Wie Diego Maradona in die Fänge der Mafia geriet
München - Man muss sich nur diesen einen Clip anschauen, das Aufwärmprogramm von Diego Maradona im Münchner Olympiastadion. 1989 mit Napoli bei den Bayern, Halbfinal-Rückspiel im Uefa-Cup. Wer die Gnade der frühen Geburt hatte, war damals selbst voll ungläubigem Erstaunen dabei, ansonsten zweieinhalb Minuten auf Youtube, das reicht, um Diego Maradona in seiner dreifaltigen Vollendung als Künstler, Artist und Akrobat am Ball zu begreifen. Dabei beruhte das harmonische Wohlempfinden zwischen Maradona und einem Ball auf uneingeschränkter Gegenseitigkeit.
Denn gerade in jenen rüden Zeiten der achtziger und neunziger Jahre, dem finsteren Zeitalter der Spielkultur, hatten Fußbälle meist unerträgliche Qualen auszustehen, rücksichtlos getreten von sadistischen Peinigern, einige der gefürchteten Folterknechte trugen Namen wie Pflügler, Trares, Hollerbach.
In der Obhut Maradonas aber durfte sich ein Ball in der Komfortzone wähnen, ein Wellness-Aufenthalt am Fuß Gottes. Niemand war so zärtlich zur Kugel, niemand schrieb mit dem Ball so schöne Zeilen, keiner kreierte in Form und Inhalt so schöne Poesie wie der kickende Kalligraph Maradona. Noch einmal den Youtube-Clip angeschaut. Fast meint man, den Ball lächeln zu sehen.
Rätselhafte Hepatitis-Erkrankung
Damals, 1989, war Maradona gerade noch so auf dem Höhepunkt seiner Schaffensperiode, stand er über dem Rest der Fußballwelt so auf dem Zenit wie drei Jahre zuvor die Sonne am WM-Finaltag über dem Aztekenstadion von Mexico-City. Dabei hatte seine Zeit in Europa mit einem großen Missverständnis begonnen, mit zwei Jahren beim FC Barcelona.

Der Verein mit dem Motto "Més que un club" (mehr als ein Klub) und der Star, der més que un jogador war, mehr als ein Spieler: Was nach einer perfekten Symbiose aussah, wurde zum Desaster. Kurz vor der WM in Spanien 1982 verpflichteten die Katalanen den 21-jährigen Goldjungen von den Boca Juniors. Am Tag, als Romy Schneider starb. Das Debüt im August 1982 im Barça-Trikot lief noch glatt, ein Freundschaftsspiel beim, obacht, SV Meppen, wofür der Emsland-Klub damals 70.000 Mark berappen durfte. Doch bald kamen die ersten Probleme, im Dezember 1982, seine rätselhafte Hepatitis-Erkrankung, bei der viel spekuliert wurde, ob er sich nicht bei seinem freizügigen Liebesleben etwas eingefangen habe.
Neapel: Maradonas überdimensionale Villa Fiorito
Das Comeback nach drei Monaten Pause, am Ende blieb Barça in der Liga nur Platz vier und als Trostpreis der Pokal. Bald danach folgte der nächste schwere Rückschlag, vierter Spieltag der neuen Saison, Gastspiel in Bilbao, Jagdszenen im Baskenland. Maradona spielte gegen Andoni Goikoetxea, der zwei Jahre zuvor schon Bernd Schuster in die Klinik getreten hatte, man nannte ihn den "Schlächter von Bilbao". Der Unterschied zu einer Guillotine war bei Goikoetxea, dass sein Fallbeil nicht von oben, sondern immer aus waagrechter Position heransauste, so auch damals, als er von hinten Diego Maradona exekutierte.

Maradona erzählte später es habe sich wie splitterndes Holz angehört, jener Moment des berstenden Wadenbeins. War er fünf Monate später auch wieder auf den Beinen, es war die Zeit, in der er anfing, erstmals den Boden unter den Füßen zu verlieren - als er mit dem Koksen begann, die Droge, die ihn an den Rand des Abgrunds führen sollte - und darüber hinaus. 1984 der Wechsel nach Neapel, was viel besser zu ihm passte. Der Außenseiter aus dem armen Süden Italiens, der sich den Weg nach oben hart erkämpfen musste, weit weg vom Establishment der großen Vereine aus dem reichen Norden: Juve, Milan, Inter. Für Maradona war Neapel eine überdimensionale Villa Fiorito, die Arbeitersiedlung seiner Kindheit.
"Was erlaube Diego."
Maradona verehrten sie hier vom ersten Tag an, nur für die Präsentation strömten 75.000 Menschen ins Stadio San Paolo. Sportlich ging es erst nur langsam bergauf, dann aber führte Maradona Napoli 1987 zur ersten Meisterschaft der Klubgeschichte. 1989 dann der Uefa-Cup, mit dem Halbfinal-Sieg gegen die Bayern und dem Final-Triumph gegen den VfB Stuttgart. Es war die Zeit, als Maradona weg wollte, nach fünf Jahren als Neapels Schutzheiliger, er fühlte sich erdrückt von der Zuneigung der Menschen, aber auch gefangen im Dunstkreis der Mafia, wo er Koks bekam und Prostituierte. Beides nach Belieben.

Immer mehr leistete er sich Eskapaden, offenbarte er seine Lustlosigkeit, verlängerte eigenmächtig Urlaube, schwänzte das Vormittagstraining grundsätzlich und das am Nachmittag meistens. Manchmal ließ sich unter Vortäuschung einer Verletzung nach einer Viertelstunde auswechseln, manchmal beschimpfte er Fans als Kretins. Hätte Giovanni Trapattoni damals eine Pressekonferenz gehalten, hätte er vielleicht gesagt: "Was erlaube Diego." Aber meist war Maradona dicht wie eine Flasche voll.
Gewicht nahm zu, die Leistung ab
Angebote gab es damals reichlich, etwa von Olympique Marseille, doch Napolis Klubboss Corrado Ferlaino verweigerte immer wieder die Freigabe. Auch wenn Maradona den SSC 1990 noch einmal zum Titel in der Serie A führte, ab da ging es steil bergab. Nach der anschließenden WM in Italien, als er die Zuschauer nach der Finalniederlage gegen Deutschland als Hurensöhne beschimpfte, bröselte sein Mythos endgültig. Sein Gewicht nahm zu, die Leistung ab, dann im April 1991 der positive Dopingtest mit dem Nachweis von Kokain, es war sein Ende in Italien.
Nach der Sperre folgte noch eine Kurzepisode in Sevilla, dann ging es zurück nach Argentinien. Das Kapitel Europa war beendet. Was blieb, waren Erinnerungen und die Bilder dieser unerschütterlichen Liebe - zwischen ihm und dem Ball.