Vorsitzender der Stadionfreunde über Grünwalder-Umbau: "Das ist schon dreist"
AZ-Interview mit Martin Scherbel: Der Löwen-Fan ist Vorsitzender des Vereins der Freunde des Sechzgerstadions, der sich seit Jahrzehnten für den dauerhaften Erhalt des Stadions und die Pflege seiner Kultur engagiert.
Kürzlich stimmte der Sportausschuss im Rathaus dafür, den Umbau des Grünwalders weiter voranzutreiben. Doch es gibt viele Fragezeichen. Die Stadt sagt, Sechzig müsse sich bis in einem Jahr klar und langfristig zum Standort bekennen, davor könne es keine endgültige Entscheidung geben. Die KGAA, die Profifußballsparte der Löwen, reagierte irritiert, unter den gegebenen Umständen - Miethöhe unklar, Details unbekannt, Erstliga-Lizenz undenkbar - könne man sich nicht langfristig binden. Am Mittwoch kommt das Thema wieder in den Stadtrat. Und die Lage scheint verzwickt. Hier spricht Martin Scherbel, der Vorsitzende des Vereins der Freunde des Sechzgerstadions, über die Situation.
AZ: Herr Scherbel, Ihre Stadionfreunde kämpfen seit Jahrzehnten für den Erhalt des Stadions. Nun befürwortet der Stadtrat eine große Modernisierung, am Tag darauf erklärt Sechzig, enttäuscht zu sein. Verstehen Sie, wenn da viele im Rathaus fassungslos sind?
MARTIN SCHERBEL: Zunächst finde ich es sehr erfreulich, dass die Stadt einen nächsten Schritt gemacht hat. Zwar ist immer noch kein Budget beschlossen, aber die Planungen gehen weiter.
Aber?
Die Stellungnahme der KGAA war schon unglücklich. Weil für den unbedarften Leser der Eindruck entstanden ist, dass die Stadt jetzt viel Geld für Sechzig ausgibt - und dann seien die Löwen auch noch unzufrieden.
Was ja auch nicht ganz falsch ist.
Wir sollten zwei Dinge trennen. Den Ist-Zustand und das Ausbau-Projekt. Sechzig hat aktuell einen Wettbewerbsnachteil von 1,5 bis 1,7 Millionen Euro pro Jahr gegenüber anderen Drittligisten. Die Stadt nutzt da den Zwang aus, dass Sechzig auf das Stadion angewiesen ist. Die Abgabe für den MVV zum Beispiel ist unverschämt hoch. Niemand im Kultur- oder Sportbereich im ganzen Land muss für ein Kombiticket so viel zahlen. Die Elektrik ist katastrophal, man ist auf Akkus angewiesen. Sechzig muss selbst Schneeschippen. Es gibt sehr viel, was Extrakosten verursacht oder worum sich anderswo die Städte kümmern.
Noch mal: Sie haben Jahrzehnte gekämpft, das Stadion sollte einst abgerissen werden. Nun ist die Stadt bereit, viel Geld auszugeben. Ist das kein Grund für Euphorie?
Wie gesagt, das war jetzt wieder ein erfreulicher Schritt und wir hoffen, dass die Vollversammlung des Stadtrats ihn nächste Woche bestätigt. Aber man muss sich schon fragen, warum alles so lange dauert. Die letzten zwei Jahre stand die Stadt auf der Bremse. Die KGAA kennt bis heute keine Miethöhe, keine baulichen Details. Die Stadt fordert eine langfristige Zusage, obwohl es keine Lösung für die viel zu hohen Nebenkosten gibt, keine Ausstiegsklausel - und dann soll man sich bis 2038 binden. Das ist schon dreist.

Viele haben sich lustig gemacht darüber, dass Sechzig argumentiert, man könne nicht zusagen, weil im Grünwalder kein Erstliga-Fußball mehr gespielt werden darf.
Ich verstehe, wenn das gerade für manche größenwahnsinnig wirkt. Aber ich verstehe da auch die Verantwortlichen der KGAA. Wir reden von einem Zeitraum von 16 Jahren - wenn das Stadion in sechs Jahren saniert ist und die Löwen sich dann für zehn Jahre verpflichten sollen. Natürlich muss ein seriöser Geschäftsführer bei einem so langen Zeitraum von allen Varianten ausgehen - also von der Regionalliga Bayern bis zum Europapokal. Irgendeine Art Ausstiegsklausel muss es halt geben.
"Dieter Reiter hat eine Erklärung versprochen. Passiert ist nichts."
Aber ist es nicht absurd, dass dieses Projekt nun tatsächlich scheitern könnte, weil der Dauer-Drittligist 1860 mit der ersten Liga argumentiert?
Wir glauben, dass man in Giesing letztlich auch erste Liga spielen könnte. Das hat niemand ernsthaft geprüft. Und wenn Sie schauen, welche kleinen Clubs inzwischen in der ersten Liga spielen - ich kann mir nicht vorstellen, dass es am Ende keine Lizenz für die Löwen gäbe, weil da irgendwo drei Journalisten-Parkplätze weniger sind als vorgeschrieben.
Die Stadt sagt, mehr als 18.000 Zuschauer könne es in Giesing nie wieder geben. Können Sie damit zufrieden sein?
Grundsätzlich sind wir erstmal sehr zufrieden, weil es sich wirklich um eine große Lösung handelt mit Komplettüberdachung, mehr Lärmschutz für die Anwohner, den VIP-Logen, die man heute nun mal leider braucht. Aber natürlich hätten wir bei der Gesamt-Kapazität zumindest gerne eine Zwei vorne stehen. Als wir vor der Kommunalwahl im Rathaus zu Gast waren, konnte uns aus der Verwaltung niemand erklären, wie die 18.000 zustande kommen. OB Dieter Reiter hat damals versprochen, eine Erklärung nachzureichen. Das ist aber nie passiert.
Die Situation wirkt nun arg festgefahren. Sind Sie zuversichtlich, dass sich die Löwen und die Stadt einigen?
Zunächst einmal ist wichtig, dass die Vollversammlung auch nächste Woche zustimmt und die Planungen weitergehen. Davon gehe ich aus. Sie können ja nicht viel falsch machen, es geht noch nicht um das endgültige Budget.
"Sechzig gehört nach Giesing"
Aber?
Aber beide Seiten, Sechzig und die Stadt, haben bei dem Thema keine optimale Außendarstellung. Dabei habe ich den Eindruck, dass hinter den Kulissen viel gesprochen wird. Ich denke, dass sich eine Lösung findet. Es ist ja nachvollziehbar, dass die Stadt ein langfristiges Bekenntnis braucht. Und aber auch nachvollziehbar, dass Sechzig die aktuellen Forderungen der Stadt nicht erfüllen kann.
Hat die KGAA die Bedeutung des Grünwalders verstanden?
Ja. Wir haben den Eindruck, dass die aktuell Verantwortlichen verstehen, wie wichtig der Standort für die Identität ist. Wenn sichergestellt ist, dass man dort wirtschaftlich sein kann, wollen sie bleiben. Und es gibt ja auch einfach keine Alternative. Einen Neubau auf der grünen Wiese wird es in den nächsten 15 Jahren aus vielen Gründen bestimmt nicht geben.
Es gibt das Olympiastadion.
Erstens wird das nun auch jahrelang saniert und steht nicht zur Verfügung.
Und zweitens?
Hat Sechzig es schon zwei Mal versucht mit dem Olympiastadion. Und am Ende sind immer alle froh gewesen, wieder daheim zu sein. Sechzig gehört nach Giesing.