Dokumentation "Seaspiracy": Das Ende der Fischstäbchen?
Lachsbrötchen zum Brunch, Thunfischpizza am Mittag und schnell noch ein paar Fischstäbchen am Abend. Das kann, soll, muss man jetzt sein lassen?
Jedenfalls, wenn es nach Ali Tabrizi geht. Der Naturschützer und Filmemacher ist auf Grund seiner weltweit erfolgreichen Dokumentation "Seaspiracy" plötzlich im Fokus.
Dokumentation "Seaspiracy": Unterfüttert mit Schock-Aufnahmen
Es ist ein filmisches Pamphlet, das der junge britische Klimaaktivist gemeinsam mit dem Produzenten Kip Andersen ("Cowspiracy") geschaffen hat: brutal schnell geschnitten, mit bedrohlich einpeitschender Musik unterlegt und unterfüttert mit Schock-Aufnahmen von zerstückelten Haien, kranken Zuchtlachsen ohne Schuppen und gestrandeten Walen mit Fangnetzen im Bauch.
Seine salzige Kernaussage, "Esst nie wieder Fisch!", füttert Tabrizi mit einem Taifun an Fakten an. An der Spitze steht die thesenartige Botschaft, dass 2048 alle Ozeane leergefischt sein werden - wenn wir, also die Menschheit, nicht sofort bereit sind zu handeln. Und Prominente wie der Sänger Bryan Adams appellieren auch nach der Sichtung von "Seaspiracy", doch das Gleiche zu tun.
Bleibt die Frage, was an Tabrizis Film so erschreckend neu ist, dass die Reaktionen derart massiv ausfallen? Tabrizi ist vor allem ein geschickter Ich-Erzähler, der den aufgeklärten Zuschauer - ähnlich wie ein Michael Moore, aber ohne dessen subversiven Humor und stringente Intelligenz - von Anfang an bei der Hand nimmt, indem er sich mit unserem Wissensstand - wie etwa beim allgemein bekannten Stichwort "Mikroplastik" - gemein macht.
Der Clou ist dabei seine mit plastischen Beispielen angereicherte Taktik, uns zu verunsichern. So würden Plastik-Strohhalme nur 0,03 Prozent des Mülls in den Ozeanen ausmachen. Viel schlimmer seien die Gefahren durch die Fischerei-Industrie: wie die immer rücksichtslosere Überfischung oder auch die Verschmutzung der Ozeane mit über Bord geworfenen Netzen.
Ali Tabrizi filmt systematische Abschlachtung von Delfinen
Die Verschiebung der Schuldfrage, die bis hin zu Verschwörungstheorien über eine alles dominierende Fischereimafia reicht, spült "Seaspiracy" in das Fahrwasser eines spekulativen Hollywood-Thrillers.
Mit versteckter Kamera filmt Tabrizi im japanischen Küstenort Taiji die systematische Abschlachtung von Delfinen, die von den Fischern vor Ort als "Schädlinge" für ihren Thunfischfang angesehen werden, während die lokale Polizei ihm dabei angeblich dicht auf den Fersen ist.
Kritik an Tabrizi: Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen?
Immerhin aber ist Richard O'Barry als reflektierter Interviewpartner im Film präsent. Dass dieser Tierschutzaktivist von dem grausamen Schauspiel bereits 2009 in seiner Oscar gekrönten Dokumentation "Die Bucht" berichtete, unterschlägt "Seaspiracy" aber.
Andere Gesprächspartner im Film sind im Nachhinein auf Tabrizis radikale, stets nur die eigene These unterfütternde Methoden weniger gut zu sprechen. Mark Palmer, der für das Organisation International Marine Mammal Project (IMMP) arbeitet, das sich für den Schutz von Meeressäugern einsetzt, wirft Tabrizi vor, dass seine Aussagen für den Film aus dem Zusammenhang gerissen worden sind. Was die Frage aufwirft, was eine Dokumentation eigentlich für Mittel einsetzen darf, um ihren Zweck zu heiligen.
Stinkt der Filmfisch "Seaspiracy" also vom Kopf her? Letztlich nicht, auch wenn es zu bedenken gilt, dass die Fischerei und Aquakultur 800 Millionen häufig ärmeren Menschen das Einkommen und oft auch das Überleben sichern.
Denn dass "Seaspiracy" auch schwammige Wohlfühlbegriffe wie "Nachhaltigkeit" oder beruhigende Fischfang-Labels hinterfragt und mit seiner populistischen, dafür zugänglichen Inszenierung viele Menschen erreicht, spricht doch für die (Aufklärungs-)Arbeit des Filmemachers zum Thema: Welcher Fisch kommt wie auf den Tisch?
Zu sehen auf Netflix.
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