Interview

Neuer München-"Tatort: Königinnen": Amüsante Oberfläche mit äußerst ernstem Hintergrund

Rudi Gaul hat den außergewöhnlich unterhaltsamen Münchner "Tatort: Königinnen" inszeniert. Vor der Erstausstrahlung hat die AZ mit dem Regisseur gesprochen.
Volker Isfort
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Bei einem Streit wird Toni (Lilly Wiedemann) verletzt. Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) versucht die Situation zu entschärfen.
Bei einem Streit wird Toni (Lilly Wiedemann) verletzt. Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) versucht die Situation zu entschärfen. © BR

In Gmeinig steigt das alljährliche Gipfeltreffen der bayerischen Produktköniginnen, mit eisenharter Hand organisiert von Ex-Königin Sylvia (Veronica Ferres). Es geht um Ruhm und Provinzträume, schließlich werden die zwölf schönsten Königinnen in einem Kalender verewigt.

Bei der Auswahl hat der Präsident des Bavaria-Bunds (Wolfgang Fierek) seit Jahrzehnten seine Hände im Spiel und diese Machtposition brutal ausgenutzt. Ein paar Opfer wollen ihn in diesem Jahr bloßstellen, doch dazu kommt es nicht mehr, er wird lebensgefährlich mit einem Bolzenschussgerät verletzt. Ivo Batic (Miroslav Nemec), Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) tauchen ein in eine vermeintlich heile Welt mit ganz eigenen Regeln.

Der von Robert Löhr geschriebene und von Rudi Gaul inszenierte "Tatort: Königinnen" ist ein ungewöhnlich unterhaltsamer Fall, spannend und satirisch zugleich. Für den von den Königinnen überwältigten Kalli ist es der "coolste Fall des Jahres". Wir schließen uns seinem Urteil unbedingt an.

Rudi Gaul ist gebürtiger Münchner. Der Drehbuchautor und Regisseur arbeitet für Kino, Fernsehen und Theater.
Rudi Gaul ist gebürtiger Münchner. Der Drehbuchautor und Regisseur arbeitet für Kino, Fernsehen und Theater. © BR

Vor Ausstrahlung des Falls am Sonntagabend hat die AZ mit Rudi Gaul über den neuesten München-"Tatort" gesprochen.

AZ: Herr Gaul, wo liegt eigentlich Gmeining?
RUDI GAUL: Also gedreht haben wir in Neufarn, insofern recht realitätsnah im klassischen Münchner Umfeld.

Sie haben schon drei "Tatorte" gedreht und bereiten gerade Fälle für das Stuttgarter und das Schwarzwälder Team vor. Was reizt Sie am Genre?
Für einen Regisseur ist ein Tatort immer spannend, weil man sehr viel mehr Menschen erreicht als mit einem gut laufenden Kinofilm. Ich verfolge den "Tatort" aber auch deswegen sehr gern, weil er seit einiger Zeit im positiven Sinne sehr experimentierfreudig geworden ist. Wenn man eine tolle Geschichte hat und dieses Genregefäß nutzt, kann man sehr viel erzählen. Man muss allerdings den Fall und die Kommissare ernst nehmen, auch wenn in unserem Falle "Königinnen" auch komische Töne hat.

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Neuester Münchner "Tatort" ist besonders böse und satirisch

Autor Robert Löhr hat für den Münchner "Tatort" das Weihnachts-Rollenspiel "Mord unter Misteln" geschrieben. Auch "Königinnen" ist weit weg von einem klassischen Krimi. Was hat sie überzeugt?
Ich höre immer auf mein Bauchgefühl. Schon beim allerersten Lesen, dachte ich, dass dies ein sehr witziger, böser und satirischer Fall werden könnte. Tucholsky hat ja gesagt die Deutschen könnten keine Satire, deshalb finde ich es immer mutig, wenn sich jemand daran traut. Denn gelungene Satire ist eine großartige Kunstform. "Königinnen" ist in Teilen eine Satire, die in einen Mikrokosmos eintaucht, in die Welt der Produktköniginnen. Ich bin Bayer und auf dem Land aufgewachsen, ich kenne diese Welt.

Sylvia (Veronica Ferres) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) unterhalten sich.
Sylvia (Veronica Ferres) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) unterhalten sich. © BR

Sie hätten das Drehbuch auch ästhetisch in Richtung der Eberhofer-Krimis verfilmen können.
Die Eberhofer-Filme von Ed Herzog sind eine Klasse für sich, das kann man nicht nachmachen. "Königinnen" ist außerdem keine reine Komödie. Das Buch hat genug Wortwitz, Humor und schrille satirische Töne, die aber hinterfotzig daherkommen. Für mich ist es immer ein großes Missverständnis, wenn man als Regisseur meint, man müsse witzige Dialoge besonders schräg inszenieren. Das funktioniert nicht. Man muss den Stoff ganz ernst nehmen. Ich war mir mit meinem Kameramann Michael Hammon schnell einig, dass wir den Film eher wie einen Dokumentarfilm inszenieren. Wir haben viel mit Handkamera gedreht und sind ganz nah dran an den Figuren, die wir gewissermaßen beobachten.

Hochkarätig besetzter München-"Tatort" mit Veronica Ferres und Wolfgang Fierek

Veronica Ferres spielt die Organisatorin des Königinnentages, gewissermaßen die Queen Mum, weil sie im wahren Leben mal Kartoffelkönigin war?
Nein, das mit der Kartoffelkönigin ist Fake News, auf die ich aber auch selbst reingefallen bin. Aber ihre Eltern hatten einen Kartoffelhandel. Insofern kennt sie diese Welt. Veronica Ferres hat sofort die Doppelbödigkeit ihrer Figur erkannt. Bei den Probelesungen habe ich oft gemerkt, dass die Texte von den Schauspielerinnen und Schauspielern ganz unterschiedlich verstanden wurden, und darüber diskutiert wurde, auf welche Seite sich das Buch schlägt. Das ist toll, denn das Buch ist ambivalent, es kommt eben nicht didaktisch daher. Man muss sich auch als Zuschauer eine eigene Position suchen.

Veronica Ferres als Sylvia.
Veronica Ferres als Sylvia. © BR

Bei Herrn Fierek weniger, der von ihm gespielte Präsident des Bavaria-Bunds ist skrupellos.
Sowohl Veronica Ferres als auch er waren unsere absoluten Wunschbesetzungen und beide haben sofort zugesagt, gerade weil sie so moralisch abgründige Figuren spielen dürfen. Es gilt der alte Satz, dass Jago zu spielen halt mehr Spaß macht als Hamlet zu spielen.

Wolfgang Fierek als Josef Gehrling.
Wolfgang Fierek als Josef Gehrling. © BR

Der Film beginnt mit einer Aschenputtelszene. Aber ob der verlorene Schuh hier zur möglichen Täterin führt, können wir natürlich nicht verraten.
Das Cinderella-Motiv ist meiner Meinung nach metaphorisch dafür da, zu zeigen, dass wir ein böses Märchen erzählen. Mit Fierek als bösem Wolf und Veronica Ferres als böser Stiefmutter. Und wie in jedem Märchen geht es um Träume und Sehnsüchte, die missbraucht werden und in einen Albtraum umschlagen.

Die Krux der Satire: "Du wirst schnell von der Realität eingeholt"

Die rund 50 Königinnen wetteifern darum, in den Kalender aufgenommen zu werden, wo logischerweise nur zwölf von ihnen Platz finden.
Diese Produktköniginnenkalender mit auch semi-erotisch aufgeladenen Motiven gibt es wirklich. Da mussten wir nur ein klein wenig zuspitzen.

Im Film wird dieser Kalender als Wichsvorlage für Jungbauern bezeichnet. Und das im BR!
Also zensorische Restriktionen gab es vom Sender nicht. Im Gegenteil, es sollte schon so böse wie möglich werden. Ich finde es ja auch verrückt: Wir diskutieren seit Jahren über #metoo, über tradierte oder überholte Frauen- und Männerbilder und trotzdem existiert diese anachronistische Welt der Produktköniginnen immer noch genau so wie vorher. Während wir den Dreh vorbereitet haben, hat ein CSU-Landtagsabgeordneter über 250 deutschen Produktköniginnen bei einem Treffen geraten: "Erscheinen Sie einfach im Bikini oder im String." Das ist übrigens manchmal die Krux der Satire: Du wirst schnell von der Realität eingeholt.

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Münchner "Tatort: Königinnen": LaBrassBanda lieferte die Musik

Kalli, zwei Generationen jünger als seine beiden Kollegen, verhält sich aber gegenüber den Königinnen eher so, wie die beiden es in seinem Alter getan hätten. Hat er nichts gelernt?
Für mich ist dieser Film ein bisschen wie eine Opera buffa: Da gibt es die ernste Ebene und die Buffa-Ebene, wo gewissermaßen die ernste Melodie noch mal auf komische Art parodiert wird. Das ist Kalli in diesem Film. Und man sieht an ihm auch, wie schmal der Grat ist, auf dem er wandelt, zwischen Flirt und Anzüglichkeit. Das hängt natürlich immer von der Situation und dem Machtgefälle ab. Wenn der Präsident eine Königin plump anmacht, ist das halt kein Flirt auf Augenhöhe, sondern ein Übergriff.

Dieser ungewöhnliche "Tatort" hat auch einen außergewöhnlichen Soundtrack von LaBrassBanda. Wie kam es dazu?
Ich bin einfach Fan der Band und habe Stefan Dettl das Drehbuch geschickt. Er war sofort Feuer und Flamme. Aber uns war klar, dass wir diese Missbrauchsgeschichte nicht mit Brass-Volldampf übertünchen können. Die für diesen "Tatort" komponierte Musik ist klassischer LaBrassBanda-Sound mit leisen Zwischentönen.

Die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, vorne) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, hinten) versuchen einen Kampf zwischen den Königinnen zu schlichten. Toni (Lilly Wiedemann) wird dabei zurück gehalten.
Die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, vorne) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, hinten) versuchen einen Kampf zwischen den Königinnen zu schlichten. Toni (Lilly Wiedemann) wird dabei zurück gehalten. © BR

Den Volldampf gibt es nur in einer Konzertszene. Die Band spielt auf dem Königinnentag, und Leitmayr sieht, wie übergriffig sich im Publikum Männer verhalten.
Ja, da gehen ihm die Augen auf und er sieht Dinge, die er vorher so vielleicht nicht wahrgenommen hätte. Das war übrigens schwierig zu inszenieren, weil man die Übergriffe auch zeigen muss. Schauspieler haben da ihre Tricks, aber die meisten in dieser Szene sind Komparsen und die waren unglaublich schüchtern und haben sich kaum getraut, ihr Gegenüber anzufassen, obwohl dies ja ausdrücklich erlaubt, erwünscht und Teil der Szene war. Die Schauspielerinnen haben den Komparsen geholfen und wir haben das gemeinsam erarbeitet.


"Tatort: Königinnen": ARD, Sonntag, 29. Oktober, 20.15 Uhr

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2 Kommentare
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  • Boettner-Salm am 30.10.2023 09:13 Uhr / Bewertung:

    Lieber ein Tatort mit alternden Kommissaren und nachvollziehbarer Handlung als diese neu modernen jungen Psycho-Kommissare die am meisten Probleme mit sich selbst haben.
    Schlecht war der nicht gestern, haben aber schon bessere gesehen.
    Bitte die Zwei bloß nicht in Rente schicken.

  • BingoMuc am 30.10.2023 06:35 Uhr / Bewertung:

    Ich will gar nicht alle auflisten, aber langsam wird’s a bisserl viel mit diesen Sartire “Krimis”.. deswegen bin ich auch ziemlich bald offline gegangen.. wie schön dass ich Schimanski erleben durfte

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