Die große Leistungsschau

Beim Henri-Nannen-Preis feiert der Journalismus seine Besten – von Krise will bei der Show niemand etwas wissen. AZ-Herausgeber Anneliese Friedmann wird fürs Lebenswerk geehrt
Arno Makowsky |
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Anneliese Friedmann bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preis in Hamburg. Sie erhielt den Preis in der Kategorie Lebenswerk. Thomas Gottschalk hielt die Laudatio.
Hoppe/dpa Anneliese Friedmann bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preis in Hamburg. Sie erhielt den Preis in der Kategorie Lebenswerk. Thomas Gottschalk hielt die Laudatio.

Journalisten sind bekanntlich nicht für ihre Bescheidenheit berühmt. Weshalb wir diese Präsentation der Abendzeitung für durchaus angemessen halten: Die Seite 1 einer aktuellen Ausgabe wird über 40 Meter auf die Bühne projiziert, als Kulisse, um AZ-Herausgeber Anneliese Friedmann für ihr Lebenswerk zu ehren.

Nun passt dieses monumentale Bild natürlich ausgezeichnet ins Konzept einer Show, bei der die Besten der Branche ausgezeichnet werden: Qualitätsjournalisten in Kategorien wie „Reportage“, „Investigation“ oder „Essay“. In der Hamburger Kampnagel-Fabrik verleiht der Verlag Gruner & Jahr seinen Henri-Nannen-Preis, der als bedeutendste Auszeichnung im deutschen Journalismus gilt. Entsprechend spektakulär gestaltet der Verlag diesen Event – als trotzige Leistungsschau eines Metiers, das in einer tiefen Krise steckt.

Auf der linken Seite der Bühne ist ein schäbiges Büro aufgebaut, mit grauer Schreibmaschine auf einem alten Tisch. Etwa ein Symbol für das Elend im deutschen Medienbetrieb? Ach was: Es ist die historische Schreibstube von Henri Nannen, dem legendären Gründer der Zeitschrift „Stern“ und Namensgeber des Preises. Er wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Und deshalb steht der Abend ganz im Zeichen dieses Mannes, der als kreativer Zeitungsmacher bis heute eines der großen Vorbilder für deutsche Journalisten ist.

Das Schwergewicht Nannens spürt jeder Preisträger spätestens, wenn er den „Henri“ überreicht bekommt. Er ist ein so schweres Trumm ist, dass manche Ausgezeichnete Mühe haben, ihn von der Bühne zu schleppen. Auch sonst zeugt die Inszenierung der Preisverleihung nicht von mangelndem Selbstbewusstsein im Journalismus.

Namhafte Schauspieler wie Maren Kroymann und Rufus Beck lesen Auszüge der nominierten Reportagen vor. Die Laudatio für einen mutigen Lokalreporter, der sich von Neonazis nicht einschüchtern lässt, übernimmt Bundestagspräsident Norbert Lammert. Zwischendurch treten die Sportfreunde Stiller auf. Und als Anneliese Friedmann auf die Bühne gebeten wird, bietet ihr Laudator Thomas Gottschalk galant den Arm.

In seiner Rede erfahren die Zuhörer einiges über Frau Friedmann – über ihre mitunter frechen „Sibylle“-Kolumnen im „Stern“ oder über ihr soziales Engagement – noch mehr allerdings über Gottschalk selbst: Etwa, dass eine frühe AZ-Kolumne aus seiner Feder stark zu seiner publizistischen Veredelung und Vollendung beigetragen habe.

Anneliese Friedmann hingegen berichtet von einer Schwäche, die den meisten Reportern eigen ist: Sie wurde mit ihrer Kolumne so gut wie nie pünktlich fertig. Doch anders als heute gab es in den Sechzigern weder Fax noch Mails, mit denen der Text schnell von München nach Hamburg hätte übertragen werden können. Was tun? „Ich bin zum Bahnhof und habe den Lokführer des Hamburg-Zuges gebeten, das Manuskript abzugeben.“

Eine Menge namhafter Journalisten nimmt an diesem Abend „Henris“ in Empfang. Auch die Macher der „Financial Times Deutschland“, die erst kürzlich eingestellt wurde – kurioserweise vom gleichen Verlag, der ihr nun eine Auszeichnung verleiht. Seltsam? Vielleicht. Andererseits: Hier wird journalistische Qualität belobigt, nicht wirtschaftlicher Erfolg. Überhaupt: Von Krise ist beim Nannen-Preis angenehmerweise nichts zu spüren. Eher ein Gefühl, das Anneliese Friedmann so zum Ausdruck bringt: „Ich würde auch heute wieder Journalisten werden.“

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