Vor dem Bayern-Spiel: Die Kuranyi-Debatte
Soll der beste Stürmer Deutschlands mit zur WM? Soll ihm Bundestrainer Joachim Löw verzeihen? Die AZ fragte Legenden – von Eckel über Seeler, Müller und Fischer bis Riedle
MÜNCHEN Kevin Kuranyi noch einmal beobachten im Spitzenspiel am Samstag? Davon hält Joachim Löw offenbar nichts. Der Bundestrainer wird sich das vorentscheidende Meisterschaftsspiel der Bayern auf Schalke (15.30 Uhr, Liveticker auf abendzeitung.de) jedenfalls nicht live im Stadion anschauen.
Andererseits geht es bei Kuranyi auch nicht um die Form. Dass er die hat, weiß auch Löw, da muss er sich nicht noch ein Bild machen. 17 Tore hat Kuranyi in dieser Saison bereits geschossen, er ist aktuell der erfolgreichste deutsche Stürmer. Weit erfolgreicher als Mario Gomez (zehn Treffer) und Miroslav Klose (zwei Tore). Die beiden Bayern-Stars werden zur WM fahren, bei Kuranyi ist das im besten Fall noch völlig offen. Bis zum 6. Mai muss Löw seinen vorläufigen WM-Kader bekannt geben. Bis dahin muss er sich auch entscheiden, ob er über seinen Schatten springen und Kuranyi, den er nach seiner Halbzeitflucht aus dem Stadion im Länderspiel gegen Russland 2008 aus der Nationalmannschaft verbannt hatte, vielleicht doch noch begnadigt.
Franz Beckenbauer und Rekordnationalspieler Lothar Matthäus haben sich bereits für eine Begnadigung des 28-Jährigen ausgesprochen.
Die AZ hat fünf deutsche Stürmerlegenden, vom 1954er-Außenläufer Horst Heckel bis Karl-Heinz Riedle, der 1990 in Rom den WM-Pokal in die Höhe halten durfte, gefragt, ob Löw Kuranyi zurückholen sollte.
Horst Eckel, Weltmeister 1954, 38 Länderspiele, kein Tor: „Eine sehr schwierige Frage. Mit Kevin Kuranyi bin ich sehr vorsichtig. Wenn einer mal zwei, drei Tore macht, soll er sofort immer der Beste sein. Er hat Fehler gemacht, das muss man erst einmal ausräumen. Doch ich glaube, dass es dabei Schwierigkeiten geben kann. Viel halte ich von Stefan Kießling, der muss unbedingt mit. Und auch Miroslav Klose würde ich auf jeden Fall aufstellen. Er hat zur Zeit wirklich Pech, hat aber schon solche Phasen gehabt und ist immer wieder zurückgekommen.“
Uwe Seeler, Vize-Weltmeister 1966, 72 Länderspiele, 43 Tore: „Kevin Kuranyi ist in einer hervorragenden Verfassung. Von der Leistung her gesehen sollte der Bundestrainer ihn auf jeden Fall mitnehmen, denn bei der Weltmeisterschaft werden viele gute Stürmer gebraucht. Löw sollte ein Gespräch unter vier Augen suchen, jeder hat seine zweite Chance verdient. Miroslav Klose muss natürlich auch mit. Er hat immer seine Pflicht in der Nationalelf getan. Notfalls muss man ihn in der Vorbereitung zur WM fit machen. Gut ist jedenfalls, dass wir so viele gute Stürmer haben.“
Gerd Müller, Europameister 1972, Weltmeister 1974, 62 Länderspiele, 68 Tore: „Jeder macht mal einen Fehler. Ich würde ihn nominieren, da er zur Zeit der beste deutsche Stürmer ist. Zu Klose und Gomez kann ich nichts sagen, weil das unsere eigenen Spieler sind.“
Klaus Fischer, Vize-Weltmeister 1982, 45 Länderspiele, 32 Tore: „Kevin hat Mist gebaut, aber er hat es bereut und sich entschuldigt. Man muss ihn einfach mitnehmen, weil er Leistung bringt und ein heißer Kandidat für die Torjägerkanone ist. Löw verliert keine Autorität, wenn er ihn mitnimmt. Bei der WM warten andere Gegner als in der Qualifikation, als nur Russland stark war. Da braucht man gute Stürmer. Podolski und Klose sind in einer katastrophalen Verfassung. Ich wäre damals nicht mitgefahren, wenn ich so wenig getroffen hätte. Wir würden uns belügen, wenn wir sagen: Sie bringen Leistung. Darum darf einfach kein Spieler gesetzt sein.“
Karlheinz Riedle, Weltmeister 1990, 42 Länderspiele, 16 Tore: „Ich würde Kuranyi auf jeden Fall mitnehmen, man kann es sich nicht leisten, den derzeit besten Stürmer zu Hause zu lassen. Ich denke, dass das beste Duo zur Zeit Gomez und Kuranyi bilden würden.“
Maximilian Wessing