Heiner Brand: "Wir sind für jeden Gegner schwer berechenbar"

Weltmeister-Trainer Heiner Brand spricht in der AZ über die Handball-EM, die Chancen des deutschen Teams, Bundestrainer Prokop und seinen Konflikt mit dem Verband: "Da besteht gar kein Kontakt."
von  Simon Stuhlfelner
Gehört für Heiner Brand zu den Mitfavoriten bei der EM: Das deutsche Team um Kapitän Uwe Gensheimer.
Gehört für Heiner Brand zu den Mitfavoriten bei der EM: Das deutsche Team um Kapitän Uwe Gensheimer. © dpa

Der 65-Jährige trainierte die deutsche Handball-Nationalmannschaft von 1997 bis 2011 und holte mit ihr 2004 den EM- sowie 2007 den WM-Titel.

AZ: Herr Brand, heute beginnt die Handball-Europameisterschaft in Kroatien. Wie sehr kribbelt es auch bei einem Routinier wie Ihnen vor so einem Turnier?
HEINER BRAND: Gar nicht mehr, ich habe sehr viel Abstand. Ich verfolge das mit Interesse und bin durch meine Tätigkeit bei Sky auch nahe am Spitzen-Handball dran, aber insgesamt habe ich eine große Distanz.

Wie werden Sie die EM verfolgen?
Teilweise am Fernsehen, teilweise bin ich unterwegs. Wenn die deutsche Mannschaft ins Endspiel kommt, werde ich mir überlegen, hinzufahren, ansonsten nicht.

Gibt es keine Einladung vom Deutschen Handball-Bund?
Um Gotteswillen, nein. Da besteht gar kein Kontakt. Der Präsident (Andreas Michelmann, d.Red.) guckt meistens weg, wenn er mich sieht. Aber damit habe ich abgeschlossen, das belastet mich nicht.

Worin liegt es begründet, dass das Verhältnis so abgekühlt ist?
Ich hatte ja mal ein paar kritische Worte gesagt über Herrn Hanning (DHB-Vizepräsident, d.Red.), zu denen ich auch stehe und die ich auch hätte belegen können. Seitdem scheut der Verband jeglichen Kontakt mit mir. Der Verband hat auch damals falsche Dinge über mich verbreitet, ich hätte einen Rentenvertrag angestrebt, was gelogen war. Ich habe dann dem Präsidenten gesagt, dass ich keinen Kontakt mehr haben will, solange das nicht zurückgenommen wird. Und es wird ja offensichtlich nicht zurückgenommen. Deshalb besteht da von meiner Seite auch kein Interesse.

Kommen wir zum Sportlichen: Deutschland geht als Titelverteidiger ins Turnier, wir alle erinnern uns an die tollen Tage im Januar 2016, als die "Bad Boys" in Polen den EM-Titel geholt haben. Zählt Deutschland damit automatisch wieder zu den Topfavoriten?
2016 war eine Momentaufnahme, eine Überraschung. Damals hat sehr viel geklappt, was nicht immer klappt. Insofern geht es jetzt wieder von vorne los. Ein paar junge Spieler haben inzwischen Erfahrung dazugewonnen, wie zum Beispiel ein Paul Drux. Es sind alle Möglichkeiten offen. Wir sind sehr gut besetzt, es kommen so viele gute junge Spieler nach wie seit 40 Jahren nicht mehr. Insofern sind die Voraussetzungen gut, aber die anderen Nationen schlafen ja nicht.

Wer zählt für Sie noch zu den Favoriten?
Wir haben bei der WM 2017 gesehen, dass Frankreich wieder gut war und den Titel gewonnen hat. Sie haben natürlich ein paar Leistungsträger wie Thierry Omeyer oder Daniel Narcisse verloren. Dann ist Norwegen stark, die Dänen bringen immer gute Leute hervor. Und die Kroaten werden im eigenen Land alles erdenklich Mögliche tun, um dagegenzuhalten. Insofern wird das kein Selbstläufer, aber klar ist, dass wir zu den Mitfavoriten gehören, und das werden wir auch sicherlich in den nächsten Jahren tun.

Bundestrainer Christian Prokop hat mit seiner Nominierung viele überrascht, indem er die Europameister Finn Lemke, Rune Dahmke und Fabian Wiede zu Hause gelassen hat. Vor allem Abwehrchef Lemke galt als gesetzt. Sind diese Entscheidungen für Sie nachvollziehbar?
Sie waren zumindest überraschend. Es sind mutige Entscheidungen, die Prokop getroffen hat, aber er wird seine Gründe haben. Ich denke, man muss es dem Trainer auch überlassen, solche Entscheidungen zu treffen.

Macht er sich damit nicht angreifbar, falls sich der Erfolg nicht einstellen sollte?
Wenn der Erfolg nicht da ist, gibt es immer sehr viele, die alles besser wissen. Davon darf sich ein Trainer nicht abhängig machen.

Was kann man denn allgemein von Christian Prokop erwarten? Kann er in die großen Fußstapfen treten, die Dagur Sigurdsson hinterlassen hat?
Er ist ein junger Trainer, der bisher sehr gute Arbeit gemacht hat. Er selbst hat gute Voraussetzungen, das Team hat gute Voraussetzungen. Daraus muss er jetzt etwas entwickeln. Ich traue ihm das durchaus zu. Man sollte ihn in Ruhe arbeiten lassen und nicht gleich alles an der Platzierung festmachen.

Wer sind für Sie die Schlüsselfiguren im deutschen Team? Oder ist gerade die Ausgeglichenheit die große Stärke?
Wir sind auf den entscheidenden Positionen sehr, sehr gut besetzt, sogar doppelt. Ob das Rückraum links mit Julius Kühn und Paul Drux ist, in der Mitte mit Steffen Fäth und Philipp Weber, oder Rückraum rechts mit Steffen Weinhold und Kai Häfner, dazu Uwe Gensheimer linksaußen und zwei sehr gute Torhüter. Da kann ruhig mal einer ausfallen, das ist für jeden Gegner schwer berechenbar. Wichtig ist zum Beispiel, ob Steffen Fäth die Rolle, die er in Berlin spielt, auch in die Nationalmannschaft übertragen kann in einem ganzen Turnier. Die handballerischen Möglichkeiten hat er, ich bin gespannt, ob er die Konstanz im Turnier zeigt.

Wie sind die deutschen Vorrundengegner Montenegro, Slowenien und Mazedonien einzuschätzen? Es wäre ja wichtig, mit drei Siegen durch die Vorrunde zu kommen, um in der Hauptrunde eine gute Ausgangsposition für das Erreichen des Halbfinales zu haben.
Montenegro habe ich länger nicht mehr gesehen. Slowenien war Dritter bei der WM, aber die halte ich nicht für so stark. Sie bringen zwar immer gute Handballer hervor, aber immer nur auf der Rückraum-Mitte-Position. Bei Mazedonien haben mittlerweile einige Spieler aus Skopje Champions-League-Erfahrung. Alle drei Gegner haben natürlich das Publikum im Rücken, die werden in der Halle einigen Krach veranstalten. Aber ansonsten sehe ich alle drei Gegner im Nachteil gegenüber uns.

Handball-EM 2018: Alle Infos zum Turnier in Kroatien

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