Von Schutzengeln und Sticheleien: Die EM-Momente der AZ-Redaktion

Mit dem EM-Finale zwischen Spanien und England findet die Europameisterschaft in Deutschland am Sonntag ihr Ende. Hier erzählen sechs AZ-Reporter von ihren persönlichen EM-Momenten.
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Maximilian Koch,
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Die Fanzone im Olympiapark beim Spiel Deutschland gegen Dänemark.
Die Fanzone im Olympiapark beim Spiel Deutschland gegen Dänemark. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

München - Vier Wochen lang regierte König Fußball in Deutschland. Zum Abschluss der Europameisterschaft blicken sechs AZ-Reporter auf den vergangenen Monat zurück und erzählen von ihren persönlichen EM-Momenten.

Mehr Nähe, mehr Gefühl

Ich gebe zu: Meine Erwartungen an die deutsche Mannschaft und der Glaube an eine mögliche EM-Euphorie im Land waren vor dem Turnier nicht besonders ausgeprägt – zu viele Krisen hatte es zuletzt gegeben, auf allen Ebenen. Doch diese EM hat mich mitgerissen – vom ersten Moment an.

Das Eröffnungsspiel gegen Schottland, fünf Tore, Musiala und Wirtz, die Lust der Fans und des Teams: Es passte sofort, vieles erinnerte mich an die WM 2006. Vor allem die Begegnungen mit den Fans anderer Nationen werden als Erinnerung bleiben: Die Schotten, die überall friedlich feierten, die ihre Dudelsäcke dabei hatten und in Restaurants und Kneipen ihre Lieder spielten. Die Dänen, die kaum weniger Durst hatten. Die Georgier, die Niederländer, auch die deutschen Fans, die das Viertelfinal-Aus gegen Spanien mit Anstand hinnahmen.

Die deutschen Fans standen während der EM geschlossen hinter ihrer Nationalmannschaft.
Die deutschen Fans standen während der EM geschlossen hinter ihrer Nationalmannschaft. © IMAGO / Matthias Koch

Das Publikum hat wieder Gefallen gefunden an der DFB-Elf – das ist der größte EM-Erfolg von Julian Nagelsmann und seinem Team. Uns Journalisten, die im Basislager in Herzogenaurach und in den Stadien täglich vor Ort waren, geht es da ganz ähnlich wie den Fans. Es wurde deutlich mehr Nähe vom DFB zugelassen als in den Vorjahren, alles wirkte nicht mehr so abgehoben, misstrauisch. Vor dem Achtelfinale gegen Dänemark konnte ich Jamal Musiala interviewen, einen der herausragenden Spieler des Turniers. Ein Reporter-Highlight, mein EM-Moment, auch wenn Musialas Wunsch, ein Finale gegen England, nicht in Erfüllung ging. Diese EM hat tolle Partien geliefert – und spannende Geschichten. Ist doch auch mal schön, wenn die Erwartungen übertroffen werden.

Maximilian Koch


Gedanken an Opa

Sommer 1984, ich war noch der "kloane Bua" und saß vor einem Röhren-Fernseher im Wohnzimmer meiner Großeltern in Sendling.

Wir schauten Fußball, die EM in Frankreich. Mein Opa zeterte und schimpfte über die deutsche Elf ("Ah, geh! Wo laffan's denn immer hi?!"). Unentschieden gegen Spanien trotz zahlreicher Chancen. In der letzten Minute flog eine Flanke in den Strafraum der Deutschen, ein Spanier köpfte ein – 0:1. Schlusspfiff, ausgeschieden.

40 Jahre später sitze ich im Stuttgarter Stadion auf der Reportertribüne. Deutschland gegen Spanien. In der letzten Minute der Verlängerung fliegt eine Flanke in den Strafraum, ein Spanier köpft ein – 1:2. Schlusspfiff, ausgeschieden. So leise, so geschockt – bis auf die iberischen Fans – habe ich ein Stadion selten erlebt. Einst zog Antonio Maceda den Stecker, bei dieser EM Mikel Merino.

Mikel Merino versetzte mit seinem späten Siegtreffer im Viertelfinale ganz Deutschland einen Stich ins Herz.
Mikel Merino versetzte mit seinem späten Siegtreffer im Viertelfinale ganz Deutschland einen Stich ins Herz. © IMAGO / MIS

Und weil dessen Vater 33 Jahre zuvor im Europapokal ein Tor in Stuttgart erzielt hatte, imitierte Sohn Mikel den Torjubel, tanzte um die Eckfahne – zu Ehren seines Papas Ángel. Ich dachte an meinen Opa – irgendwo da oben, im Himmel.

Patrick Strasser

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Verlieren – aber mit Grandezza

Zwei Tage frei, da zieht es den Münchner, selbst einen Sportchef zur EM, bekanntlich in seine Badewanne – den Gardasee. Sirmione, die Perle des Gardasee, die Geliebte des Catull, die perfekte Gastgeberin beim Ausscheiden der Squadra Azzurra, der italienischen Nationalmannschaft, als der Titelträger von der Schweiz vom europäischen Fußball-Thron gestoßen wird. Die Straßen sind leergefegt, dafür plärrt aus jeder Kneipe der TV-Kommentator seine Enttäuschung in die Gassen.

Titelverteidiger Italien musste sich bei der EM bereits im Achtelfinale der Schweiz geschlagen geben.
Titelverteidiger Italien musste sich bei der EM bereits im Achtelfinale der Schweiz geschlagen geben. © IMAGO / LaPresse

Als das Ausscheiden perfekt ist, schaltet der Wirt den Fernseher sofort wutentbrannt ab, wirft die Fernbedienung in die Ecke – und gibt eine Trostrunde Grappa für alle Mitleidenden aus. Den zwei Gästen im Trikot der Eidgenossen, die angesichts der italienischen Übermacht nur verhalten jubeln, wird sogar eine ganze Flasche hingestellt. Salute, die Italiener können nicht nur siegen und leiden, sondern auch mit Würde und Grandezza verlieren.

Matthias Kerber


Der EM-Schutzengel

Ein großes Fußball-Turnier bringt für eine Sportredaktion wie die der Abendzeitung viel Freude, aber auch viel Arbeit – das gilt für so eine Heim-EM natürlich ganz besonders.

Reporter müssen koordiniert, Themen geplant und auf allen wichtigen Kanälen (Print, Online, Social Media) produziert und veröffentlicht werden – und das teilweise wie für unsere Interview-Serie "EM-Countdown: Gsichter & Gschichtn" schon viele Monate im Voraus.

Mit zugegebenermaßen schon ein bisserl Anspannung blickte ich deshalb dem EM-Auftakt entgegen, denn eins war auch klar: Mit einem weiteren frühen Ausscheiden der DFB-Elf wie bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 könnten wir uns die Hoffnung auf ein zweites Sommermärchen abschminken, wären alle unsere schönen Ideen für diese Europameisterschaft umsonst gewesen.

Es kam zum Glück anders – und das ahnte ich schon früh. Als Heidi Beckenbauer vor Anpfiff des Spiels der DFB-Elf gegen Schottland den EM-Pokal in die Allianz Arena trug und dann ihren im Januar verstorbenen Gatten mit einem Handkuss in den Himmel grüßte, wusste ich, dass dieses Turnier einen ganz besonderen Schutzengel hat.

Der erste ganz emotionale Moment der EM: Heidi Beckenbauer grüßt ihren verstorbenen Mann Franz kurz vor dem Eröffnungsspiel.
Der erste ganz emotionale Moment der EM: Heidi Beckenbauer grüßt ihren verstorbenen Mann Franz kurz vor dem Eröffnungsspiel. © IMAGO / Chai v.d. Laage

Krischan Kaufmann


Kleine Sticheleien und viel Lachen

Mein EM-Moment war tatsächlich einer am Rande des eigentlichen Spielgeschehens, quasi in der familieneigenen Fußball-Arena. Ich und mein zweijähriger Sohn kickten ein wenig auf der Terrasse hin und her, beide in DFB-Trikots, als mein italienischer Nachbar (im Dress der Squadra Azzurra) von oben grüßte. Ein kleiner "Experten"-Austausch, kleine Sticheleien und viel Lachen vor den K.o.-Duellen unserer Teams gegen Dänemark bzw. die Schweiz.

Die niederländischen Anhänger bei ihrem Fanmarsch zum Olympiapark.
Die niederländischen Anhänger bei ihrem Fanmarsch zum Olympiapark. © IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Herrlich gelöst, entspannt, ungezwungen. Für mich ein Sinnbild im Kleinen dafür, was die Fußball-EM im Großen geschafft hat: Menschen zu verbinden, die gewöhnlich eher nebenher als miteinander leben, sich kaum oder gar nicht kennen. Ich und mein Nachbar haben im Anschluss zwar nicht "Naar links" und "Naar rechts" getanzt, doch auch die entsprechenden Oranje-Feier-Bilder (unter anderem aus dem Olympiapark) haben Eindruck hinterlassen.

Florian Weiß


Fanfreundschaft in der Zombie-Zone

Geisterstunde in der Zombie-Zone, dem Fleck, vor dem die britische Presse einschlägig gewarnt hatte. Die Gegend um den Frankfurter Hauptbahnhof. Ein Ort, den ich bei Reisen gerne meide, ein Ort, der nicht gerade einladend wirkt, doch war er jener Ort, der Fans und Journalisten aus aller Welt empfing und verabschiedete. Auch mich.

Ich wartete auf meinen Zug, suchte vergebens nach einem ruhigen Plätzchen, um meinen Text zu schreiben. Stattdessen fand ich zwei Fans, ein Brite und ein Däne. Beide Teams hatten sich zuvor 1:1 getrennt. Es waren Männer, die sich ohne die EM wohl nie gesehen hatten (wie auch?). Sie saßen Arm in Arm auf dem dreckigen Boden, schauten sich gemeinsam die Wiederholung an, stimmten Fangesänge beider Nationen an.

Während der EM kam man sich sogar im berüchtigten Frankfurter Bahnhofsviertel näher.
Während der EM kam man sich sogar im berüchtigten Frankfurter Bahnhofsviertel näher. © IMAGO / Jan Huebner

Ist es zwar ein kleiner Moment, doch zeigte er mir einmal mehr: Der Fußball hat die Kraft, Menschen aus verschiedensten Ländern zu vereinen.

Kilian Kreitmair

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