennt als wichtigstes Ziel zur Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit "eine Entlastung auf der Kostenseite, keine weitere Belastung".

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  • Boandl_kramer vor 8 Stunden / Bewertung:

    Mehr Geld finden erstmal viele toll. Ich auch. Aber was passiert schon wenige Tage darauf? ALLE erhöhen innerhalb kurzer Zeit ihre Preise. Preise die der Verbraucher aus seinem Netto bezahlen muss. Und dabei feststellt, dass er von der Lohnerhöhung kaum was hat, weil Fiskus und Sozialkassen brutal hingelangt haben. Er aber die neuen höheren Preise mit seinem kläglichen Rest vom Geld bezahlen muss.

    Wann bestreiken wir eigentlich mal das Finanzamt?

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