Social-Media-Zensur in Sotschi: Keine Videos für die Follower
Sotschi – Mit der Meinungsfreiheit ist es in Russland so eine Sache. Nach Ansicht von Amnesty International versucht die Regierung in Moskau mit aller Macht, jede kritische Regung in der Gesellschaft zu unterbinden. Verhältnisse, die im Kleinen auch bei den Olympischen Winterspielen in der Schwarzmeer-Metropole Sotschi (7. bis 23. Februar) gelten. Denn bei Facebook, Twitter, Instagram oder im eigenen Blog einfach zu veröffentlichen, was sie denken, wird für die teilnehmenden Sportler nicht einfach werden.
Die Richtlinien des IOC sind genau: Jedes Posting, jeder Tweet oder Blog-Eintrag muss mit dem "olympischen Geist vereinbar" sowie "würde- und geschmackvoll" sein. Natürlich ist jede Art von "diskriminierendem, beleidigendem, rassistischem, diffamierendem oder anderweitig illegalem" Inhalt verboten, ebenso wie "vulgäre oder obszöne Wörter oder Bilder". So weit, so verständlich und auch nachvollziehbar.
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Schwieriger wird es, wenn die Äußerungen formalen Richtlinien unterworfen sind: Die Texte der Sportler müssen in einem tagebuch-ähnlichen Format aus der Ich-Perspektive geschrieben werden, die Sportler dürften "nicht die Rolle eines Journalisten einnehmen", heißt es in der Olympischen Charta, Regel 48, Zusatz 3. Videos und Audio-Beiträge, die auf dem Olympia-Gelände aufgenommen wurden, dürfen nicht öffentlich geteilt werden.
Für den Social-Media-Experten und ehemaligen Fußball-Profi Hans Sarpei sind das zu enge Vorgaben: "An vielen Stellen finde ich die Auslegung etwas kleinteilig und nutzerfremd", sagte der frühere Bundesliga-Fußballer dem SID. Gleichzeitig kritisiert er, dass auch offizielle Logos und Marken nicht verwendet werden dürfen: "Das IOC sollte sich hier den Gewohnheiten des Fußballs anpassen." Heißt: "Neben offiziellen Sponsoren sollten auch verstärkt Sponsoren von nationalen Teams und Einzelsportlern zugelassen werden."
Allerdings ist sich der Experte auch nicht sicher, wie konsequent das IOC die Tweets und Postings der Sportler überprüfen wird: "Wo kein Kläger, da kein Richter. Ich würde mich freuen, wenn die Athleten sich zur Olympischen Charta bekennen, gleichzeitig aber frei und spontan Tweets und Posts absenden – wie sonst auch."
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat bereits reagiert und seinen Sportlern "Tipps im Umgang mit sozialen Netzwerken" an die Hand gegeben. Dabei gelten drei Richtlinien: Der sportliche Erfolg darf nicht leiden, persönliche Einblicke sind okay, aber Privates soll privat bleiben: "Überlegt vor jedem Beitrag, ob ihr damit klarkommen würdet, wenn er am nächsten Tag als Titelstory in der Bild-Zeitung zu sehen wäre."
Die Social-Media-Einschränkungen des IOC gelten aber nicht nur für die Jäger des olympischen Edelmetalls, sondern auch für die Journalisten vor Ort. Zwar wurde eine Meldung, derzufolge der Sportchef der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti im November vergangenen Jahres von einem Social-Media-Verbot für Berichterstatter gesprochen hatte, zwar dementiert, die Regeln gelten kurioserweise aber trotzdem: Journalisten dürfen in den sozialen Medien nicht die Rolle eines Journalisten einnehmen.
Der Grund für die faktische Zensur ist klar: Die Spiele sollen nur schöne Bilder liefern, die eines traumhaften Ambientes und einer perfekten Organisation. Und natürlich muss die Marke geschützt werden – schließlich ist Olympia ein Milliardengeschäft. Dass sich das IOC mit dem Wunsch nach guten Schlagzeilen schlechte schafft, ist dabei eine Ironie, die den Veranstaltern noch nicht aufgefallen zu sein scheint.
Auf absurde Art und Weise lässt sich aber offenbar doch verbinden, was so unvereinbar wirkt: Im Netz wird schon zu den sogenannten "Selfie Olympics" aufgerufen – den Olympischen Spielen der schönsten fotografischen Selbstporträts. Und dagegen werden auch Wladimir Putin und das IOC nichts unternehmen können.