Skandal um WDR-Kinderchor: Humor und deutsche Hysterie

Es war satirisch gemeint, dann löst ein Lied des WDR-Kinderchors über die Oma als "Umweltsau" einen Shitstorm aus. Intendant Tom Buhrow knickt ein. Aber viele verstehen die Aufregung auch gar nicht.
Robert Braunmüller
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Armin Laschet, der sich im Fall des Videos über die Instrumentalisierung von Kindern beklagte, lässt sich übrigens gerne mit Babys fotografieren, wenn es ihm in den Kram passt.
Federico Gambarini/dpa Armin Laschet, der sich im Fall des Videos über die Instrumentalisierung von Kindern beklagte, lässt sich übrigens gerne mit Babys fotografieren, wenn es ihm in den Kram passt.

"Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" gehört zu den Klassikern der witzigen Kinderlieder. Es geht auf das 1922 für den Kölner Karneval komponierte Stimmungslied "Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen" von Robert Steidl zurück, das auf die damalige Hyper-Inflation anspielt.

Nun aber hat der in Köln beheimatete WDR mit einer von seinem Kinderchor gesungenen satirischen Verballhornung des Liedes eine Welle der Empörung ausgelöst. Stein des Anstoßes ist der Vers: "Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau."

WDR entschuldigt sich für "Umweltsau"-Lied des Kinderchors

Die Aktion sollte, wie der Sender in einem Facebook-Post erklärt, eine Satire auf die "zuweilen hysterische Klimadiskussion" sein. Die kam nicht gut an. Es hagelte Kritik in den sozialen Medien. Mehr als 15 000 Kommentare habe es auf der eigenen Facebook-Seite dafür gegeben, hieß es beim WDR. Noch am Freitag löschte der Sender das Video wieder und entschuldigte sich "für die missglückte Aktion". Dann mischte sich die Politik ein. Die üblichen Verdächtigen von Rechts und Rechtsaußen, denen der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk ohnehin ein Dorn im Auge ist, erregten sich, Politiker wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) schlossen sich an. Laschet machte auf Twitter seiner Entrüstung über die Umweltsatire Luft.

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WDR-Intendant Tom Buhrow mischt sich ein

Nun knickte auch der WDR-Intendant ein: Tom Buhrow rief am Samstagabend vom Krankenhausbett seines 92-jährigen Vaters in einer Spezialsendung von WDR 2 an. Dort bezeichnete er das "Video mit dem verunglückten Oma-Lied" als Fehler. "Ich entschuldige mich ohne Wenn und Aber dafür." Sein Vater habe immer hart gearbeitet. "Er ist keine Umweltsau", sagte Buhrow.

Songtext von "Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau"

In dem Video sangen rund 30 Mädchen im Studio unter anderem die Zeilen: "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad. Das sind tausend Liter Super jeden Monat. Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau." In einer anderen Strophe hieß es: "Meine Oma fährt mit ‘nem SUV beim Arzt vor, überfährt dabei zwei Opis mit Rollator." Auch die Themen billiges Discounterfleisch und Kreuzfahrten werden nicht ausgespart.

"Wir haben mit einem großen Hammer auf einen relativ kleinen Nagel geschlagen", sagte WDR 2-Programmchef Jochen Rausch reumütig in einer Sondersendung mit Publikumsbeteiligung am Samstag. Man habe das Wort "Umweltsau" in Verbindung gebracht mit der "lieben Oma", die abends Geschichten vorlese. "Das drückt bei vielen Menschen den roten Knopf", so Rausch. Man habe nicht mit der "nötigen sprachlichen Feinheit" gearbeitet und "nicht lange genug nachgedacht".

Laut Redaktion ging es um Generationenkonflikt

Das Redaktionsteam bedauerte, dass die Satire die Gefühle eines Teils des Publikums verletzt habe. Dies sei nicht die Absicht der Aktion gewesen. "Es ging vielmehr darum, den Generationenkonflikt, der sich durch die Fridays-for-Future-Bewegung darstellt, mit den Mitteln der Satire aufzugreifen." Am Ende des Videos sieht man Chormädchen mit ernstem Blick die Lippen bewegen und hört dazu Stimme der Umweltaktivistin Greta Thunberg: "We will not let you get away with this" ("Wir lassen Euch damit nicht davon kommen)". Greta Thunberg ist für viele (ältere) Autofahrer und SUV-Besitzer ein rotes Tuch. Die das Hysterische streifende Erregung mag auch mit einem Tweet des deutschen Ablegers von "Fridays for Future" zu tun haben, in dem – angeblich satirisch – gefragt wurde: "Warum reden uns die Großeltern eigentlich immer noch jedes Jahr rein? Die sind doch eh bald nicht mehr dabei."

Empörte Reaktionen im Netz

"Warum sendet man so einen Unverschämtheit?", schrieb eine Nutzerin empört auf Facebook über das Lied. "Unterirdisch", "unterstes Niveau", "eine einzige Frechheit", meinten andere. Ander Nutzer aber zeigten Verständnis: "Wenn man das Alter der Kinder beachtet, sind die heute 50-70-Jährigen gemeint (...) Da steckt schon wahres drin." Auch Satiriker Jan Böhmermann twitterte: "Wer sich jeden Tag billiges Discounterfleisch aufbrät, ist eine Umweltsau." In der WDR-Sondersendung und auf sozialen Medien im Internet gab es auch viele positive Reaktionen auf das Video. "Scheinbar können es viele Menschen nicht vertragen, wenn man ihnen den Spiegel vorhält", sagte eine Hörerin in der WDR-Sendung. "Satire muss man aushalten", sagte auch die 14-jährige Ricarda. "Was ist daran so schlimm?" Die Kinder seien alt genug, um zu wissen, was sie sängen. "Die haben ihre Großeltern doch trotzdem lieb."

Der unvermeidliche CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen forderte auch nach der Entschuldigung noch den Kopf des WDR-Intendanten. "Es geht nicht um Entschuldigung. Das ist keine moralische Frage. Sondern eine rechtliche. Wann werden diese Damen und Herren Intendanten und Chefredakteure der ÖRR für diese Verfehlungen zur Verantwortung gezogen?", twitterte er.

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Sondersendung wegen Satire-Video ist gefährlichere Entwicklung

Ein paar Gegenfragen dürfen hoffentlich noch gestellt werden: Warum halten CDU-Politiker wie Laschet zwar Sonntagsreden zur Meinungs- und Pressefreiheit, maßregeln aber dann einen Sender und werfen ihn den Rechten zum Fraß vor? Warum heizen sie die Debatte noch an, statt sie zu versachlichen? Warum muss man mit einer Sondersendung auf Kritik an einem Facebook-Video reagieren? Das ist eine erheblich gefährlichere Entwicklung als ein (womöglich missglücktes) Satire-Video.

Armin Laschet, der sich im Fall des Videos über die Instrumentalisierung von Kindern beklagte, lässt sich übrigens gerne mit Babys fotografieren, wenn es ihm in den Kram passt.
Armin Laschet, der sich im Fall des Videos über die Instrumentalisierung von Kindern beklagte, lässt sich übrigens gerne mit Babys fotografieren, wenn es ihm in den Kram passt. © Federico Gambarini/dpa

Laschet und der CDU-Pensionist Ruprecht Polenz hatten auch nichts zu Tempo 130 und zu ihrem unfähigen Parteifreund Andreas Scheuer zu sagen. Sie drehten die Geschichte gleich weiter und griffen das auch im Zusammenhang mit Greta Thunberg beliebte Argument auf, Kinder würden in der Klimaschutzdebatte von Erwachsenen instrumentalisiert. Der WDR habe mit dem Lied "Grenzen des Stil und des Respekts gegenüber Älteren überschritten", twitterte Laschet. "Jung gegen Alt zu instrumentalisieren ist nicht akzeptabel."

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Den Vorwurf, die beteiligten Kinder seien missbraucht worden, wies der WDR zurück. "Wir bedauern, dass offenbar dieser Eindruck vereinzelt entstanden ist." Eine WDR-Hörerin verstand die Aufregung um das Oma-Lied nicht. "Sonst hätten wir uns doch auch früher darüber aufregen können, dass die Hühner im Stall mit Motorradabgasen belastet werden."

Am Sonntagabend demonstrierte ein Grüppchen aus der rechten Szene vor dem WDR. Das sind die Geister, die Laschet mit seiner Medienkritik gerufen hat.

 

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