1860-Fotograf Claude Rapp: Der Fan, der keine Tore sieht
München - Es soll ja Fußballfans geben, die überzeugt sind, dass das nächste Tor immer genau dann fallen wird, wenn sie gerade beim Bieseln sind.
Claude Rapp ist jedes Wochenende beim Fußball. Und verpasst fast immer die Tore. Doch das hat nichts mit Aberglauben und vielen Klogängen zu tun. Der Mann schaut nicht aufs Spielfeld. Sondern: in die Gegenrichtung. Hoch zu den Fans in der Westkurve des Grünwalder Stadions oder in den Auswärtsblöcken der Republik.
Das Rauchpulver kaufen die ersten Zündler noch in der Sonnenstraße
Rapp ist Fan. Und Fan-Fotograf. Seit 20 Jahren schon fotografiert er bei fast allen Löwen-Spielen. Und er ist immer noch erst 37. Jetzt hat er einen dicken Bildband mit seinen eindrücklichsten Fotos veröffentlicht.
Es zeigt eine wilde Münchner Jugendsubkultur im Wandel - und weckt viele Erinnerungen bei all jenen, die dabei waren. So regelmäßig wie Rapp. Oder auch nur gelegentlich.
Rapps erstes Mal - ein 1860-Heimspiel gegen den VfB Stuttgart
Sagenhafte 50.000 Fotos hat der Mann über die Jahrzehnte gemacht. Doch wie hat es angefangen? Rapp sagt, Stadion- und Fanfotos hätten für ihn schon immer zum Fußball dazu gehört.

Tatsächlich gibt es in seinem Buch ein Bild eines sehr kleinen Buben in den frühen 90ern bei einem Heimspiel des VfB Stuttgart - Rapps erstes Mal.
Claude Rapp fasziniert die wilde Kurve
Als Jugendlicher begann er regelmäßig zu den Löwen zu gehen, fotografierte im Olympiastadion die allerersten Ultra-Gruppen bei ihren Aktionen, damals oft noch mit den Doppelhaltern, selbst gemalte Plakate, die Fans mit zwei Stangen in die Höhe hielten.
Ihn faszinierte die wilde Kurve, auch die Pyrotechnik. Später wurde er selbst Mitglied der Ultra-Gruppe Cosa Nostra, fotografierte auch auf deren Wunsch viele Aktionen.
Im Gespräch mit Rapp kann man sich an viele Details erinnern - etwa wenn er erzählt, dass er wie viele andere junge Fans in der Vor-Internet-Zeit einst immer zu Sport Bock in die Schwanthalerstraße ging, wo man die Fan-Magazine aus der ganzen Republik (mit vielen Fotos!) kaufen konnte. In seinem Buch sprechen auch Vertreter der Ultras aus verschiedenen Generationen über die Löwen-Fankultur im Wandel der Zeit.
Wie die aufwendigen Choreographien entstehen, welche Beziehungen die Fan-gruppen in andere Städte pflegen, wie die Aktionen finanziert werden - da steckt viel Interessantes drin. Und auch hier wieder viele Details. Lothar Langer vom Fanprojekt etwa erinnert daran, dass die allerersten Zündler in der Kurve ihr weißes Rauchpulver beim "Zauberkönig" in der Sonnenstraße kauften. Wer weiß sowas schon noch?
Im Gespräch mit der AZ sagt Rapp, die Fankurve sei in den 20 Jahren "offener, bunter" geworden. "Die Leute stellen sich viel klarer gegen Rassismus." Auch die Qualität der Choreographien sei viel besser geworden. Andererseits: Die alten Doppelhalter, die vermisse er schon auch.
Claude Rapp: "Ich kann mir ein Leben ohne Sechzig nicht vorstellen"
Sein Blick auf die Fanszene auf jeden Fall fasziniert im Löwen-Umfeld offenbar viele. Die Vorstellung seines Buchs im Giesinger Bräu war schon Tage im Voraus ausreserviert. Rapp wirkt davon selbst ein wenig überrascht. Die Idee eines Bildbands habe er zwar schon länger im Kopf gehabt, sagt er bescheiden. "Aber ich dachte immer, es sei eine Nummer zu groß."
War es nicht. Eineinhalb Jahre hat Rapp nach Zusage eines kleinen Verlags an dem Band gearbeitet. Ihm hat das so gut gefallen, dass es bis zum nächsten Band keine 20 Jahre dauern soll. Ob er wirklich glaubt, noch so lange weiter zu machen? Rapp scheint die Frage absurd zu finden. "Natürlich", sagt er. "Ich kann mir ein Leben ohne Sechzig nicht vorstellen. Und auch nicht, ohne meine Kamera ins Stadion zu gehen." Es geht also weiter, natürlich geht es weiter.
Mit seinem Job als Projektleiter in einer Internetagentur kann er das zeitaufwendige Hobby vereinbaren. Mit seiner kleinen Familie auch, das hat er mit seiner Frau abgeklärt. Der Fan-Fotograf wird im Grünwalder also weiter zum Inventar gehören. Und viele Tore verpassen. Es hilft ja nicht.
"Unter Löwen: Aus der Fankurve in den Innenraum" kostet 24,90 Euro, www.blickfang-ultra.de
- Themen:
- Grünwalder Stadion
- TSV 1860 München