"Tennis ist Kopfsache"
AZ: Frau Lisicki, Ihr Vater hat nach dem Match gegen Li Na gesagt, er wäre vor Aufregung beinahe gestorben. Wie haben Sie dieses Spiel mit abgewehrten und vergebenen Matchbällen erlebt, diese Höhen und Tiefen?
SABINE LISICKI: Es war eine unheimliche Achterbahnfahrt, in der man nervlich auf härteste Proben gestellt wurde. Aber ich versuche immer, den Spielstand auszublenden und mich wirklich nur auf den allernächsten Punkt zu konzentrieren. Bei den Matchbällen habe ich nicht dran gedacht: ein Fehler noch – und alles ist aus. Ich dachte nur: Mach jetzt das 30:40, mach den Einstand. Das schaffen sonst regelmäßig nur Leute wie Federer, Nadal, Serena oder auch Maria Scharapowa, diese totale Fokussierung.
Nick Bollettieri, Ihr langjähriger Mentor, sagt: Champions denken nie zurück, sondern nur nach vorn.
Er hat vielen Spielern diese Mentalität beigebracht. Wenn man einen Matchball gegen sich hat, nützt es nichts, sich noch über die gemachten Fehler zu ärgern. Man muss dann eine Antwort geben. Kämpfen, nicht aufstecken, noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Dann kann man auch das Unmögliche möglich machen. Und auch mal zwei, drei Asse raushauen.
Ein Kniefall auf dem Centre Court, Tränen des Glücks – mit dem Sieg gegen Li Na ist eine große Last von Ihnen abgefallen.
Da schießen einem natürlich alle Gedanken durch den Kopf. Das letzte Jahr, in dem ich auf Krücken ging und wieder Laufen lernen musste. Die vielen Rückschläge beim Comeback, der schwere Saisonstart, die verpasste Australian-Open-Qualifikation. Und dann dieses Spiel, dieses Glück, dieser Schauplatz. Ich liebe Wimbledon – und ich hätte mir keinen besseren Ort für so einen Erfolg vorstellen können.
In Paris wurden Sie noch weinend vom Platz getragen, nach dem Match gegen Vera Zwonerewa. Jetzt gelten Sie in Wimbledon als Geheimfavoritin. Es sind ziemlich turbulente Zeiten.
Allerdings. Der Sieg in Birmingham war schon ein Kracher, nachdem ich in Paris diese Enttäuschung erlebt hatte. Ich habe aber gut gelernt, mit diesen Aufs und Abs umzugehen, schließlich habe ich schon einiges mitgemacht in den ersten Jahren meiner Karriere: Wimbledon-Viertelfinale 2009, Platz 25 der Rangliste, dann schwere Verletzungen und der Fall in der Weltrangliste. Man lernt, diese Wechselfälle zu akzeptieren. Tennisprofi zu sein, das ist kein ruhiges Geschäft. Insgesamt bin ich nach der Verletzung aber eine stärkere Spielerin geworden. Und ich genieße meine Siege mehr, weil ich weiß, dass sie nicht selbstverständlich sind.
Wie haben Sie den Aufstieg von Andrea Petkovic und Julia Görges erlebt? Gab’s da auch mal neidische Seitenblicke?
Ganz und gar nicht. Die Erfolge von Petko und Jule waren für mich pure Motivation, weiter hart an meinem Comeback zu arbeiten. Ich will auch dahin, wo sie sind – in die Weltspitze. Außerdem ist der Druck durch ihre Erfolge etwas von mir genommen worden. Es ist ja nicht dauernd gefragt worden: Was ist eigentlich mit Sabine Lisicki los? Aber jetzt genieße ich es, wieder mehr im Rampenlicht zu stehen.
Die ersten Monate nach der Rückkehr auf der Tour waren holprig: Die Starts bei den Challenger-Turnieren, kaum durchschlagende Erfolge.
Ich musste ja zu den kleineren Turnieren, um Selbstbewusstsein aufzubauen. Leicht war es nicht, sich wieder zurecht zu finden. Man wartet auf einen Ball vom Ballkind, und stellt fest: Ach so, hier gibt’s ja gar keine Ballkinder. Bald weiß man aber: Hier musst du dich durchbeißen.
Sie sind nicht dafür bekannt, geduldig zu sein. Wie schwer fiel es, auf die kleinen Fortschritte zu warten?
Es tat schon weh, einige Wochen, sogar Monate. Vor allem, wenn du eine Niederlage nach der anderen kassierst und feststellst: Da ist doch gar kein großer Unterschied vorhanden.
Erst in Miami und Charleston, wo ich mit Wild Cards am Start war, kriegte ich dieses Jahr die Kurve. Plötzlich gehst du wieder mit einem ganz neuen Gefühl auf den Court, da sind die Sorgen und Zweifel weg. Tennis ist eine unglaubliche Kopfsache.
Es ist auch ein ganz neues Gefühl rund um das deutsche Frauentennis entstanden – nicht zuletzt nach drei Turniersiegen von drei verschiedenen Spielerinnen.
Die Begeisterung macht mich glücklich. Wir stacheln uns gegenseitig an, sind miteinander befreundet und haben ein sehr gutes Fed Cup-Team. Jetzt brauchen wir nur noch ein, zwei Turniere mehr in Deutschland, damit die Fans etwas vom deutschen Frauentennis live sehen können. Wie schön wäre es, wenn in Berlin wieder ein Wettbewerb stattfinden würde, das wäre ein Traum für mich.
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